von Milana Nauen
Rechtssprache ist eine Fachsprache, die im Rechtswesen verwendet wird. Wie jede Fachsprache dient sie der Effizienz der Kommunikation unter Fachleuten, unterscheidet sich jedoch von anderen Fachsprachen dadurch, dass sie nicht nur von Fachleuten verwendet wird und verstanden werden soll. Für jeden* von uns gelten Gesetze und Verordnungen, wir erhalten Strafzettel, schließen Verträge über Dienstleistungen und machen notariell beglaubigte Kopien. Somit muss das, was von Juristen geschrieben wird, auch von einfachen Bürgern verstanden werden. Die Besonderheit der Rechtssprache besteht auch darin, dass Sachverhalte und Vorgänge mit ihr nicht nur beschrieben, sondern auch bewirkt werden können. Mit Rechtssprache kann man „behaupten, begründen, regeln, verbieten, vereinbaren“ und beweisen (Thormann et al. 2016). Dies haben Übersetzer und Dolmetscher in ihrer Arbeitssprache sinngetreu wiederzugeben.
Rechtssprache in der Praxis
Aus Sicht von Übersetzern und Dolmetschern kann man folgende Einsatzgebiete nennen, in denen die Ausgangsrechtssprache (z.B. Deutsch) in die Zielrechtssprache übersetzt und gedolmetscht wird:
- Rechtsetzung: Übersetzen von Gesetzen und Rechtsverordnungen
- Rechtspflege: Übersetzen im straf- und zivilrechtlichen Bereich (Anklageschriften, Haftbefehle, Strafbefehle, Urteile, Beschlüsse, Klagen und Klageerwiderungen), Verdolmetschung von Gerichtsverhandlungen im Bereich der streitigen (Strafprozess, Zivilprozess) und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Familien-, Betreuungs-, Nachlasssachen) sowie Verdolmetschung von Rechtsanwaltsgesprächen
- Vorsorgende Rechtspflege: Übersetzungen und Verdolmetschung von notariellen Urkunden
- Öffentliche Verwaltung: Dolmetscheinsätze bei der Polizei, Übersetzung und Verschriftlichung von abgehörten Gesprächsinhalten (TKÜ) für die Kriminalpolizei
- Wirtschaft und Politik: Übersetzungen von allgemeinen Geschäftsbedingungen, privatrechtlichen Verträgen zwischen Firmen, multilateralen völkerrechtlichen Verträgen
- Wissenschaft: rechtswissenschaftliche Artikel
- Personenstandsurkunden: Übersetzung von Geburts-, Ehe-, Scheidungs- und Sterbeurkunden, die personenstandsrelevante Termini enthalten
Herausforderungen der Rechtssprache
Zwischen zwei Rechtsordnungen
Jeder Staat hat eine bestimmte Rechtsordnung und dementsprechend seine eigene Rechtssprache. Die Besonderheiten und die sprachliche Ausprägung einer Rechtsordnung werden durch einen Komplex an Faktoren bedingt: die historische Herkunft und Entwicklung der Rechtsordnung, die spezifische juristische Denkweise, die Rangordnung der Rechtsquellen, die Auslegungsmethoden und eigentümliche Rechtsinstitute. Bei Rechtsübersetzungen bewegt sich der Übersetzer zwischen zwei Rechtsordnungen: der Rechtsordnung des Staates der Ausgangssprache und der Rechtsordnung des Staates der Zielsprache (Sandrini 1999).
Die terminologischen Unterschiede können erheblich sein, insbesondere in solchen unterschiedlichen Rechtskreisen wie im anglo-amerikanischen, europäischen und ehemals sowjetischen. Selbst wenn es sich um eine Sprache handelt, können innerhalb dieser viele eigenständige Rechtssprachen existieren. Die juristische Terminologie jedes Staates ist völlig autonom, so z.B. existiert keine einheitliche deutsche Rechtssprache, sondern mehrere eigenständige deutsche Rechtssprachen: in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein, Belgien, Südtirol und die deutsche Rechtssprache der EU.
Gemeinsprache vs. Fachsprache
Die Rechtssprache verwendet Ausdrücke der Gemeinsprache, die ihren eigenen, von dem gemeinsprachlichen Verständnis stark abweichenden Sinn haben. Die Unterschiede in der Bedeutung eines und desselben Wortes als eines gemeinsprachlichen Wortes und als eines rechtssprachlichen Begriffs können gravierend und für Laien nicht offensichtlich sein, so z.B. bei Wörtern/Begriffen Besitz, Klage, Kind, regelmäßig, aktenkundig (sieheThormann 2019). Die jeweiligen Termini als Teil der Rechtssprache sollen von einem Übersetzer erkannt und in der juristischen Arbeitssprache wiedergegeben werden.
Sprachenspezifische Besonderheiten
Besonderheiten der deutschen Rechtssprache werden im Satzbau, der Nominalisierung, der Linksattribution, der Verwendung von Passivformen und in anderen lexikalischen Konstruktionen sichtbar (siehe z.B. Thormann et al. 2016, Sander 2004). Jede andere Rechtssprache hat ihre einzigartigen Merkmale, die der Übersetzer kennen muss, um den Sinn richtig wiederzugeben und stilistisch einwandfrei zu übersetzen. Unabdingbar sind hier auch Kenntnisse von sprachlichen Kollokationen und Konventionen (siehe dazu Schlüter-Ellner 2012).
Rechtssprache und Ermächtigung / Vereidigung
In einigen Bundesländern sind sichere Kenntnisse der deutschen Rechtssprache eine der Voraussetzungen für die Ermächtigung, Beeidigung bzw. öffentlicher Bestellung der Übersetzer und Vereidigung der Dolmetscher (z.B. in NRW, NI, RP, SH und HB). Die Kenntnisse der deutschen Rechtssprache werden nicht in allen Bundesländern gefordert, was dazu führt, dass unvorbereitete Übersetzer und Dolmetscher mit Herausforderungen der Rechtssprache konfrontiert werden.
Ein unmittelbarer Nachweis über die sicheren Kenntnisse der Arbeits-/Fremdsprache wird in keinem Bundesland gefordert.
Lediglich in Hamburg orientiert sich die Prüfung am Bedarf der Gerichte und Behörden und macht deutlich, dass die Beherrschung der juristischen Fachtermini sowohl in der Deutschen als auch in der Arbeitssprache erforderlich ist.
Unabhängig davon, ob die Kenntnisse der Rechtssprache explizit gefordert und vorausgesetzt werden, ist eine qualitative juristische Übersetzung oder Verdolmetschung nur dann möglich, wenn der Übersetzer sich in diesem Fachgebiet spezialisiert und an seinen Kenntnissen der deutschen und der fremden Rechtssprache arbeitet.
Erlernen und Aneignen der deutschen und anderer Rechtssprachen
Als Eigenfortbildung
Das Thema deutsche Rechtssprache (für Dolmetscher und Übersetzer) wird in einer Reihe von Büchern behandelt, die eigenständig durchgearbeitet werden können (einiger der Titel sind in der nachstehenden Liste aufgeführt). Eine Fortbildung in Eigenregie ist nicht für jeden geeignet, zusätzlich zum großen Zeit- und Lernaufwand fehlt hier die Möglichkeit Fragen zu stellen und sich somit zu vergewissern, dass alles richtig verstanden wurde. Beim Aneignen der Rechtssprache einer anderen Rechtsordnung kann man nach entsprechenden Lehrwerken in jeweiligen Ländern recherchieren. Leider sind nur wenige Nachschlagewerke zur Rechtsvergleichung zwischen konkreten Rechtsordnungen und Rechtsgebieten vorhanden, die Übersetzungen der Rechtssprachen als Schwerpunkt haben.
Bei einer Institution
In der Übersicht der Bildungseinrichtungen im Blog-Artikel des DVUD e.V. (siehe „Aus- und Weiterbildungsleitfaden für Übersetzer und Dolmetscher“) sind mehrere Institutionen genannt, die Übersetzer und Dolmetscher mit verschiedenen Arbeitssprachen in den Bereichen Recht, Rechtsvergleichung, Straf- und Zivilrecht aus- und fortbilden.
„Deutsche Rechtssprache“ als eigenständigen Kurs wird von mehreren Bildungseinrichtungen angeboten. Diese sind z.B. in den Hinweisen zur Allgemeinen Beeidigung und Ermächtigung von Sprachmittlern in Nordrhein-Westfalen aufgezählt (siehe dritten Absatz auf Seite 6).
Für diejenigen, die Russisch als Arbeitssprache haben, bietet in diesem Gebiet etwas ganz Neues die Online-Übersetzerschule Sprachinvest: den Kurs „Deutsche Rechtssprache PLUS russische Rechtssprache für Übersetzer/Dolmetscher in Deutschland“.
Zum Abschluss
Nicht selten werden Rechtsübersetzer gefragt, ob sie Juristen sind. Muss man tatsächlich Jurist sein, um in diesem Bereich tätig zu werden?Nein. Neben der Beherrschung von translatologischen Methoden und Techniken sind großes Interesse für dieses Themengebiet, sowie die Bereitschaft sich Kenntnisse anzueignen und zu vertiefen und rechtsvergleichend zwischen zwei Rechtsordnungen zu recherchieren ausschlaggebend. Eine grundlegende Einarbeitung in dieses Gebiet ist hier jedoch unabdingbar.
*Zwecks besserer Lesbarkeit wird in diesem Artikel generisches Maskulinum verwendet. Selbstverständlich sind alle Geschlechter gleichermaßen gemeint.
Verwendete Literatur und Literaturempfehlungen
- Daum, U. (2019). Gerichts- und Behördenterminologie. Eine gedrängte Darstellung des Gerichtswesens und des Verwaltungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Auflage 2019. Berlin: BDÜ Weiterbildungs- und Fachverlagsgesellschaft mbH.
- Nauen, M. (2020): Übersetzung von Gerichtsdokumenten: Herausfordernd, richtig und unverständlich (mit Beispielen aus dem Sprachenpaar Russisch-Deutsch). In: Babel, Volume 66, Issue 2 «Übersetzen und Dolmetschen im juristischen Bereich», May 2020, p. 254 – 277.
- Sander, G.G. (2004). Deutsche Rechtssprache. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: A. Francke Verlag Tübingen und Basel.
- Sandrini, P. (1999) Translation zwischen Kultur und Kommunikation: Der Sonderfall Recht. In: Sandrini, P. (Hrsg.). Übersetzen von Rechtstexten. Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnungen und Sprachen. Tübingen: Narr. S. 9-44.
- Schlüter-Ellner C. (2012). Juristendeutsch verständlich gemacht / Treffende Verben in der deutschen Rechtssprache. BDÜ Weiterbildungs- und Fachverlagsgesellschaft mbH, Berlin.
- Simon H., Funk-Baker G. (2013). Einführung in das deutsche Recht und die deutsche Rechtssprache. München: Beck.
- Stolze, R. (2014). Praxishandbuch Urkundenübersetzung. Fertigkeiten, Terminologie, Rechtssprache. Tübingen: Stauffenburg.
- Stolze, R. (2019). Die Translatorische Perspektive des Rechtsübersetzers – Verknüpfung von Inhalt und Form. In: Simonnæs I. und Kristiansen M. (eds.): Legal translation. Current Issues and Challenges in Research, Methods and Applications. Berlin: Frank & Timme. S. 373-389.
- Thormann I. (2019). „Sich einlassen“, „regelmäßig“, „billig“, „fremd“ – aus der Umgangssprache vertraute Wörter mit anderer Bedeutung in der Rechtsterminologie. In: Nationale Variation in der deutschen Rechtsterminologie. Schriftenreihe der Deutschsprachigen Gemeinschaft – Band 13. Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. S. 49-56.
- Thormann I., Hausbrandt J. (2016). Rechtssprache: klar und verständlich für Dolmetscher, Übersetzer, Germanisten und andere Nichtjuristen. Berlin: BDÜ.
Unsere Gastautorin Milana Nauen ist Geprüfte Übersetzerin (IHK), allgemein beeidigte Dolmetscherin und ermächtigte Übersetzerin für die russische Sprache (OLG Düsseldorf), Master of Arts in Deutschlandstudien und promovierte Soziologin (Sankt Petersburg). Sie verfügt über 17 Jahre Berufserfahrung als Übersetzerin und Dolmetscherin und ist zurzeit vorwiegend für Amts- und Landgerichte, Notare, Rechtsanwälte und kommunale Behörden tätig. Seit 2014 ist sie zudem Dozentin für juristische Übersetzungen an einer Übersetzerschule in Düsseldorf. Seit 2019 ist sie BDÜ-Referentin.