Die Internet-Plattform Booking.com hat jüngst eine unglaubliche Ausschreibung veröffentlicht. Unglaublich, weil sich hier ein Auftraggeber über den Dienstleister stellt – auf eine so dreiste Art, dass wir das einfach kommentieren müssen!
1. Der Auftraggeber fordert „Tax Documentation“. Schön und gut, aber jeder professionelle Sprachdienstleister hat eine Umsatzsteuer-ID, mehr braucht der Auftraggeber nicht und mehr geht ihn auch nichts an. Möglicherweise kann man hier argumentieren, dass der AG sich vor dem Vorwurf der Beschäftigung eines Scheinselbstständigen schützen will. Doch wirksam schützen kann er sich davor ohnehin nicht, da eine entsprechende Beurteilung Sache eines Gerichts wäre. Und wenn die Angst davor so groß ist, sollte sich Booking.com dann nicht besser an eine Agentur wenden? Aber halt – Agenturen könnten ja mehr kosten!
2. Available immediately. So so. Da sitzt also irgendwo ein Sprachdienstleister, der höchste qualitative Ansprüche erfüllen soll. Dass solche Personen über Wochen im Voraus ausgebucht sind, das kommt den Herrschaften nicht in den Sinn!
3. Uninterrupted internet access and good computer literacy. Diese Forderungen sind überflüssig, das sind des Übersetzers Werkzeuge!
4. Experience … das hat etwas mit Professionalität zu tun. Und dass dieser „Auftraggeber“ das extra erwähnt, zeigt nur, wie wenig er von Übersetzern weiß oder gar hält.
5. Unpaid test translation (that will not be used on our website!). Mal abgesehen davon, dass man so etwas als Auftraggeber grundsätzlich nicht verlangen sollte, ist es fast schon unverschämt, dass Booking.com dies als „Vorteil“ bzw. als etwas, das sie „bieten“ anpreisen. Die Verwendung einer kostenlosen Testübersetzung ist nach dem Urhebergesetz sowieso nicht gestattet, außer der Übersetzer räumt explizit Nutzungsrechte daran ein. Nutzungsrechte gehen nämlich in der Regel erst mit dem Begleichen des vereinbarten Entgelts über.
6. Free translation system … Wenn ein Kunde eine eigene Software-Lösung baut, dann sollte es normal sein, dem Dienstleister die nötigen Zugänge zur Verfügung zu stellen.
7. Ein Profi braucht keinen Support in administrativen Belangen. Im Umkehrschluss fragt man sich unweigerlich, welche Stellung sich der Auftraggeber in der Geschäftsbeziehung einräumt. In diesem Fall spricht er mit solchen Formulierungen dem Dienstleister jegliche Kompetenz ab, was keine Grundlage für eine Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe sein kann.
8. Potential long-term cooperation … Natürlich, weil er sonst niemanden finden wird, der für Peanuts arbeitet und dazu noch qualifiziert und gut ist! Meist bleibt dies zudem eine leere Phrase, weitere Aufträge folgen selten.
9. Der Kunde diktiert den Preis. Das ist unerhört. 3 Eurocent pro Wort? Bei den geforderten 10 k Wörtern (der Arbeitsleistung von gut drei Tagen von guten Übersetzern) pro Woche sind das gerade mal 300 Euro netto. Aber der Übersetzer soll, bitte schön, immer verfügbar sein. Es gibt Übersetzer, die machen diesen Umsatz in 4 Stunden. Die meisten haben einen Tagessatz, der locker doppelt so hoch ist. Dieser Preis ist unverschämt! Zumal Booking.com hier auch noch von einer „sliding scale“ spricht. Das bedeutet, Texte, die bereits (oder irgendwann dann) im Translation Memory vorhanden sind, werden – wenn überhaupt – nur noch anteilig berücksichtigt.
9a. These prices are fixed and non-negotiable. Nein! Niemals! Der Dienstleister bestimmt seinen Preis. Der Auftraggeber kann natürlich sein Budget nennen. Aber keine Preise vorgeben.
10. Prompt payment and self-billing invoicing … Ist ja sehr nett, dass sie darauf hinweisen, aber ein Profi bekommt sein Geld immer sofort, schließlich will der Kunde die Lieferung ja auch sofort. Zudem sind Übersetzungen Werkleistungen und damit sofort nach Abnahme zur Zahlung fällig. Räumt ein Übersetzer längere Zahlungsfristen ein, dann ist das maximal sein guter Wille. Der nächste Punkt: Warum darf der Übersetzer seine Rechnungen nicht selbst stellen?
11. … evaluate your translation potential Und … detailed feedback on the quality of your work. Wenn der Auftraggeber im Bereich Übersetzungen so kompetent ist, dass er das Potential des Übersetzers beurteilen und so detailliertes Feedback geben kann, warum braucht er dann überhaupt einen professionellen, freiberuflichen Dienstleister? Vermutlich weil ein Übersetzer in Festanstellung nun mal nicht für 1.200 Euro im Monat zu haben ist. Nun, wenn es nach uns ginge, würde er auch keinen freiberuflichen Übersetzer zu diesen Konditionen finden.
Genau das ist doch die Aufgabe eines Verbandes: Dafür zu sorgen, dass alle Kolleginnen und Kollegen erfahren, dass das hier vorgestellte Beispiel nicht die Norm ist und es auch nicht werden darf! Wir hoffen, wir konnten hiermit ein wenig aufklären und auch, dass junge oder neue Kolleginnen und Kollegen schnell erkennen, dass Ausschreibungen dieser Art nicht unbedingt zu Kunden führen, mit denen man zusammenarbeiten will.
@Anonym Ich habe ein Übersetzungsbüro in Wien gefunden. Dort könntest du es evtl. versuchen. Garantieren kann ich nicht dafür. Habe bisher gutes über die gelesen.
Hallo, kennt jemand von euch vielleicht noch ähnliche Seiten wie booking.com oder auch gengo.com, die langfristige Übersetzungsjobs anbieten, auch an Übersetzer ohne Abschluss und/oder langjähriger Erfahrung?
LG
Leider nein.
Obwohl ich Ihnen hier in vielen Punkten Recht gebe, muss ich Booking.com dennoch ein wenig verteidigen:
Ich arbeite seit Ewigkeiten als freiberufliche Übersetzerin und weiß wie schwierig es ist, an REGELMÄSSIGE Aufträge zu kommen. Bei Booking.com hat man jeden Tag Arbeit. Das Minimum von 10.000 W wöchentlich ist locker schon an 2 Tagen zu bewerkstelligen, da die Ü weitgehend automatisiert sind und man eigentlich nur ein wenig „ausbessern“ muss. Das geht sehr schnell und ich schaffe locker 7000 W am Tag. Und wissen Sie, wie viel da letzten Monat zusammen gekommen ist? 3192 EUR…
OK, ich habe das Glück, aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen, wo es wohl auch die meisten Texte gibt und die nicht so bald ausgehen.
Trotzdem. Ich habe einen Uni-Abschluss, 23 Jahre Erfahrung ausschließlich auf dem Gebiet Übersetzen/Dolmetschen und fühle mich mit diesen 3000+ EUR absolut nicht ausgenutzt.
Wobei ich betonen muss, dass ich anfangs auch skeptisch war und mir diese Ausschreibung aus den selben Gründen wie hier genannt nicht gefiel. Jetzt arbeite ich seit Juli bei Booking.com, die erste Abrechnung betrug 1400 EUR und mittlerweile wie gesagt über 3000. Somit bin ich also recht froh, auf diesen Wortpreis „hereingefallen“ zu sein.
Aber jeder entscheidet natürlich für sich selbst. Gruss!
Und sie haben es schon wieder getan: Die gleiche Ausschreibung ist aktuell wieder online 🙁 Man kann nur hoffen, dass niemand (oder zumindest fast niemand) darauf „hereinfällt“ und glaubt, der angegebene Wortpreis etc. wären normal in Deutschland!