Immer wieder mal erreicht uns die Frage, wie denn die Textmenge eines zu übersetzenden Textes zu ermitteln sei. Für den versierten Übersetzer erscheint dies eine sehr einfache Aufgabenstellung zu sein, aber offensichtlich ist diese Frage gerade für Neulinge im Beruf nicht so einfach zu beantworten. Daher wollen wir an dieser Stelle mal ein wenig darauf eingehen, wie eine Textmenge ermittelt werden kann.
Zuallererst ist die Frage zu beantworten, ob die Menge des Ausgangstexts oder des Zieltextes zu ermitteln ist. Meine eindeutige Empfehlung: die Ermittlung sollte nach Ausgangstext erfolgen. Die Menge des Ausgangstextes kann der Auftraggeber nämlich selbst nachvollziehen. Die Menge des Zieltextes ist dagegen erst bekannt, wenn der Auftrag abgeschlossen wurde. Das heißt, weder Auftraggeber noch Übersetzer wissen im Vorhinein was die Übersetzung letztendlich kosten wird. Auch bleibt bei der Berechnung nach Zieltext immer ein wenig die Frage offen, ob der Text nun auf sprachliche Korrektheit getrimmt wurde oder auf Wort- bzw. Zeichenanzahl.
Für die Ermittlung der Textmenge haben wir im Wesentlichen drei Varianten zur Auswahl: Normzeilen, Wörter und Normseiten. Für Sprachen wie Chinesisch, wo bereits jedes Zeichen ein einzelnes Wort darstellen kann, bietet sich auch noch die Ermittlung der Anzahl Zeichen an. Hier ist die Empfehlung nicht so einfach auszusprechen. Vom englischsprachigen Markt scheint sich immer mehr die Ermittlung der Wortanzahl durchzusetzen. Dabei wäre für Sprachen, die viele Komposita bilden, wie zum Beispiel Deutsch, eher eine Ermittlung der Normzeilen logisch. Ein kleines Bespiel: Aus wie vielen Wörtern besteht „Donaudampfschifffahrtskapitänswitwenrentenauszahlungsbeleg“? 1 Wort? 8 Wörtern? Irgendwas dazwischen? Oder 58 Zeichen = etwas mehr als 1 Normzeile? Gut, der Begriff dürfte eher selten auftauchen, selbst so ein einfaches Wort wie „Kabelbinder“ wirft schon die Frage auf, ob dies eigentlich ein Wort oder schon zwei Wörter sind. Für Sprachen, die keine oder nicht so viele Komposita bilden, kann auch ruhig nach Wörtern abgerechnet werden. Die Abrechnung nach Seiten ist zwar auch möglich, spielt aber fast ausschließlich in der Literaturübersetzung eine Rolle, in der Fachübersetzung eher weniger.
Wie gehe ich nun vor, wenn ich die Textmenge ermitteln möchte? Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Die einfachste Möglichkeit ist die Nutzung der „Wörter zählen“-Funktion von MS Word. Hierzu wird die zu zählende Datei einfach in MS Word geöffnet und auf der Registerkarte „Überprüfen“ in der Gruppe „Dokumentprüfung“ die Funktion „Wörter zählen“ angeklickt. Daraufhin öffnet sich ein Fenster, das uns alle notwendigen Informationen bereitstellt. Allerdings können in die Informationen unter den Stichworten „Seiten“ bzw. „Zeilen“ nicht einfach so übernommen werden, denn diese beziehen sich auf Word-Seiten bzw. Word-Zeilen und nicht auf die von uns benötigten Normzeilen. Diese Werte müssen wir daher erst noch umrechnen. Wie das geht, dazu gleich mehr. Die Angaben unter „Wörter“ können dagegen so übernommen werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Word nicht nach Wörtern, Abkürzungen oder auch Zahlen unterscheidet, sondern alles als Wort zählt, was davor und dahinter ein Leerzeichen oder ein Satzzeichen hat.
Zeichenanzahl von MS Word in Normzeilen umrechnen
Diese Umrechnung ist relativ einfach. Wir nehmen einfach die Anzahl „Zeichen (mit Leerzeichen)“ aus dem „Wörter zählen“-Fenster und teilen diese durch 55. Das Ergebnis dieser Division ist dann auch schon die Anzahl der Normzeilen des gesamten Textes. Selbstverständlich sind die Leerzeichen auch zu berücksichtigen, denn sie sind ja ein wesentlichen Bestandteil der Textgliederung. Sollte einmal ein Auftraggeber danach fragen, bietet sich die Rückfrage an „Soll ich die in der Übersetzung weglassen?“.
Zeichenanzahl von MS Word in Normseiten umrechnen
Dies ist nicht ganz so einfach wie das Umrechnen in Normzeilen. Die Normseite ist definiert als 30 Zeilen zu je maximal 60 Zeichen. Das ergäbe rein rechnerisch zwar 1800 Zeichen je Seite, ist aber nach Auffassung des VdÜ (Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V., https://www.literaturuebersetzer.de) und der VG Wort (Verwertungsgesellschaft Wort, https://www.vgwort.de) so nicht korrekt (siehe hierzu auch https://literaturuebersetzer.de/pages/wissenswertes-archiv/normseite.htm). Auch die pauschale Berechnung von 1500 Zeichen pro Seite ist so nicht korrekt. Der Grund hierfür ist, dass die Normseite in erster Linie im Verlagswesen verwendet wird und eine Zeile auch dann als vollständige Zeile zu zählen ist, wenn diese nicht bis zum Ende vollgeschrieben ist. Daher geht bei der Berechnung von Normseiten kein Weg daran vorbei, einen Text auf Normseiten um zu formatieren. Diesen Weg hier zu erläutern, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Im Internet finden sich viele Anleitungen und Dokumentvorlagen hierzu.
Diese „Wörter zählen“-Funktion gibt es leider nur bei MS Word. Für Excel und PowerPoint gibt es diese Funktion nicht, sodass hier andere Wege zur Berechnung von Wörtern und Normzeilen beschritten werden müssen. Wer mit einem so genannten CAT-Programm (Computer Aided Translation) arbeitet, kann die in diesen Programmen eingebaute Funktion zur Ermittlung von Normzeilen, Wörtern etc. nutzen. Darüber hinaus gibt es auch reine Wortzählprogramme, wie zum Beispiel PraktiCount [Edit Januar 2023: Veraltet, für aktuelle Betriebssysteme nicht mehr verfügbar], AnyCount (https://www.anycount.com) oder TextCount. [Edit 1/2023: Der frühere Direktlink zu TextCount funktioniert nicht mehr; das Programm ist in aktualisierter Form weiterhin über bestimmte Download-Portale erhältlich.] In diesen Programmen sind die Informationen bereits so aufbereitet, dass sie ohne weitere Umrechnung übernommen werden können. [Edit 2023: Inzwischen nehmen uns moderne CAT-Tools diesen Zwischenschritt weitgehend ab. Dennoch sollte man solche branchenüblichen Zählprogramme kennen.]
Ganz zum Schluss die eigentlich alles entscheidende Frage: Welchen Preis muss ich pro Wort, Normzeile oder Normseite ansetzen? Diese Frage ist allerdings nicht so einfach zu beantworten wie die oben genannten. Hier spielen sehr viele Faktoren mit rein, angefangen bei den eigenen Kosten über Sprachkombination bis hin zum Kundenkreis. Welchen Preis ein Übersetzer ganz persönlich pro Texteinheit benötigt, das erkläre ich in meinem DVÜD-Webinar „Preiskalkulation“. Wann das nächste Webinar stattfindet, kann hier nachgelesen werden https://termine.dvud.de.
Warum kann die Textmenge nicht wie bei einigen Übersetzungsbüros nach der Anzahl der Wörter berechnet werden? Bei berlin Translate zum Beispiel basiert das Angebot auf der Anzahl der Wörter. ( Hier: https://berlin-translate.de/uebersetzung-preise).
Hallo Andreas,
ich frage mich, was in einem professionellen Forum der Hinweis zu suchen hat, die Texte würden auf Zeilen getrimmt und nicht auf sprachliche Korrektheit. Dem möchte ich entschieden widersprechen. Ich rechne mit fast allen meinen Kunden nach der Zeilenzahl im Zieltext ab, und zwar entweder zum vereinbarten Zeilenpreis oder zum Festpreis, den ich anhand der Textsorte und Textinhalts vorher für den Kunden kalkuliert habe. Zum Beispiel wird bei einer Übersetzung aus dem Spanischen der Text bei einem einfachen Immobilienkaufvertrag um ca. 10%, bei einer Vollmacht um bis zu 35% länger – und genau dieser neue Text stellt meine Leistung dar, die ich vereinbarungsgemäß berechne. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei juristischen Übersetzungen Rechtsfiguren der Ausgangsrechtsordnung möglicherweise in der Zielrechtsordnung gar nicht existieren, d.h. ich muss sie umschreiben. Und das Ganze hat kein bissschen ein Geschmäckle, darauf möchte ich ganz deutlich hinweisen, sondern ist solide kalkuliert.
Hallo Sabine,
vielen Dank für deinen Kommentar. Vielleicht ist dieser Hinweis etwas unglücklich formuliert. Worauf wir hinauswollen ist, dass es immer wieder Kunden gibt, die genau diese Befürchtung äußern.
Ich finde es aber gut, dass du mit dieser Abrechnungsweise zurechtkommst und deine Kunden dir vertrauen.
Bei mir funktionieren diese Expansionsfaktoren leider überhaupt nicht. Ich habe gerade letztens erst wieder eine Analyse gemacht und komme für Chinesisch zu Deutsch/Englisch auf Faktoren zwischen 1,4 und 2,4.
Liebe Grüße
Andreas