Alltag im Zeichen von Corona

Ein Gastartikel von Bettina Röhricht

Eigentlich sollte dieser Blogbeitrag von den neuen Bedingungen handeln, die ab dem kommenden Jahr in Großbritannien für ZuwanderInnen aus EU-Ländern gelten. Doch seit ein paar Wochen wird unser Leben wie das Leben der Menschen in vielen anderen Ländern auch vom Coronavirus bestimmt, und deshalb geht es in diesem Beitrag um unseren Alltag im Zeichen von COVID-19.

Alltag im Zeichen von Corona

Als ich im Februar das letzte Mal FreundInnen und Familie in Deutschland besucht habe, war Corona für uns noch ein eher abstraktes Thema, von dem wir in den Nachrichten hörten, das uns aber nicht direkt betraf. Dann tauchten im Gebäude meines Gemeinschaftsbüros Schilder auf, die zum verstärkten Händewaschen aufriefen. Die Hamsterkäufe fingen an: Toilettenpapier, Desinfektionsmittel für die Hände, Nudeln, Mehl waren überall ausverkauft… und Paracetamol, das wir dringend brauchten, nirgends bekommen konnten und schließlich doch noch fanden, wenn auch zu mehr als dem doppeltem Preis.

Kurz darauf bat die Leitung der Kooperative, die mein Gemeinschaftsbüro vermietet, dass alle zu Hause arbeiten sollten, denen das ohne Schwierigkeiten möglich war. Ich habe also mein Heimbüro bezogen, und Iain arbeitet ohnehin zu Hause.

Hilfen für Freiberufler im UK

Die Regierung sagte zu, ArbeitnehmerInnen, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr arbeiten können, 80 % ihres Lohns zu zahlen. Wir haben uns daraufhin mehrfach die offiziellen Informationen über Hilfe für durch Corona in Not geratenen BürgerInnen durchgelesen. Irgendwann dämmerte uns, dass für FreiberuflerInnen wie uns tatsächlich keine Hilfe vorgesehen war – es sei denn, man erkrankte an Corona. In dem Fall könnte man das gesetzliche Krankengeld Statutory Sick Pay beantragen (94.25 £ pro Woche, etwas über 100 €). Man konnte auch einen Antrag auf Sozialhilfe (Universal Credit) stellen.

Wir haben in unserem Freundeskreis mehrere Selbstständige, die durch die Folgen der Corona-Pandemie ihre Lebensgrundlage verlieren. Wie sollten die ohne staatliche Hilfe klarkommen? Zum Glück hat die britische Regierung dann schließlich den Selbstständigen doch noch Unterstützung zugesagt: Personen, deren Einnahmen von Corona betroffen sind, sollen bis zu 80 % ihres Gewinns bekommen (maximal 2.500 £ monatlich). Wer erst seit kurzer Zeit selbstständig ist, hat hierauf allerdings keinen Anspruch. Und: Die Zahlungen erfolgen frühstens ab Juni.

Einschränkende Maßnahmen

Die Maßnahmen zur Einschränkung der Ausbreitung wie etwa Schulschließungen usw. wurden in Großbritannien später ergriffen als in anderen Ländern. Am 20. März wurde abends bekannt gegeben, dass Cafés, Pubs und Restaurants ab dem nächsten Tag schließen sollten. Am 23. wurden dann weitere Maßnahmen bekannt gegeben: Wer von zu Hause arbeiten kann, muss dies auch tun. Wir dürfen nur noch aus dem Haus, um zum Arzt, zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gehen (alle non-essential shops mussten schließen), außerdem einmal am Tag nach draußen, um Sport zu treiben oder spazieren zu gehen (Link zu den Vorschriften). Treffen mit Personen, die nicht zum eigenen Haushalt gehören, sind nicht mehr erlaubt. Trotzdem waren in den sozialen Medien Bilder überfüllter Londoner U-Bahnen zu sehen, da einige ArbeitgeberInnen von ihren Angestellten weiterhin verlangten, zur Arbeit zu erscheinen.

Was bedeutet das für uns?

Iain und ich fühlten uns durch die neuen Regeln nicht sonderlich eingeschränkt, da wir ja schon seit einer Weile von zu Hause gearbeitet, größere Menschenansammlungen gemieden hatten usw. Außerdem haben wir zu Hause relativ viel Platz und auch ein schönes Naturschutzgebiet in der Nähe. Aber viele Menschen, die alleine wohnen und sich nun nicht mehr mit anderen treffen dürfen, werden von den neuen Vorschriften schwer getroffen. Umarmungen und Treffen sind ihnen vorerst nur noch virtuell möglich.

Wir haben derzeit beide noch Arbeit, dennoch sind wir froh darüber, dass wir im Notfall Hilfe vom Staat bekommen würden. Und wir haben das große Glück, eine sehr nette Vermieterin zu haben. In Großbritannien gibt es kaum MieterInnenschutz, sodass man im Prinzip jederzeit sein Zuhause verlieren kann (einen Kündigungsgrund müssen VermieterInnen dabei nicht angeben). Die gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Monaten wurde nun aufgrund der Corona-Krise um einen Monat verlängert – immerhin.

Was hören wir vom NHS?

Sorge bereitet uns, dass der NHS mit einer stark steigenden Anzahl Erkrankter überfordert sein könnte. Großbritannien hätte noch Zugang zum gemeinsamen EU-Beschaffungsprogramm für Beatmungsgeräte, von denen es im Land nicht ausreichend gibt. Doch die Regierung Johnson verzichtet – mit der Begründung, das Land könne selbst Beatmungsgeräte herstellen. Und obwohl mit über 1000 Fällen (Stand 28.3.2020) bereits mehr als doppelt so viele Menschen an COVID-19 gestorben sind wie etwa in Deutschland, werden nur wenige Tests durchgeführt. Nicht einmal MitarbeiterInnen der staatlichen Gesundheitsversorgung NHS werden bisher landesweit systematisch getestet. Laut Medienberichten soll sich dies nun endlich ändern.

Lichtblicke in der Nachbarschaft

Hilfsangebot einer Nachbarin (Foto: Bettina Röhricht)

Inmitten der von Panik und Unsicherheit geprägten Lage gibt es aber auch Lichtblicke. Wie als Gegenpol zum Hamstern gab und gibt es auch jede Menge Hilfsbereitschaft: Sehr früh schon bildeten sich online wie offline Hilfsnetzwerke aus Menschen, die einander mit Rat und Tat unterstützen. Der kleine Naturkostladen, in dem wir immer einkaufen, begann mithilfe lauter Freiwilliger die Menschen gratis zu beliefern, die das Haus nicht mehr verlassen können. NachbarInnen, zu denen wir bisher keinen Kontakt hatten, boten ihre Hilfe an. Und fast immer, wenn wir bei unserem täglichen Ausgang jemandem begegnen, freuen sich alle, einen anderen Menschen zu Gesicht zu bekommen. Bei allem Verlust und Verzicht scheint uns diese Krise einander auch näher zu bringen. Und ich hoffe, wenn sie überwunden ist, werden wir vieles, was uns immer selbstverständlich war, mehr zu schätzen wissen.


DVÜD-Gastautorin Bettina Röhricht ist Dipl.-Übersetzerin und Systemische Beraterin. Sie übersetzt aus dem Englischen und dem Portugiesischen ins Deutsche. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt, Politik und Bildung sowie redaktionelle Texte. Als Coach unterstützt sie andere ÜbersetzerInnen, die sich mehr Zufriedenheit und Erfolg mit ihrer freiberuflichen Tätigkeit wünschen. Mehr über Bettina steht auf ihrer Facebook-Seite; Folge 1, Große Entscheidungen, erschien am 31.1.2020.

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