Ein Gastbeitrag von Stefan Friedrich

Aus der Sicht großer Agenturen hat es seine Vorteile, wenn sie uns ein bestimmtes CAT-Tool vorschreiben: Sie erhalten Übersetzungen in einem standardisierten Format, das sich fast immer problemlos einpflegen lässt, eine einheitliche automatisierte Qualitätssicherung ihrer Lieferanten ermöglicht und ihnen die uneingeschränkte Kontrolle über den Übersetzungsprozess einräumt.

Für uns Übersetzerinnen und Übersetzer hat das zuweilen Nachteile: Man muss ein Tool kaufen und nutzen, das man nicht so gut kennt wie die gewohnte Übersetzungsumgebung und das bewährte Arbeitsabläufe verändert. Das kostet uns Geld, Einarbeitungszeit und Effizienz. Der veränderte Arbeitsablauf kann sich auf die Qualität unserer Arbeit auswirken, für die wir geradestehen müssen, besonders bei den agenturüblichen engen Terminvorgaben. Dabei sind die meisten Übersetzungsumgebungen heute so weit fortentwickelt, dass sie Daten reibungslos miteinander austauschen können, sodass es kaum noch gute Gründe gibt, sich ein Tool vorschreiben zu lassen.

Wie überzeuge ich meinen Kunden davon, dass ich meine Übersetzungsumgebung selbst auswähle?

1. Kommunikation mit der PM: Kundenperspektive einnehmen

Die Projektmanagerin (PM) arbeitet unter hohem Zeit- und Erfolgsdruck und ist daher an einem reibungslosen Ablauf interessiert. Zuallererst müssen wir Kontakt mit unserer Ansprechpartnerin aufnehmen und im Gespräch klären, worauf es ihr besonders ankommt. Sind es die bereits oben aufgeführten (oder andere) Sachvorteile? Muss die PM sich an eine Vorgabe der Vorgesetzten halten (keine Entscheidungsbefugnis), und was genau ist vorgegeben (Tool, Format und/oder Prozess)? Traut sie der ganzen Sache einfach nicht (Vertrauensfrage)? Oder will die Agentur einfach nur die Früchte meiner Arbeit ganz für sich alleine haben (Online-Arbeit auf dem Agenturserver)?

Oft liegen der Tool-Anforderung, mit der wir konfrontiert werden, mehrere Motive zugrunde, z. B. die Argumentation der PM: „Meine Agentur verlangt das gewünschte Tool, weil sie daran verdient, ich habe keine Zeit für technische Spielereien, und ich weiß nicht, ob du dein Tool so gut beherrscht, dass es mir keine Schwierigkeiten bereitet.“ Den tatsächlichen Motivationsmix müssen wir abfragen, um darauf reagieren zu können.

a) Sachvorteile:

Der Antwort der PM entsprechend müssen wir Leistungsversprechen klar kommunizieren:

  • Mein Tool liefert dir das genau das Format zurück, das dir auch dein Paket liefern würde.
  • Ich führe die vorgesehene elektronische QA mit meinem Tool durch und liefere dir einen vergleichbaren QA-Nachweis mit allen vorgegebenen Kriterien.
  • Ich kontrolliere das exportierte Paket auf Funktionsfähigkeit.
  • Meine Übersetzungsumgebung liest TMs und Termdatenbanken korrekt ein. Daher werde ich Terminologie- und Stilvorgaben vollständig einhalten.

b) Vertrauensfrage: Sicherheit schaffen

Skepsis ist meistens Teil der Motivation, selbst wenn nur über die Sachvorteile gesprochen wird. Die PM möchte sich auf einen reibungslosen Ablauf verlassen können, bevor sie einen avisierten Auftrag freigibt.

Die Skepsis lässt sich möglicherweise mit einem Probelauf aus der Welt schaffen. Die meisten Übersetzungsumgebungen verfügen über eine Pseudo-Übersetzungsfunktion. Dabei wird der Ausgangstext automatisch durch einen willkürlichen, unsinnigen Zieltext ersetzt, der eine Übersetzung simuliert. Das Tool exportiert dann innerhalb weniger Sekunden ein Rückgabepaket oder eine Rückgabedatei mit der Pseudo-Übersetzung, die wir an die PM zurückschicken können. Wenn die PM das Paket problemlos importieren kann, ist der Nachweis erbracht, dass wir ihr mit unserem Tool ein vollständig kompatibles Übersetzungspaket schicken können, und die PM kann den Auftrag freigeben.

c) Vorgabe der Geschäftsführung/Vorgesetzten

Wenn die PM nicht Entscheiderin ist: Was genau ist vorgegeben bzw. für den reibungslosen Prozess wichtig? Würde das Originalformat (aus welchem Tool auch immer) die Vorgabe erfüllen? Wenn nein, warum nicht? An wen muss ich mich gegebenenfalls wenden, um eine Einigung über meine Arbeitsmittel zu erzielen?

Dieser Punkt ist knifflig, zugegeben. Vergessen wir aber nicht, dass wir selbständigen Übersetzer/-innen als Experten auf Augenhöhe agieren. Kein Elektriker würde sich die Werkzeuge vorschreiben lassen, mit denen er unsere Leitungen durchprüft, und schon gar nicht eine Anschaffung unserer Wunschtools auf eigene Kosten. Er steht für seine Leistung gerade und wählt daher als Fachmensch die geeigneten Werkzeuge selbst. Das sollten wir auch tun.

d) Früchte unserer Arbeit

Die Frage, ob der Kunde die Früchte unserer Arbeit exklusiv nutzen darf (neben der bezahlten Übersetzung z.B. auch TMs, Termdatenbanken und Training des eigenen CAT-Tools) sprengt den Rahmen dieses Beitrags und betrifft die ganz persönliche Entscheidung, zu welchen Konditionen man bereit ist zu arbeiten. Wer ein schlechtes Gefühl mit dem Gesamtpaket aus Leistung und Gegenleistung hat, sollte sich nicht scheuen, die eigenen Interessen selbstbewusst zu vertreten und sich Zusatzleistungen auch zusätzlich honorieren zu lassen.

2. Technische Voraussetzungen schaffen

Leistungsversprechen sind nur dann von Wert, wenn wir sie auch zuverlässig erfüllen können.

Es ist hilfreich, wenn wir folgende Prozesse in unserem Tool aus dem Effeff beherrschen:

  1. Vollständiger Import von Agentur-Paket X in unser Tool Y
  2. Verarbeitung von Übersetzung, Terminologie, TM und Kommentaren
  3. Vollständiger Export von Rückgabepaket X aus unserem Tool Y
  4. Pseudo-Übersetzung für den technischen Probelauf
  5. Funktionsprüfung eines Rückgabepakets im Format X

DVÜD-Mitglieder können diese fünf Prozesse anhand von einigen Beispielen im Mitgliederbereich durchspielen. Dort findest du:

Mach dich mit diesen Abläufen gründlich vertraut, ehe du einer Agentur versicherst, dass du das Hin und Her beherrschst und es auf deinem Rechner mit deinem Lieblingstool ausgezeichnet funktioniert. Das kostet Zeit? Stimmt. Aber im Gegenzug ersparst du dir die Anschaffung, die Updates und natürlich das Erlernen weiterer Tools.

Du kannst entsprechende Abläufe für andere Tools beisteuern? Dann gerne her damit! Als DVÜD-Mitglied kannst du dich auch intern in der Technikgruppe mit anderen austauschen.

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