Ein Interview mit Beate Maier

Das nachfolgende Interview zum Dolmetschen und Übersetzen für die Justiz ist eine Zusammenfassung aus einem 90-minütigen Zoom-Gespräch zwischen Imke Brodersen (IB) und Beate Maier (BM) vom 27. Mai 2021. Für die Themenwoche Justiz wurde das Ergebnis bearbeitet, mit Blick auf die Ausgangsfragen stark gekürzt und im Juni um einen Passus zu den mittlerweile veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen ergänzt.

IB: Beate, ich kenne dich von der #DKonf2015 als Justizdolmetscherin. Wieso hast du dich auf den Themenbereich Justiz spezialisiert? Was fasziniert dich daran?

BM: Ich habe vor meinem Studium eine Banklehre absolviert. Da musste ich sehr viel über diverse Rechtsbereiche lernen: Gesellschafts-, Vertrags-, Aktien-, Wertpapier- und Bankrecht. Das war sozusagen der Einstieg.

An der Uni in Germersheim hatte ich die Wahl zwischen Recht oder Wirtschaft als Prüfungssachfach. Ich habe mich für Recht entschieden.

IB: Welche Ausbildungsbausteine sind für diesen Bereich aus deiner Sicht unerlässlich?

BM: Nach dem Studium habe ich als Angestellte in einer Bank und in einem Unternehmen gearbeitet. Als meine Firma anfing Personal abzubauen, habe ich den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt.

Da ich ursprünglich lieber Dolmetscherin als Übersetzerin werden wollte, habe ich mich in Hamburg*) für einen mehrmonatigen berufsbegleitenden Kurs für Gerichtsdolmetschen beworben. Neben diversen Wochenenden mit Präsenzunterricht musste man sehr viel zu Hause tun, um die Prüfungen am Schluss zu bestehen. Außerdem war es eine echte Investition: Kurs, Fahrtkosten und Übernachtungen kosteten ordentlich Geld. Aber dafür wurde ich von echten Juristen und Konferenzdolmetschern mit viel Erfahrung in Kleingruppen unterrichtet – und streng, aber fair bewertet. Da habe ich gemerkt: „Ich glaube, das kann ich.“

Danach habe ich zur Ergänzung weiter ähnliche Seminare, Fachvorträge und Konferenzen besucht: Ich habe viel von aktiven Berufs- und Verbandskollegen gelernt, ihre Tricks und Tipps, was man als Übersetzer und Dolmetscher im Justizbereich tun muss oder darf und was nicht, haben mir sehr weitergeholfen. So habe ich mich langsam herangetastet und erst allmählich versucht, in der Justiz Fuß zu fassen. Dabei haben mir meine Kollegenkontakte geholfen, und ich musste nicht für Agenturen arbeiten.

IB: War dieser Kurs für alle Sprachen geeignet? Oder nur für deine Kombination?

BM: Er eignet sich im Prinzip für alle Sprachen, aber es kommen nicht immer für alle Sprachen Gruppen zusammen. Vor allem lernt man: Worauf kommt es jetzt beim Dolmetschen tatsächlich an? Und genau das habe ich dort gelernt. In diesem Bereich kann man nur arbeiten, wenn man wirklich weiß, was man tut, und wenn man es richtig geübt hat, und zwar mit Fachleuten, die beurteilen können, ob das, was du da gerade gemacht hast, noch zulässig ist oder nicht.

Mittlerweile gibt es leider etliche private Veranstalter, die Kurse für „Sprach-, Kultur- oder Integrationsmittler/-dolmetscher“ usw. anbieten. Diese Kurse ersetzen meiner Ansicht nach nicht eine fundierte Sprachausbildung, bei der das Dolmetschen und Übersetzen an sich im Vordergrund steht. Für den Justizbereich braucht es außerdem solide Kenntnisse des deutschen und fremdsprachlichen Rechtssystems. Und eine gute Berufsethik.

IB: Wie lange hat es ungefähr gedauert, bis du das Gefühl hattest: „Ja, ich kann ins Gericht gehen“? Wann hast du dich so firm gefühlt?

BM: Es kommt ja nicht nur darauf an, dass man die Fachsprache beherrscht, und zwar auf Deutsch und in der Fremdsprache, und versteht, wovon z.B. der Staatsanwalt jetzt gerade redet. Man muss Ahnung haben vom Recht an sich, und zwar sowohl vom eigenen als auch vom fremdsprachlichen Recht. Es reicht nicht, die deutsche Fachspracheprüfung zu machen. Ich muss auch in der Fremdsprache wissen, wie es richtig heißt, oder zumindest wissen, was es ist.

Wer nur meint: „Ach, da gehe ich dann eben mal hin und dolmetsche“, der irrt gewaltig. Es ist teilweise auch eine starke psychische und emotionale Belastung. Wenn der Richter oder Polizist schon mit Dolmetschern gearbeitet hat, hat man es eventuell etwas leichter, weil er weiß (oder wissen sollte), was ein Dolmetscher leisten kann und was nicht. Am Anfang ist man ein bisschen unsicher, aber mit der Zeit bekommt man mit, wie es läuft. Ohne ein gewisses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und wie man gegebenenfalls seine Dolmetschung verteidigt, geht nichts.

Ganz wichtig ist auch, dass man die berüchtigte Schrecksekunde gut wegstecken kann. In einer Verhandlung kann das völlig Unerwartete jederzeit über einen hereinbrechen, wo man einfach denkt: „Huch, was ist jetzt los?“. Da hilft nur: einmal tief Luft holen und durch.

Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich den ersten Auftrag angenommen habe.

IB: Und würdest du aktuell auch sagen, das hat sich gelohnt? War bzw. ist diese Tätigkeit, also Dolmetschen und auch Übersetzen für die Justiz aus deiner Sicht fair bezahlt?

BM: Meine Spezialisierung in Recht und Übersetzen hat sich definitiv gelohnt und mich letztlich zum Dolmetschen geführt. Ich denke, dass auch in Zukunft Bedarf an professionellen Dolmetschern und Übersetzern im Justizbereich besteht, denn bereits heute leben viele Menschen aus anderen Ländern bei uns, die irgendwann von deutschem Recht tangiert werden können. Und nicht zu vergessen, dass nicht nur kriminelle Aktivität, sondern dadurch auch die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften grenzüberschreitend stattfindet.

Man wird fair bezahlt, wenn sich die Justizauftraggeber an die JVEG-Vorschriften halten. Gerichte und Staatsanwaltschaften tun das in der Regel, andere Justizbehörden (z.B. die Polizei) und die meisten Agenturen leider nicht. Dort bekommt man häufig deutlich zu wenig für das, was man leisten muss. Man kann eigentlich nur versuchen, über Kollegen oder direkt an die zuständigen Sachbearbeiter zu kommen. Es ist schwer, Fuß zu fassen, denn auch die Justiz hat zu wenig Ressourcen. Für die verantwortliche Stelle ist es oft bequemer, wenn nur einen Anbieter für „alle Sprachen“ anzurufen, dann ist sie „das Problem“ los.

IB: Darfst du denn normalerweise erklären? Wollen die Richter oder die Staatsanwälte oder auch die Polizei nicht, dass man NUR das sagt, was sie gesagt haben.

BM: Wenn ich den Eindruck habe, mein Gegenüber hat – z.B. bei einer polizeilichen Befragung – etwas nicht verstanden, dann sage ich: „Die Dolmetscherin glaubt, der Begriff ‚verlobt‘ wurde inhaltlich nicht verstanden. Könnten Sie bitte erklären, was Sie damit meinen?“ Ich lasse es den Sachbearbeiter erklären und dolmetsche seine Erläuterung. Möglicherweise muss ich auch dem Bearbeiter erklären, wo das Problem liegt, z.B. dass es diese Art eines Eheversprechens vielleicht in diesem Land nicht gibt. Oder dass derjenige zumindest noch nichts davon gehört hat.

IB: Würdest du dieses Fachgebiet empfehlen, wenn man dich fragt: „Lohnt sich das, und soll ich das echt machen?“

BM: Es lohnt sich, wenn man fair bezahlt wird. Als Richtschnur nehme ich dazu das JVEG. Ausschreibungen diverser Behörden laufen oft auf einen Unterbietungswettbewerb hinaus, bei dem nur das billigste Angebot zählt. Qualität? Professionalität? Erfahrung? Fehlanzeige. Ich kann allen jungen Kolleg*innen nur raten, sich nicht darauf einzulassen.

Mit einem guten Netzwerk (Stammtische, Berufs- und Fachverbände) wird man vielleicht von Kollegen empfohlen – allerdings muss man dann auch die verlangte professionelle Leistung bringen, sonst kostet das u.U. auch den Kollegen/die Kollegin Sympathien.

IB: Okay, wie ist das in deinen Sprachen? Beobachtest du hier einen steigenden oder schrumpfenden Bedarf? So in den letzten fünf bis zehn Jahren.

BM: Bis vor zehn Jahren war ich sehr oft für Englisch bei Strafkammern. Irgendwann ließ das merklich nach und ich fragte einen Richter nach dem Grund. Seine Antwort: „Ganz einfach: Wenn zu viele erwischt werden, ändern die Drogenschmuggler ihre Routen. Deswegen geht jetzt das meiste über Länder mit anderen Sprachen. Bis wir da zu viele erwischen.“

Dafür gibt es jetzt mehr bei den Familien- und Verwaltungsgerichten zu tun: Es gibt mehr Ehen mit Partnern oder Kindern verschiedener Nationalität oder Asylsuchende. Der Bedarf ändert sich ständig.

IB: Hast du einen abschließenden Tipp für Sprachtalente, die aktuell ins Dolmetschen oder Übersetzen einsteigen wollen. Also was würdest du Leuten raten, die heute, vielleicht dieses Jahr oder nächstes Jahr, frisch von der Uni kommen?

BM: Das ist schwierig. Denn allgemein erleben wir derzeit eine rasante Entwicklung bei Maschinenübersetzungen (Postediting) mit der Folge, dass die Preise in den Keller gehen. Auch Ferndolmetschen hat durch die Pandemie an Boden gewonnen. Etliche erfahrene Kollegen sagen mir, es macht keinen Spaß mehr.

Ich persönlich fühle mich im Bereich Recht und Justiz zur Zeit noch gut aufgehoben, aber auch das kann bzw. dürfte sich ändern. Nicht nur, dass die Agenturen in diesem Bereich immer stärker werden. Das gerade verabschiedete Gerichtsdolmetschergesetz wird in seiner jetzigen (schlecht gemachten!) Fassung voraussichtlich dafür sorgen, dass viele bisherige Gerichtsdolmetscher und Quereinsteiger aufgrund des fehlenden Bestandsschutzes nach der Übergangsfrist (2024) durch das Raster fallen. Das geht zu Lasten der Qualität und vernachlässigt genau das, was hier gefragt ist, nämlich die menschlichen und fachlichen Qualitäten für so eine Dolmetschung in diesem Bereich. Das schafft meiner Ansicht nach noch immer keine Maschine. Weil die Maschine nicht mitdenkt.

Mit gutem Gewissen kann ich persönlich jungen Leuten derzeit nicht mehr empfehlen, eine Ausbildung im Sprachbereich zu beginnen, wenn sie danach ausschließlich als Dolmetscher oder Übersetzer tätig sein wollen. Außer sie haben bis dahin eine echte Spezialisierung, in der sich Maschinenübersetzung und automatisierte Sprachübertragung nicht so schnell breitmachen kann. Der Markt ist aktuell unglaublich im Fluss, was aber auch Chancen bietet, wenn man rechtzeitig reagiert.

Allgemein kann ich nur sagen: Seht euch MT-/Postediting-Angebote sehr genau an und lasst euch nicht in etwas hineindrängen, von dem ihr immer weniger werdet leben können. Sucht euch eine echte Spezialisierung und Direktkunden, die den Wert und die Qualität Eurer Leistungen zu schätzen wissen. Vernetzt Euch, arbeitet zusammen und nehmt Euch nicht gegenseitig die Butter vom Brot oder die Kunden weg. Habt ein offenes Ohr, helft und teilt mit Kollegen – es kommt irgendwann immer etwas davon zurück.

IB: Der abschließende Tipp. Ich danke dir ganz herzlich, Beate.

*) Den genannten Kurs gibt es in veränderter Form immer noch: https://www.zfw.uni-hamburg.de/weiterbildung/sprache-kunst-kultur/dolmetschen.html


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