Gastartikel von Andreas Rodemann
Es gibt Übersetzer und Übersetzerinnen, die der Auffassung sind, selbständig entscheiden zu dürfen, ob die MÜ des Posteditierens (PE) wert ist oder ob sie nicht doch lieber eine neue Humanübersetzung (HÜ) anbieten, wenn ein Kunde sie mit dem PE einer maschinellen Übersetzung (MÜ) beauftragt. Oftmals liegt dieser Entscheidung ein „Ich würde das aber anders übersetzen“ zugrunde. Das mag vom übersetzerischen Selbstverständnis her durchaus in Ordnung sein. Aber auch wenn manche Kunden mit dem PE-Prozess noch nicht so vertraut sind, so wissen viele Kunden inzwischen durchaus, was sie tun, und sind sich dessen bewusst, was sie da bestellen. Und dann ist es nicht immer schlau, dem Kunden einfach so aufzuzeigen, dass das, was er da vorhat, schlecht ist.
Welches Qualitätsniveau ist erforderlich?
Die Geschichte von MÜ plus PE ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Manche Kolleginnen und Kollegen glauben, dass der Kunde von einer MÜ plus PE immer dieselbe Qualität erwarte wie von einer HÜ – und das natürlich immer zum niedrigstmöglichen Honorar. Für manche Kunden mag das sogar zutreffen. Es ist jedoch die Aufgabe des Übersetzers oder der Übersetzerin, solche Missverständnisse aufzuklären. Die Übersetzerin oder der Übersetzer muss dem Kunden erklären, was eine MÜ leisten kann, was ein Full-Post-Editieren (FPE) und was ein Light-Post-Editieren (LPE) leisten kann. Und wann es sinnvoller ist, eine HÜ zu beauftragen – und das möglicherweise auch bei jedem Projekt aufs Neue. So kann dann der Kunde entscheiden, welche Leistung und welche Qualität er beauftragen möchte.
Eine posteditierte Übersetzung, egal ob LPE oder FPE, wird von der Qualität in aller Regel nicht an eine HÜ herankommen. Ein Übersetzer oder eine Übersetzerin, der oder die glaubt, aus einer MÜ eine HÜ machen zu müssen, widerspricht dem gesamten Prozess und macht sich selbst das Leben schwer, weil sie oder er viel zu viel Aufwand in die Aufgabe steckt und so natürlich zu dem Schluss kommen kann, PE sei nicht angemessen honoriert. Dabei geht es beim PE gar nicht darum, jeden Satz so umzuschreiben, wie man selbst es machen würde, sondern in der Regel nur um die Frage, ob der Satz inhaltlich und sprachlich korrekt und verständlich ist. Natürlich gibt es immer eine andere Formulierungsmöglichkeit, die subjektiv vielleicht besser ist als die vorliegende, aber darum geht es nicht. Eine wesentliche Fähigkeit eines Posteditors bzw. einer Posteditorin ist, sich selbst zurückzunehmen, der Übersetzung nicht seinen Stempel aufzudrücken und eben nicht aus einer MÜ die eigene HÜ zu machen. Das können Übersetzerinnen und Übersetzer lernen, wenn sie sich darauf einlassen.
Leistungsgerechte Honorierung
Wer die Qualität einer HÜ erwartet, muss eine HÜ beauftragen und keine PE. Übersetzer und Übersetzerinnen müssen gemeinsam mit ihren Kunden festlegen, was sie von einer HÜ erwarten können, was sie von einer Revision erwarten können und was sie vom Posteditieren (Full oder Light) erwarten können. Und für jede dieser Leistungen gibt es entsprechende Honorare. Dabei ist auch nicht entscheidend, ob das Posteditieren pro Wort oder pro Stunde honoriert wird. Wer sich für die Honorierung pro Wort entscheidet, muss am Ende nur schauen, dass das Gesamthonorar für die PE dem eigenen Zielstundensatz entspricht.
Ich habe auch schon das Argument gehört, PE sei nur ein anderes Wort für Korrekturlesen oder Revision. Doch das Posteditieren darauf zu reduzieren, wird der Sache nicht gerecht. Korrekturlesen, Revision und PE sind zwar alles Überprüfungen einer Übersetzung, aber es sind doch völlig unterschiedliche Tätigkeiten. Und diese Tätigkeiten erfordern jeweils einen deutlich unterschiedlichen Aufwand. Wer natürlich PE, Revision und Korrekturlesen in einen Topf wirft, und der Ansicht ist, dass alles denselben Aufwand bedeute, sollte sich vielleicht nochmal etwas intensiver mit den Unterschieden befassen. Denn ein Käsebrot, ein Drei-Gänge-Menü im Landgasthaus und ein Fünf-Gänge-Menü im Sternerestaurant haben ja auch unterschiedliche Preise.
Der Übersetzerberuf wird nicht verschwinden. Er wandelt sich, ja, er ist schon mitten in diesem Prozess. Wir Übersetzer und Übersetzerinnen haben die Möglichkeit, diesen Prozess, diesen Wandel und somit die Zukunft des Übersetzerberufs mitzugestalten. Denn es sollte uns allemal lieber sein, dass erfahrene Übersetzerinnen und Übersetzer das PE übernehmen, als dieses zukunftsträchtige, lukrative und wesentliche Geschäftsfeld unerfahrenen Laien zu überlassen.
DVÜD-Gastautor Andreas Rodemann ist freiberuflicher Übersetzer und übersetzt technische Texte, Patente und Rechtstexte aus dem Chinesischen und Englischen ins Deutsche. Er ist Gründungsmitglied des DVÜD und war seit Verbandsgründung Beiratsmitglied und von 2014 bis 2017 Beiratsvorsitzender. Seit 2010 ist er Moderator der XING-Gruppe Übersetzer- und Dolmetscher-Lounge und seit 2014 deren Inhaber. Sein wichtigstes Anliegen ist die Förderung von Übersetzern und Dolmetschern in ihrer Eigenschaft als Unternehmer.
Mein Mann hat mich gebeten über das Thema maschinelle Übersetzung etwas mehr Informationen zu sammeln. Ich habe nun diesen Blogbeitrag gefunden und finde ihn super! Ich finde es immer klasse mich über neue Dinge zu informieren und mich weiterzubilden.
Vielen Dank für das Lob. Andreas Rodemann ist wirklich sehr kompetent auf dem Gebiet. Im Laufe der Zeit sind bei uns auch noch andere Artikel zu dem Thema erschienen, so zum Beispiel diese beiden hier:
https://dvud.de/2019/03/augen-auf-bei-maschinenuebersetzungen/
https://dvud.de/2018/05/deepl-der-schein-truegt/
Viel Spaß!
Dieses Thema ist noch komplizierter, denn es müsste hier auch noch berücksichtigt werden, dass verschiedene Übersetzer*innen verschiedene HÜ abliefern, die auch noch ihre Qualitätsunterschiede haben. Der Autor dieses Artikels vergleicht HÜ und MÜ und PE als auch FPE und LPE miteinander, als wären es vergleichbare Objekte und unabhängig von den Menschen, die es anwenden. Ich als Autor eines Buches mit Übersetzungswunsch empfinde mich z. B. bereits als so intelligent, dass ich eine MÜ für mich so nutzen würde, dass ich erst einmal möglichst einfache Sätze im Deutschen formuliere, sie dann maschinell übersetzen lasse, diese Übersetzung dann in ein anderes Übersetzungsprogramm einfüge und es mir wieder ins Deutsche zurückübersetzen lasse. Wenn dann im Deutschen das Gleiche herauskommt, bin ich mit der MÜ schon mal zufrieden. Ich würde dann nur eventuelle MÜ-Fehler von einem Native-Speaker korrekturlesen lassen – und hier wäre mein Maßstab: Hat mein Gegenüber den Inhalt meines Textes verstanden? Dabei bin ich mir bewusst, dass “kreative Wortschöpfungen und Satzschöpfungen mit z. B. ironischen Inhalten” im Deutschen schwierig zu übersetzen sind und vom Sinn her entsprechend eher eine HÜ benötigen. Aber auch hier würde wieder jede(r) Übersetzer*inn andere Ergebnisse liefern. In der Tat kann nur die/der Auftraggeber*in bewerten, was für sie/ihn stimmig ist. Dementsprechend bestimmt die/der Auftraggeber*in, was für sie/ihn “Qualität” hat. Niemand anderes kann eigentlich den Begriff “Qualität” verwenden – schon alleine das wäre eine Anmaßung und würde sich “über” die Wünsche der/des Auftraggeber*in stellen. Die einzige Frage ist: Was wünscht sich die/der Auftraggeber*in und ist sie/er am Ende vollkommen zufrieden? Wenn ja, dann war das, was passiert ist, für die/den Auftraggeber*in qualitätsvoll. So gesehen kann eine MÜ aus der Sicht einer/eines Auftraggeber*in mehr “Qualität” besitzen als eine HÜ. Für die/den Übersetzer*in bleibt allein nur die Frage: Wie viel Honorar möchte ich für meine Tätigkeit? Aber bitte unabhängig von der Qualitätsfrage. Also nicht: Wie viel ist meine Tätigkeit wert. Denn das kann nur die/der Auftraggeber*in für sich entscheiden.