Ein Beitrag von Ines Kauffoldt
Wie wird die Work-Life-Balance definiert?
Als Übersetzerin greife ich im Zweifelsfall am liebsten zum Duden. Dort wird Work-Life-Balance kurz und knapp beschrieben: „Ausgewogenes Verhältnis zwischen beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnissen einer Person.“
So weit, so gut. Klingt doch ganz einfach. Dieser Definition nach müssen sich Beruf und Privatleben also die Waage halten. Sagen wir, acht Stunden arbeiten, den Abschaltknopf drücken und das Privatleben genießen.
Wenn es so einfach wäre, würde unsere Suchmaschine aber nicht 3.270.000.000 Ergebnisse liefern. Kurzgefasst: beinahe 3,8 Milliarden Artikel, Tipps, Webseiten und und und. Warum ist das so, wenn man doch nur eine gute Balance zwischen dem Berufs- und dem Privatleben schaffen muss?
Gründe für eine unausgewogene Work-Life-Balance
Hier kann man eine ellenlange Liste führen. Fangen wir mal mit der ständigen Erreichbarkeit an, die in unserem heutigen Leben (leider) vorherrscht. Und wenn wir ehrlich sind, fühlen wir uns ohne Smartphone, Tablet und dergleichen nicht wohl: Nomophobie („No-Mobile-Phone-Phobia“). Eine Angststörung des digitalen Zeitalters. Neben der Smartphone-Sucht geht das Hand in Hand mit der Angst, etwas zu verpassen – „Fear of Missing Out: FoMo“. Wir sind verunsichert und empfinden eine innere Unruhe. Dabei überfordert es unser Gehirn, da es nicht mit der Flut an Informationen, Nachrichten, Anrufen und besonders auch den massenhaften Beiträgen aus den sozialen Medien nicht zurechtkommt.
Aber das führt dazu, dass uns unsere Auftraggeber, Vorgesetzten oder Kollegen weiterhin ständig erreichen können. Hier ist unser eigenes Zutun wichtig. Also alle beruflichen Geräte aus, das Telefon oder die E-Mail ignorieren. Auch hier macht unser Kopf sehr häufig nicht mit. „Ach, ich schaue noch mal eben in diese eine E-Mail – danach bin ich deutlich entspannter“. Wer erkennt sich selbst hier wieder? Ertappt. Leider bleibt es eben nicht nur bei dieser einen E-Mail. Diese muss dann entsprechend weitergeleitet werden, sonst ist xyz eventuell verärgert, die Deadline kann nicht wie gewünscht vorzeitig erreicht werden. Das schlechte Gewissen klopft hier gerne auch einmal an. Schwierig wird es vor allem dann, wenn das Endgerät auch für private Zwecke genutzt wird. Aber unten sind Möglichkeiten aufgelistet, um gerade diesen Bereich etwas zu entschleunigen.
Gehen wir hier mal auf unsere Branche ein, die Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen. Viele von uns arbeiten freiberuflich. Die flexiblen Arbeitszeiten bringen uns unglaublich viel Freiraum, aber auch sehr viel Druck. Es gibt keine Stempeluhr, Überstunden werden nicht verzeichnet und können zu einem ruhigeren Zeitpunkt abgebaut werden, wir sind ständig da. Natürlich können wir je nach Auftragslage eben diese Überstunden abbauen, wenn ruhigere Zeiten herrschen. Doch das ist nicht so leicht zu planen wie die Vereinbarung in der Firma: „Nächsten Dienstag macht ich drei Stunden früher Schluss, Überstunden abbauen.“ Diese Unvorhersehbarkeit setzt freiberufliche Dienstleister unter Druck. Hier kommt auch wieder die Erreichbarkeit zum Tragen. Wir schreiben unsere Kunden und potentielle Auftraggeber an und möchten schnell antworten, bevor der Auftrag an jemand anderen geht. Hinzu kommt der immense Preisdruck, aber das ist ein anderes (wenn auch nicht zu vernachlässigendes) Thema.
Technische 24/7-Erreichbarkeit und flexible Arbeitszeiten sind zwei große Gegengewichte für unsere ausgewogene Work-Life-Balance. Die Liste lässt sich beliebig fortführen, aber kommen wir nun lieber dazu, wie man das wieder ins Gleichgewicht bringt.
Zeit für sonstige Aufgaben
Sonstige Aufgaben? Was denn noch alles? Ganz klar, eben jene Aufgaben, die wir bewusst gar nicht als Aufgaben zählen. Aufstehen, Körperhygiene, Trinken, Essen. Das geht so nebenbei, aber wir müssen uns das ganz bewusst vor Augen führen, wie wichtig auch diese Lebensaufgaben sind. Ich habe an dieser Stelle ganz bewusst den allerwichtigsten Punkt ausgelassen: Schlafen. Wie wichtig Schlaf ist, merkt man erst, wenn man einige Tage bis spät in die Nacht noch gearbeitet hat um ja etwaige Deadlines zu erreichen. Das verzeiht der Körper einem sicherlich ein paar Tage lang. Aber langfristig kann das sehr gefährlich werden. Es bringt uns vielmehr, uns täglich eine bestimmte Uhrzeit vorzunehmen, zu der der PC einfach ausgemacht wird. Idealerweise auch die Smartphones. Dann sollte man sich ganz bewusst vom Arbeitsbereich wegsetzen und sich eine Auszeit gönnen, bevor es ins Bett gehen. Bestenfalls schonen wir hier unsere Augen und lesen ein Buch, puzzeln oder machen einfach nichts und trinken einen schönen Tee. Und dann ab ins Bett. Nur so schaffen wir es, am Folgetag ausgeruht und ausgeschlafen wieder ans Werk zu gehen. Das ist gar nicht so einfach. Man möchte ja häufig gerne noch seine Lieblingsserie schauen und „abschalten“. Das sollte man auch, bitte. Aber wenn man den ganzen Tag vor dem PC saß, ist es eine Wohltat für Gehirn und Augen, dies nicht zu tun.
Auch der Haushalt, Einkauf, Kochen gehören inzwischen zu den Aufgaben, von denen wir wissen, dass sie erledigt werden müssen, diese aber mehr und mehr nebenbei erledigen und Gefahr laufen, ungesund zu kochen, unnötiges Zeug einzukaufen oder eben den Haushalt eine längere Zeit unerledigt zu lassen. Hier hilft eine gute Organisation. Habt ihr schon einmal von „Picnic“ oder „Flaschenpost“ gehört? Das sind nur zwei Beispiele für Lebensmittelieferanten. Diese gibt es schon in sehr vielen Städten. Das hat zwei sehr große Vorteile: ihr müsst nicht raus, spart so wahnsinnig viel Zeit. Weiterhin könnt ihr den Einkauf sehr gut planen. Ihr legt direkt die Lebensmittel in den Warenkorb, wie eine Art Einkaufsliste, und wenn ihr alles habt (gerne über ein paar Tage hinweg sammeln), könnt ihr nochmal alles ansehen und habt stets eine Preiskontrolle. Im Supermarkt ist das sehr schwer, es sei denn, ihr habt immer euren Taschenrechner dabei. Das wäre auch eine Möglichkeit, nimmt aber sehr viel Zeit in Anspruch. So habt ihr bereits zwei Zeitfresser auf ein Minimum reduziert: das Erstellen eines Einkaufszettels und das Einkaufen selbst.
Haushalt. Wir hören es derzeit überall. Künstliche Intelligenz (KI). Warum nicht auch für den Haushalt nutzen? Investiert in einen Saug/Wischroboter. Hier habt ihr täglich eine gesaugte Wohnung. Dass der nicht in jede kleine Ecke kommt ist klar, aber ihr spart euch immens viel Zeit beim Großputz. Und als i-Tüpfelchen kommt hinzu, dass ihr euch wohler fühlt, denn die Wohnung ist immer sauber. Die Investition lohnt sich.
In der Küche hilft eine Küchenmaschine. Sie sind teuer, ja. Aber hier gibt es viele Alternativen zum Platzhirschen, die mindestens genauso gut sind. Auch in den Kleinanzeigen sind viele verfügbar. Kochen ist für viele ein Hobby, eine Entspannungsmethode und sie machen es mit Leidenschaft. Das ist großartig und soll auch bitte so sein. Aber im Alltag, wenn die Deadlines rufen, die Kinder um einen herumwirbeln, Telefone nicht stillstehen ist es eine große Arbeitserleichterung, wenn man die Zutaten in den Topf wirft und eine halbe Stunde später das Essen frisch auf dem Tisch steht.
Zeit für mich selbst
Das ist die wahrscheinlich schwierigste Aufgabe im Bereich Work-Life-Balance: Wann bin ich dran? Und was mache ich mit diesem Freiraum? Haushalt? Nein. Spielen mit den Kindern? Nein. Das entspricht nicht dem Anspruch, mir SELBST gerecht zu werden. Viele Smartphones bieten heutzutage die Funktion „Bitte nicht stören“. Warum sollte man diese nicht nutzen? Hier kann man schön seine persönlichen Notfall-Anrufe zulassen, z.B. Kita, Schule. Damit hat man die Gelegenheit sein Handy ruhigen Gewissens auch mal auszuschalten.
Ein nettes Tool, das in jedem App-Store verfügbar ist, nennt sich Forest. Du kannst selbst bestimmen, wie viel Fokus-Zeit du benötigst und kannst es in Arbeit, Sport, Ausruhen, Soziales und vieles mehr kategorisieren. Damit ist es auch ein schönes Tool für unsere Freiberuflichkeit. Du pflanzt mit deiner Fokus-Zeit einen imaginären Baum. Je länger du fokussiert bleibst, desto mehr oder größere Bäume pflanzt du. Das spornt unheimlich an, das Smartphone nicht in die Hand zu nehmen, um doch mal eben in den sozialen Medien, E-Mails oder sonst wo nachzusehen, was man verpasst hat. Du erhältst auch Münzen, die du für neue Baumarten ausgeben kannst oder auch für echte Bäume. Die App-Betreiber arbeiten hier mit Baumpflanzorganisationen zusammen, um echte Bäume zu pflanzen. Mehr Informationen findet ihr unter https://www.forestapp.cc/.
Alternativen hierfür sind Stay Focused, Offtime, Don’t waste today, und vieles mehr. Schaut, was am besten zu euch passt, womit ihr am besten zurechtkommt und versucht es wirklich zu nutzen. Es hilft. Oder einfach: Handy aus. Zeit für Selfcare. Was ist das bei euch? Eine halbe Stunde das Lieblingsbuch lesen? Ein schönes Bad nehmen? Ein Nickerchen? Sport? Sticken oder Stricken? Im Garten den Bienen zusehen? Im Café eine Freundin treffen? Herumträumen? Sucht euch aus, was euch guttut, denn das gibt euch die Energie für die nächsten Projekte. Es muss auch nichts Produktives oder Zielgerichtetes sein. Das Allerwichtigste ist, die Zeit bewusst für sich zu nehmen und auf sich zu hören, was einem jetzt gerade guttut.
Vielen Dank für diesen Beitrag. Eigentlich wissen wir es ja alles schon längst, aber Hand aufs Herz – wer zieht es tatsächlich durch?
Den Saugroboter habe ich schon, die Küchenmaschine trotz vieler Lästereien auch (und einen programmierbaren Backofen!), die App-Tipps muss ich mir unbedingt anschauen. Ist halt schon was Feines, wenn man “junges Gemüse” im Beirat hat, das die alte Mutti auf neue Ideen bringt 😉