Diesmal machen wir ein bisschen was anderes. Anstatt, wie die letzten Male, ein Tandem aus Mentor und Mentee vorzustellen, widmen wir uns heute mal nur einer von beiden Seiten. Mein heutiger Gesprächspartner ist Ricarda Essrich. Sie ist Mentorin. Ihr Mentee möchte namentlich nicht genannt werden, selbstverständlich verzichten wir also darauf.

Ulla: Ricarda, du hast dich vor knapp einem Jahr bei mir gemeldet und dich als Mentorin angeboten. Was hat dich dazu bewogen?

Ricarda: Im Austausch mit anderen stelle ich immer wieder fest, dass ich doch in den letzten Jahren der Freiberuflichkeit einiges dazugelernt habe, und mich mit vielen Fragen, mit denen sich vor allem Berufsanfänger rumschlagen, selbst schon auseinandergesetzt habe. Und dann freue ich mich jedes Mal, wenn ich hilfreiche Tipps geben kann. Außerdem finde ich es spannend zu sehen, wie sich eine Person, die man länger mit Rat und Tat begleitet, entwickelt. Ich möchte gerne Ansprechpartner sein, an den man sich auch mal kurzfristig wenden kann, wenn man z. B. bei der Kalkulation eines Projektes ein Problem hat. Über Social-Media-Kanäle wie bestimmte Facebook- oder XING-Gruppen läuft diese ad-hoc-Hilfe natürlich auch, aber im 1:1-Austausch ist das Ganze doch um einiges intensiver.

Ulla: Was hast du selber erwartet? Inwieweit hat sich das bestätigt?

Ricarda: Ich habe mir vorher nicht viele Gedanken über meine Erwartungen gemacht. Ich dachte allerdings, dass das Ganze etwas strukturierter ablaufen würde, als es jetzt bei uns beiden der Fall ist. Vielleicht mit einem konkreten Problem, das mein Mentee hat, das wir mit einer Strategie angehen können, bei dem sie mir Fortschritte mitteilt, wir zwischendurch die Struktur überprüfen und ggf. ändern … Diese Struktur stellt sich erst allmählich ein. Anfangs haben wir einfach sehr lange telefoniert, sie hat mir Fragen gestellt und ich habe versucht, ihr Tipps zu geben. Beim nächsten Mal dann in ähnlicher Form. Allmählich ist es aber so, dass sie mir auch per E-Mail zwischendurch berichtet, was sie unternommen hat, auch schon in einer konkreten Angelegenheit um Rat gefragt hat. Nun haben wir auch konkrete Fragen am Telefon behandelt.

Ulla: Wie läuft das denn bei euch so ab?

Ricarda: Anfangs haben wir alle 4-8 Wochen lange telefoniert. Dabei ging es zunächst mal darum, herauszufinden, was mein Mentee erreichen will und wo die Probleme liegen. Da wir beide die Leidenschaft für Schweden teilen, haben wir uns auch darüber viel ausgetauscht. Wie oben beschrieben, war ich eigentlich davon ausgegangen, wir würden auch kurzfristige Probleme mal kurz telefonisch oder per E-Mail klären, aber das stellt sich jetzt erst allmählich ein.

Ulla: Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, aber welche Art von Fragen und Problemen trägt dein Mentee an dich heran? Was davon war vielleicht unerwartet?

Ricarda: Mein Mentee sucht ‒ wie wir alle ‒ neue Kunden, eine stabile Position in der Branche. Sie hat eine starke Spezialisierung, es geht also darum, ihr bei Fachübersetzungen ein festes Standbein zu verschaffen und ihr die Tür für Literaturübersetzungen zu öffnen. Dabei sind natürlich Fragen aufgekommen, die primär die Akquise betreffen. Wie finde ich Kunden, wie trete ich an diese heran, und zwar so, dass es meinem Charakter entspricht und ich mich nicht total verbiegen muss? Außerdem haben wir über Abrechnungsmodelle und Ähnliches gesprochen.

Unerwartet war, dass sie in vielen Aspekten ganz anders „tickt“ als ich. Nicht immer lassen sich Methoden, die ich erfolgreich angewendet habe, 1:1 auf sie übertragen. Da musste ich oft auch mal ein Stück weit aus meiner Perspektive heraustreten. Das ist ungewohnt, aber spannend.

Ulla: Was nimmst du für dich selber mit?

Ricarda: Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen ticken, und dass meine „Weisheit“ nicht allgemeingültig ist. Aber ich finde schön, dass mein Mentee mir Vertrauen schenkt und Probleme und Schwierigkeiten mit mir diskutieren mag.

Ulla: Gibt es etwas, was du anderen Mentoren und solchen, die erst noch darüber nachdenken, mit auf den Weg geben möchtest?

Ricarda: Ein Mentorenprogramm ist eine tolle Sache, wenn Mentor und Mentee gut zusammenpassen. Das müssen nicht unbedingt die gleiche Sprache und das gleiche Fachgebiet sein. Wichtig ist, dass potenzielle Mentees durchaus kritikfähig sind und auch mal Ratschläge annehmen müssen, die unbequem erscheinen. Mentoren auf der anderen Seite sollten in der Lage sein, von der eigenen „Baustelle“ aus zu abstrahieren und sich in die Situation des Mentees zu versetzen.

Ein Mentorenprogramm ist keine eindimensionale Sache. Ich selbst habe über die beiden Mentorenprogramme, an denen ich teilnehme (das andere im BDÜ NRW), schon viel gelernt. Man beleuchtet ja in der Regel auch seine eigene Arbeit, wenn man seine Erfahrungen weitergibt. Da gibt es oft genug Grund für Denkanstöße und neue Ideen. Von einem Mentorenprogramm profitieren also ‒ wenn die Chemie zwischen Mentor und Mentee stimmt ‒ beide Seiten.

Ulla: Vielen Dank, dass du dir ein wenig Zeit für uns genommen hast!

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