Unsere Kollegin Gabi François steht Kolleginnen und Kollegen gerne mit Rat und Tat zur Seite. Besonders jungen Menschen bringt sie unseren Berufsstand gerne näher. Wer Gabi kennt, schätzt sie für ihr fachliches Know-how und ihr Einfühlungsvermögen. Auch wenn sie selbst Freelancerin ist, ist sie davon überzeugt, dass es auch die Aufgabe von erfahrenen Übersetzern ist, jungen Menschen Einblick in unsere Arbeit zu geben. Hier ein paar Gedanken von ihr zum Thema.
Argumente für Praktikanten
- Praktikanten sind in der Regel sehr gute Zuarbeiter (Details zu Aufgaben und Qualität siehe unten).
- Praktikanten führen dazu, dass man seine eigenen Arbeitsabläufe reflektiert, möglicherweise in Frage stellt und ändert – oder aber bestätigt sieht.
- Gern wird ins Feld geführt, dass man kein „richtiges“ Büro hat. Praktikanten haben aber heutzutage fast alle einen eigenen Klapprechner. Und wenn sich im Arbeitszimmer tatsächlich nicht einmal ein winziger Arbeitsplatz findet, tut’s auch die Küche.
- Wenn nicht wir selbst für die Nachwuchsförderung tun, wer soll es dann?
Wie finde ich Praktikanten?
- Schulen ansprechen wegen Schulpraktika (normalerweise 1 bis 2 Wochen)
- Realschulen und Gymnasien ansprechen wegen Schulabgängern, die möglicherweise mit einer Übersetzerausbildung liebäugeln, aber sich erst einmal informieren wollen
- Unis ansprechen wegen Praktikumsplätzen (von den Semesterferien bis zur Diplomandenbetreuung, präsent oder virtuell – ist alles möglich)
Bezahlung von Praktikanten
Schulpraktikanten werden normalerweise nicht bezahlt, freuen sich aber sicherlich über eine Aufmerksamkeit:
Wörterbuch für die Schule, Geschenk fürs individuelle Hobby, Kinokarten … Einfach während des Praktikums genauer hinhören, da findet man schnell heraus, in welche Richtung die Interessen gehen.
Unipraktikanten erwarten eine Bezahlung, diese sollte den Vorkenntnissen (Erstsemester bekommen weniger als Bachelors) und den Leistungen angepasst sein (Fixum vereinbaren und je nach Leistung am Ende eine Prämie drauflegen).
Fragen an bzw. Aufgaben für die Praktikanten
(je nach Neigung, Vorbildung und Eignung):
- Was macht überhaupt ein Übersetzer bzw. ein Dolmetscher?
- Welche Ausbildungsmöglichkeiten zum Übersetzer/Dolmetscher gibt es und wo?
- Welche Übersetzerverbände gibt es und was sind ihre Ziele?
- Welche Mailinglisten gibt es und wozu dienen sie?
- Welche Übersetzerforen gibt es und wozu dienen sie?
- Welche sonstigen Netzwerkmöglichkeiten gibt es?
- Welche Arten von Kunden gibt es?
(Direktkunden, Agentur, Kollegen …) - Wie und wo akquiriert man Kunden bzw. wie kommt man an Übersetzungsaufträge?
- Wie und womit betreibe ich Recherche?
(Wörterbücher, Internet, Fachbücher, Unibibliothek, Stadtbücherei, Hersteller, Messen, …) - Wie ist der Ablauf einer Auftragsbearbeitung vom Zeitpunkt der Anfrage bis zur Rechnungsstellung?
- Was ist die DIN EN 15038 und was fordert sie?
- Welche Kosten (privat und beruflich) müssen von den getätigten Umsätzen bezahlt werden?
- Wie berechnet man den eigenen Stundensatz?
- Welche Abrechnungsarten gibt es? (Einheit Wort/Zeile/Seite, Basis AT/ZT)
- Was versteht man unter dem Expansionsfaktor und wie ermittelt man ihn?
- Wie schütze ich mich gegen (bekanntermaßen) zahlungsunwillige Kunden?
- Wie ist die Preisgestaltung im Markt?
- Was ist ein Zählprogramm und wie funktioniert es?
- Welche Zählprogramme sind auf dem Markt und worin bestehen die Unterschiede?
- Wie schreibe ich ein Angebot, eine Auftragsbestätigung, eine Rechnung?
- Welche Steuern muss ein Übersetzer bezahlen?
- Welche Ausnahmeregelungen gibt es?
- Welche Aufbewahrungsfristen gelten?
- Welche unterschiedlichen Textformate gibt es?
- Wie kann man diese gegebenenfalls konvertieren?
- Was ist ein CAT und wie funktioniert es?
- Welche CAT sind auf dem Markt und worin bestehen die Unterschiede?
- Wo kann ich (kostenlos) ausländisches Radio hören bzw. ausländisches TV sehen?
- Wo kann ich (kostenlos) ausländische Bücher und/oder Zeitschriften lesen?
- Welche deutsch-XY Kulturverbände gibt es, was sind ihre Ziele, welches Programm bieten sie an?
- Welche öffentlichen Fördermittel gibt es für Übersetzer (Studenten und Unternehmer) und welche Voraussetzungen muss nach dafür erfüllen?
Ich mache das immer so, dass ich den Praktikanten diese Fragen als Aufgabe stelle, sie überlegen und suchen lasse und dann das Ergebnis mit ihnen durchgehe.
Außerdem gibt es grundsätzliches Wissen, das man vermitteln sollte, wie
- Mailprogramm
- Adressverzeichnis
- Ablagesystem
- Kunden-/Lieferanten-Datenbank
- Sonstige Büroorganisation
- Versicherungen
- Terminologiearbeit
- Kniffe und Tricks bei der Recherche in Suchmaschinen
- Kundenpflege
- Mailinglisten, Internetforen, Businessportale
Ich habe inzwischen auch einen ganz guten Bestand an Büchern *über* das Übersetzen und die Selbständigkeit von Übersetzern, die die Praktikanten sich ausleihen können. Hier ein paar davon:
- Döhler/Heino; Auskommen mit dem Einkommen; ADÜ Nord
- Das Praktikum im Dolmetschen und Übersetzen; DBÜ
- Frielinghaus (Hg.); Der Butt spricht viele Sprachen – Grass-Übersetzer erzählen; Steidl
- Glaubitz; Der Job, der zu mir passt; campus
- Erfolgreich selbstständig als Dolmetscher und Übersetzer; BDÜ
- Grünes Licht – Ratgeber zur Existenzgründung; ADÜ Nord
- Snell-Hornby; Handbuch Translation; BDÜ
- Mayer (Hg.); Koordinierung von Praxis und Lehre des Dolmetschens und Übersetzens; OLMS
- Schiemenz et al.; Menschen – Märkte – Möglichkeiten; ADÜ Nord
- Mit Erfolg in die Selbstständigkeit; ADÜ
- Buchholz; Ratgeber Freie; Heußlinger
- Horn-Helf; Technisches Übersetzen in Theorie und Praxis; UTB
- Macheiner; Übersetzen – ein Vademecum; Piper
- Wilss; Übersetzen und Dolmetschen im 20. Jahrhundert; BDÜ
- Neidhardt, Überleben als Übersetzer, Eigenverlag
Es gibt noch jede Menge mehr, was Praktikanten tun können:
- Bestand an Wörterbüchern katalogisieren
- Terminologiepflege
- Alignement (Aufbereitung von Ausgangs- und Zieltext für CAT)
Das alles selbstverständlich in Abhängigkeit vom geistigen Niveau, von den Vorkenntnissen und von der Dauer des Praktikums.
Und natürlich *kann* man die jungen Leute auch übersetzen lassen. Ich habe beispielsweise ein paar fremdsprachliche Texte in petto, die ich gern von Schulpraktikanten ins Deutsche übersetzen lassen (z. B. eine Spielanleitung für Boule, eine Gebrauchsanweisung zum Puddingkochen – also Texte, in die die Praktikanten sich aus dem täglichen Leben gut hineindenken können).
Die Rohübersetzung lasse ich sie mehrmals überarbeiten, am Ende ohne Zuhilfenahme des Ausgangstextes, und anschließend die verschiedenen Versionen miteinander vergleichen.
Stundenten, Bachelors usw. können natürlich auch für anspruchsvolle Texte eingesetzt werden, das lernen die schließlich an der Uni (oder sollten es zumindest).
Aber wenn man nun mal nichts zum Übersetzen hat? Kommt ja vor. Dann *muss* keine Langeweile aufkommen – siehe oben. 🙂