Ein Interview des DVÜD mit Mag. Dr. med. Mimoun Azizi, M.A., Neurologe und Psychiater, Chefarzt der Fachklinik für neurologische und neurochirurgische Rehabilitation der VAMED Klinik Hagen-Ambrock. Die Fragen stellte Imke Brodersen, das Interview wurde im Dezember 2020 schriftlich geführt.

Herr Dr. Azizi, wir haben im Sommer 2020 auf einer Online-Veranstaltung des TDÜ darüber gesprochen, welche Probleme durch Laiendolmetscher in der Medizin entstehen können. Im Rahmen der Themenwoche Medizin möchte der DVÜD dieses Thema gern erneut aufgreifen. Beginnen wir mit einer Eisbrecherfrage:

Soweit ich es im Kopf habe, sprechen Sie mehrere Sprachen, neben Deutsch auch Französisch und Arabisch? Hilft Ihnen diese Mehrsprachigkeit als Arzt im Alltag?

Ja, natürlich. Ich bin in der Lage, die Anamnese in mehreren Sprachen erheben zu können. Das ist ein Riesenvorteil für einen Arzt und insbesondere für den betroffenen Patienten. Das gilt auch beim Thema Aufklärung, Gespräche mit Angehörigen und Gespräche zu schwierigen medizinischen Themen. Mehrsprachigkeit ist in der Medizin und an sich immer von Vorteil. So verstehe ich den Patienten besser, und der Patient versteht mich besser. Die Konsequenz daraus ist, dass ich in der Lage versetzt werde, die richtigen medizinischen Entscheidungen treffen zu können. Ich sehe darin keinen Nachteil, wenn ein Arzt oder Ärztin mehrsprachig ist. Wir leben ja schließlich in einer multikulturellen, multikonfessionellen Welt. Es ist doch auch eine Tatsache, dass in Deutschland mehrere Millionen Menschen leben, die anders sozialisiert worden sind und eine andere Sprache sprechen als die deutsche Sprache. Wiederum leben viele Menschen in Deutschland, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Hier darf ich als Mediziner mich nicht einem überflüssigen Diskurs hingeben, warum diese Menschen der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sondern muss in der Lage sein, medizinisch helfen zu können. Das ist die Aufgabe eines Arztes! Diese Aufgabe kann ich besser lösen, je mehr Kulturen und Sprachen ich beherrsche und verstehe. Das ist das, was wir heute in der Medizin als kultursensible Versorgung verstehen und zunehmend eine signifikante Rolle spielt.

Wie sieht das rein rechtlich für Mediziner aus? Haften Sie dafür, wenn die Kommunikation mit einem Patienten, mit dem Sie sich kaum verständigen können, schiefläuft und deshalb eine Diagnose falsch oder stark verzögert gestellt wird?

Grundsätzlich haftet der Arzt für seine Fehler und zwar unabhängig davon, ob der Patient der deutschen Sprache mächtig ist oder nicht! Natürlich ist die Gefahr, dass Fehler entstehen können, wenn das Sprachverständnis nicht gegeben ist bzw. wenn der Arzt den Patienten nicht versteht und der Patient den Arzt nicht. Es kann auch zu Missverständnissen kommen und daraus resultierend auch zu Fehldiagnosen. Daher sehe ich natürlich den Vorteil darin, verschiedene Sprachen zu beherrschen und diese auch anwenden zu können. Rein rechtlich gilt aber, dass jeder Fehler unabhängig von der Sprache Konsequenzen haben kann.

Oder sichert man sich in solchen Fällen durch verstärkte Labordiagnostik und apparative Diagnostik ab, um nichts zu übersehen?

Wenn eine Anamnese nicht möglich ist, weil der Patient der deutschen Sprache nicht mächtig ist, dann fällt es dem Arzt sehr schwer, sich ein Bild über die Symptome des Patienten zu machen. Folglich kann es passieren, dass der Arzt sichergehen möchte, daher eine komplette Diagnostik anordnet, die bei vorhandener Sprachkenntnis wahrscheinlich nicht erforderlich gewesen wäre.

Sie warnen davor, Verwandte – insbesondere Kinder – im Arzt-Patienten-Gespräch einzusetzen. In der Familie möchte man sich natürlich unterstützen. Warum ist das aus Ihrer Sicht keine gute Idee?

Dagegen sprechen mehrere Gründe. Zum einen sind die Übersetzungen, da sie nicht von professionellen Dolmetschern durchgeführt werden, nicht immer zutreffend. Damit erhöht man die Gefahr einer Fehldiagnose. Zum anderen geht es manchmal um Themen, die für Kinder nicht geeignet sind. Kinder dürfen nicht traumatische Erlebnisse der Eltern übersetzen, weil sie ja während der Übersetzung etwas erfahren, was die Seele diese Kinder schädigen könnte. Ferner gibt es bestimmte Intimitäten, die eigene Kinder bzw. Familienangehörige, nicht erfahren dürfen. Diese Themen können sowohl für die betroffenen Patienten als auch für die Dolmetscher aus dem Familienumfeld, die solche Themen dann weitertragen, fatale Konsequenzen haben. Denken Sie an häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, diese Themen sind nicht für Ohren von Kindern gedacht. Außerdem verweise ich hier gerne auf meinen Artikel Dolmetschertypen hin, wo man genau nachlesen kann, welche Problematiken beim Dolmetschen auftreten können und welche Konsequenzen sie haben könnten.

Welche Mindestanforderungen sollte eine Person aus ärztlicher Sicht mitbringen, um im Gesundheitswesen erfolgreich zu dolmetschen?

Die Beherrschung der deutschen Sprache, die Beherrschung der Sprache des Patienten, das Verstehen von medizinischen Fachbegriffen, das Erklären von medizinischen Fachbegriffen, Empathie, Verschwiegenheit, Loyalität gegenüber dem Patienten und Verständnis gegenüber dem Patienten. Daher sollten nur zertifizierte Dolmetscher den Patienten bei seinem Arztbesuch begleiten und übersetzen dürfen. Hierfür muss es entsprechende Ausbildung und Zertifikate geben! Diese müssen dem behandelnden Arzt auch vorgelegt werden, um zu verhindern, dass selbst ernannte Dolmetscher dem Patienten durch fehlerhafte Übersetzung und inadäquates Verhalten gegenüber dem Patienten diesem Schaden zufügen.

Darf eine Reha-Klinik Patienten mit unzureichenden Sprachkenntnissen ablehnen? Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen so etwas vorkam?

Mir ist nicht bekannt, dass Patienten aufgrund ihrer Sprachbarriere abgelehnt worden sind. Ich spreche jedoch für meine Klinik! Ich kann nicht für andere Kliniken sprechen und werde es auch nicht tun!

Bild von Direct Media vom StockSnap.io

Haben Sie Erfahrungen mit Teledolmetschen?

Ja. Es ist eine Möglichkeit, um zum Beispiel in Notfällen schneller handeln zu können. Für ausführliche Anamnese ist solch ein Teledolmetschen weniger geeignet.

In welchen Situationen ist ein online hinzugezogener Dolmetscher aus Ihrer Sicht eine Hilfe? Was wünschen Sie sich von politischen Entscheidern und Krankenkassen?

Insbesondere in Notfällen. Wenn Patienten operiert werden müssen oder in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden müssen, dann bedarf es in den meisten Fällen der Zustimmung des Patienten, wenn er wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert ist. Sollte dies nicht der Fall sein, dann benötigt man die Zustimmung von Angehörigen, die über eine Vollmacht verfügen oder von gesetzlichen Betreuern, wenn eine gesetzliche Betreuung gegeben ist. Daher ist solch eine Vorgehensweise des Dolmetschens sehr hilfreich. Insbesondere dann, wenn ein Dolmetscher vor Ort nicht vorhanden ist bzw. der behandelnde Arzt nicht mehrsprachig ist.

Gibt es Initiativen unter der Ärzteschaft für eine Abrechnungsziffer „Dolmetschen“?

Soweit ich weiß nicht. Es wäre aber sinnvoll!

Gibt es noch etwas, das Ihnen am Herzen liegt, hier aber nicht angeschnitten wurde?

Die Dolmetscherausbildung im Bereich Medizin muss professionalisiert werden, und die Dolmetscher müssen besser geschult werden. Nicht nur die Sprache der Medizin sollte man beherrschen, sondern auch bestimmte Vorgehensweisen und Verhaltensweisen. Die Kultursensibilität sollte in der Ausbildung der Dolmetscher integriert werden. Auch eine psychologische Ausbildung in deutlich abgespeckter Form sollte stattfinden, weil auch Dolmetscher von dem, was sie hören und übersetzen müssen, psychisch beeinflusst werden und gegebenenfalls auch mit negativen gesundheitlichen Folgen für den Dolmetscher.

Vielen Dank für dieses Interview, Herr Azizi.

Sehr gerne.

Ergänzend möchte der DVÜD an dieser Stelle ausdrücklich auf das kostenfreie Online-Seminar des TDÜ mit Herrn Dr. Azizi am 24. Februar 2021 hinweisen. Dort können wir quer über alle Berufssparten ins Gespräch kommen – gleich vormerken und anmelden!

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