Große Entscheidungen

Seit 2016 blickt der Kontinent gebannt auf das Drama um den Brexit, und 2020 wird es nun offenbar Ernst. DVÜD-Mitglied Bettina Röhricht lebt und arbeitet als deutsche Staatsbürgerin in England. Die Redaktion hat sie gebeten, uns unter der Rubrik “Neues aus Lancaster” in den nächsten Monaten in lockerer Folge aus ihrem Alltag zu berichten.

(BR) Seit Oktober 2016 wohnen mein Partner Iain und ich im Nordwesten Englands. Nach langen Jahren in Deutschland zog es Iain, der Engländer ist, wieder in die Heimat. Und da wir beide als freiberufliche ÜbersetzerInnen von England aus genauso gut arbeiten können, beschlossen wir, gemeinsam dorthin zu ziehen.

Lancaster: Ideal für uns als Freiberufler

Also machten wir uns auf die Suche nach einer Stadt, die unsere wichtigsten Anforderungen erfüllte: nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, lebendig und ein bisschen alternativ, eher im Norden des Landes gelegen, mit Bahnhof, Wandermöglichkeiten und schöner Natur ausgestattet, und Gemeinschaftsbüros sollte es auch geben. Lancaster kam in die engere Auswahl, eine 50.000-Einwohner-Stadt in Lancashire, ganz in der Nähe des Nationalparks Lake District. Wir sind dann für ein paar Tage hingefahren, um uns die Stadt genauer anzusehen. Sie gefiel uns so gut, dass wir uns auch vom Dauerregen nicht abschrecken ließen. Unser neuer Wohnort stand also fest!

Lancaster Castle, eine eindrucksvolle Burg mit dicken Mauern und Zinnen.
Lancaster Castle, eine der Sehenswürdigkeiten unserer Stadt (Foto: Bettina Röhricht)

Schwieriger als diese Entscheidung gestaltete sich dann die Suche nach einer Bleibe, denn als FreiberuflerInnen mit Haustieren waren wir nicht unbedingt die begehrtesten MieterInnen. Und so steckten wir noch mitten in der Wohnungssuche, als am 23. Juni 2016 in Großbritannien über den Austritt aus der EU abgestimmt wurde. Während wir noch dabei waren, den Schock zu verarbeiten, bekamen wir endlich die ersehnte Zusage für ein Haus. Nach einigem Hin- und herüberlegen haben wir uns entschieden, trotz allem den Umzug zu wagen.

Seit drei Jahren in England – und der Brexit?

Mittlerweile wohnen wir seit über drei Jahren hier. Es gefällt uns gut: Die Berge im Lake District sind super zum Wandern, dank toller Radfernwege kam man gut mit dem Fahrrad unterwegs sein (in einer halben Stunde ist man am Meer), und Anschluss fanden wir auch schnell. Insgesamt fühlen wir uns hier sehr wohl.

Von deutschen FreundInnen und Verwandten werde ich natürlich oft gefragt, wie sich der Brexit auf unser Leben hier in England auswirkt. Zum Antworten muss ich dann immer ein bisschen weiter ausholen. Zwar erfolgt am 31. Januar 2020 offiziell der Austritt, ab dann läuft aber bis Ende des Jahres erst einmal eine Übergangsphase, in der sich zumindest rechtlich für mich wie auch für britische StaatsbürgerInnen nichts ändert: Man ist über den NHS krankenversichert, kann ohne Visum ein- und ausreisen und braucht keine Zollformulare auszufüllen, wenn man ein Geburtstagspaket ins EU-Ausland schickt. Auch beruflich bleibt für uns erst einmal alles beim Alten.

Allerdings kann ich auch nicht behaupten, dass die politische Entwicklung im Lande gar keine Auswirkungen auf unseren Alltag hier hat. Oft sind das nur Kleinigkeiten – zum Beispiel ist Iains Lieblingskaffee deutlich teurer geworden, was nach Aussage der Laden-MitarbeiterInnen am Absturz des britischen Pfunds lag. Manches ist auch nicht direkt greifbar; man hat einfach immer wieder den Eindruck, dass eine angespannte Stimmung herrscht. Viele Menschen haben Angst vor dem, was nun auf sie zukommt. Chronisch Kranke, die auf im EU-Ausland produzierte Medikamente angewiesen sind, stocken ihre Vorräte auf. Und immer wieder gibt es Anzeichen dafür, wie gespalten das Land politisch ist: zum Beispiel, wenn sich zwischen überzeugten Brexit-Gegnern und -Befürwortern ein tiefer Graben mitten durch eine Familie zieht.

Iain und ich versuchen, optimistisch zu bleiben. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen hätten wir ja immerhin – zumindest, was unsere Arbeit betrifft – die Möglichkeit, bei Bedarf das Weite zu suchen und in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Trotzdem blicken auch wir natürlich mit etwas Unbehagen in die Zukunft. Doch außer Abwarten können wir im Moment nicht viel tun.

Wie wird es weitergehen – politisch, aber auch für uns, beruflich wie privat? Davon werde ich hier künftig aus Lancaster berichten.

Hintergrundinformationen zum Thema Brexit gibt es auf dieser Website des Auswärtigen Amtes:

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/europa/Brexit

DVÜD-Gastautorin Bettina Röhricht ist Dipl.-Übersetzerin und Systemische Beraterin. Sie übersetzt aus dem Englischen und dem Portugiesischen ins Deutsche. Ihre Schwerpunkte sind Umwelt, Politik und Bildung sowie redaktionelle Texte. Als Coach unterstützt sie andere ÜbersetzerInnen, die sich mehr Zufriedenheit und Erfolg mit ihrer freiberuflichen Tätigkeit wünschen. Mehr über Bettina steht auf ihrer Facebook-Seite.

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