Gastbeitrag von: Tora von Collani und Brian Poole
Zu verlockend erscheint die Vorstellung, einer Maschine einen Text zu füttern und eine zumindest brauchbare Übersetzung zu erhalten: auf Knopfdruck und ohne die (vermeintlich hohen) Kosten für einen Menschen als Übersetzer:in. Da investiert man doch lieber in ein Übersetzungslektorat, in diesem Fall Posteditieren (engl. post-editing) genannt. Das ist kostengünstiger.
Aber ist es wirklich so einfach? Inzwischen liegen viele Erfahrungswerte vor, und die Antwort ist leider: nein.
Posteditieren als Schadensbegrenzung
Dass Posteditieren etwa vier- bis fünfmal so lange dauert wie ein normales Übersetzungslektorat, ist dabei nur ein Punkt, den man gern unter den Teppich kehrt. Doch nicht einmal nach dieser Zeitinvestition wird dieselbe Qualität erreicht, die ein Mensch erreichen kann, der sich intensiv mit dem Text auseinandersetzt. Posteditieren ist meist mehr Schadensbegrenzung als Feinschliff. Auf Teufel komm raus wird versucht zu retten, was die Maschine von sich gegeben hat, und es hilft nicht, dass es schwer ist, sich von einem Text zu lösen, der einmal geschrieben steht. Zumal es beim Lektorieren nicht darum geht, ein Manuskript komplett umzuschreiben, dann könnte man es gleich neu übersetzen (hm!).
Statistik ohne inhaltlichen Sinn
Und wieso liefern DeepL & Co. trotz KI keine fertigen Übersetzungen? Nun, zuallererst muss man sich klarmachen, dass eine Maschine nicht versteht, was sie übersetzt. Sie geht bei ihrer Wortwahl und Formulierung rein statistisch vor. Natürlich kennt sie grammatikalische und orthografische Regeln, deshalb erscheinen maschinengenerierte Texte auch so wunderbar fehlerfrei zu sein – aber eben nur auf den ersten Blick.
Oft werden Bezüge falsch hergestellt – zum Beispiel bezieht sich ein Nebensatz auf das falsche Wort, Teile von Sätzen werden komplett übersprungen, oder plötzlich steht das Gegenteil der ursprünglichen Aussage auf dem Papier (oder Bildschirm). Dies bedeutet, dass man als Posteditor:in akribisch Ausgangs- und Zieltext miteinander vergleichen muss. Ein Moment der Unachtsamkeit, und der Fehler wird überlesen, weil sich der Satz erst einmal gut anhört.
Hinzu kommt die Inkonsistenz in der Wortwahl, die im besten Fall nur verwirrend ist. Wo Humanübersetzer:innen genauestens abwägen, gründlich recherchieren und ihre Entscheidungen im Laufe einer Übersetzung womöglich mehrfach (und an allen betroffenen Stellen) ändern, wenn es um bestimmte, für den Text entscheidende (Fach-)Begriffe geht, schmeißen Maschinen alles wild durcheinander – eben nach statistischen Gesichtspunkten, aber ohne Kongruenz. Das heißt, häufig wird jeder Satz für sich betrachtet und nicht in Zusammenhang mit dem gesamten Manuskript gestellt.
Schwerwiegend ist ebenfalls, dass Fehler im Ausgangstext unerkannt bleiben und übernommen werden, wo Übersetzer:innen eher den Anspruch haben, ein Manuskript durch ihre Arbeit noch zu verbessern.
Bock zum Gärtner
Interessant ist auch die Entwicklung, dass sich Maschinenübersetzungen (engl. machine translation, MT) zunehmend und vor allem merklich verschlechtern. Der Grund ist einfach: Je mehr maschinengenerierte Texte kursieren, desto mehr minderwertiges Material dient dem Training der Künstlichen Intelligenz (KI). Dies führt zu einer Potenzierung der (oft maschinengenerierten) Fehler.
Wo führt das hin?
Gerade in Anbetracht der statistischen Vorgaben, die KI beim „Schreiben“ und Übersetzen befolgt, ergeben sich daraus flache Texte, denen es an Individualität fehlt. Auktoriale Entscheidungen werden nivelliert, bewusst gewählte Stilmittel bleiben auf der Strecke. Die geschriebene Sprache verkommt zum Einheitsbrei. Im besten Fall findet einfach eine Gewöhnung an qualitativ minderwertige Texte statt. Im schlimmsten Fall entwickeln nachkommende Generationen nicht die nötige Sprachkompetenz, um zu erkennen, was Sprache vermag und wie sie eingesetzt werden kann.
Und jetzt?
Zum Glück existiert bereits eine Gegenbewegung all jener, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt und die Möglichkeiten der KI getestet haben. Zahlreiche Verlage sind reumütig zu ihren Stammübersetzer:innen zurückgekehrt, manche lehnen MT auch ohne eigene Tests von vorneherein ab.
Noch ist der Übersetzungsberuf nicht tot, steht aber an einer Wegzweigung. Eine mögliche Gefahr besteht darin, dass immer weniger junge Menschen sich für den Übersetzungsberuf entscheiden und es irgendwann zu einem echten Fachkräftemangel auch in diesem Bereich kommt. Schon jetzt haben sich viele Fachleute aufgrund der Coronakrise und der vermeintlichen Gefahr durch MT vom Metier abgewandt, das meist in Freiberuflichkeit ausgeführt wird.
Mensch und Maschine
Solange Maschinen kein eigenes Bewusstsein haben – würden wir das wirklich wollen? –, können sie nicht leisten, wozu der menschliche Geist in der Lage ist. Und ist es nicht das, was uns als Menschen auszeichnet? Maschinen sollen uns das Leben erleichtern, und das klappt ganz wunderbar, wenn es um physische Aufgaben geht. Aber Denkleistung und Kreativität sind dem Menschen ureigen.
Fazit
Wir haben alle schon einmal ein paar Sätze maschinenübersetzen lassen, um schnell zu erfahren, wovon ein Text handelt. Aber wenn es ums Veröffentlichen geht, führt kein Weg an menschengemachten Übersetzungen vorbei. Zumindest nicht, wenn einem Qualität wichtig ist. „Human translator“ (dt. menschliche:r Übersetzer:in) ist nun ein Qualitätsmerkmal, mit dem Bucherzeugnisse beworben werden.
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Detail des Covers von Robert Seethalers Buch „Das Café ohne Namen“ in Katy Derbyshires Übersetzung („The Café with no Name“, Canongate Books 2025) mit einem Aufkleber vom VDÜ. Foto: Katy Derbyshire
Autorenbeschreibung
Tora von Collani arbeitet als freie Übersetzerin (Deutsch < > Englisch) und Lektorin (Deutsch) mit dem Schwerpunkt Archäologie. 2003 hat sie ihr Studium der Vor- und frühgeschichtlichen Archäologie abgeschlossen und übersetzt und lektoriert seitdem, seit Anfang 2019 in Selbstständigkeit. Nach einigen Jahren in Irland lebt sie derzeit in Berlin.
Brian Poole ist Autor und Übersetzer mit Schwerpunkt in Kulturwissenschaft und Archäologie. Der gebürtige Kanadier studierte an der University of Toronto (Anglistik/Altertumswissenschaft, BA), an Université de Poitiers (Romanistik), an der Philipps-Universität Marburg (Germanistik/Slavistik; MA) und an der Lomonossow-Universität Moskau (Slawistik). Von 1995 bis 2001 war er Dozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft im Peter Szondi-Institut der Freien Universität Berlin.
Tora und Brian arbeiten oft zusammen. Ihre gemeinsame Website: textability.eu.