Kaum ein Artikel im DVÜD-Blog hat solche Wellen geschlagen wie der Gastbeitrag der technischen Fachübersetzerin und Autorin Andrea Bernard über die Grenzen von DeepL, einem Tool für neuronale maschinelle Übersetzung, das je nach Textsorte sehr überzeugende Ergebnisse liefern kann. Da ihr Text auf dem technischen Stand im Frühjahr 2018 beruhte, hat die Blog-Redaktion die Diskussion dort geschlossen. Denn es ist sinnvoller, jeweils über den aktuellen Stand zu diskutieren.
Was gibt es 2019 Neues in Sachen Maschinenübersetzung (MÜ)?
Professionelle Übersetzer beobachten die Fortschritte im Bereich MÜ sehr aufmerksam. Wie einst bei der Einführung von Übersetzungssoftware, die insbesondere bei Fachübersetzungen in Technik oder Recht mehr Konsistenz und eine höhere Qualität ermöglicht, möchten wir natürlich wissen, ob und wann wir MÜ selbst einsetzen können, um schneller und besser zu übersetzen. Allerdings klaffen Anwender- oder Kundeneinschätzungen und eigene Erfahrungen weiterhin auseinander.
Typische Einschätzungen von Anwender*innen ohne sprachliche Ausbildung sind:
- Übersetzen mit kostenlosen Internetmaschinen geht superschnell.
- Man kann sich damit in Sprachen verständigen, die man selbst nicht beherrscht.
- Die Ergebnisse erfüllen ihren Zweck.
- Sie sind zuverlässig.
- Wenn es wirklich perfekt sein muss, schaut am Ende noch ein Profi drüber. Der Aufwand ist jedoch nicht hoch, weil die Maschine schon so gut vorgearbeitet hat. Das ist also viel preiswerter als eine klassische Humanübersetzung.
Solche Überlegungen führen zu der Annahme, dass erfahrene, gut ausgebildete Übersetzer bald gar nicht mehr oder nur noch zum ungeliebten Korrekturlesen (in diesem Zusammenhang: Posteditieren) benötigt werden. Anstatt sich auf zeitraubende Diskussionen einzulassen, nehmen Übersetzungsagenturen und Unternehmen diese Einschätzung zunehmend zum Anlass, entsprechenden Preisdruck auszuüben.
Wo ist der Haken?
Wer die nötige Expertise in Ausgangssprache, Zielsprache und Fachgebiet besitzt, wird allenfalls das erste Argument bedenkenlos unterschreiben. Aussage (2) und (3) treffen nur bei entsprechender Fehlertoleranz auf beiden Seiten zu – wer auf MÜ setzt, muss davon ausgehen, dass es zu Missverständnissen kommen kann. Wo die schnelle inhaltliche Orientierung im Vordergrund steht, erscheinen gewisse Abstriche akzeptabel.
Ein Riesenmanko aus fachlicher Sicht ist, dass niemand weiß, ob, wann und an welcher Stelle das System einen Fehler einbaut. Und die beobachteten Fehler sind vielfältig:
- Nicht erkannte Verneinung: Aus einer „cruelty-free“ Kosmetikserie (= ohne Tierversuche) werden im Deutschen „grausamste“ Produkte.
- Wenn im Englischen keine ausdrückliche Geschlechtszuweisung vorgenommen wird, wählen DeepL oder Google Translate im Deutschen in der Regel die männliche Form. In einem Text über eine erfolgreiche Geschäftsfrau ist so in jedem neuen Abschnitt von einem „Unternehmer“ die Rede, „der“ etwas tut.
- Längere oder verschachtelte Sätze brechen mitunter mittendrin ab; ein Teil des Satzes geht dabei verloren.
- Falsches Sprachregister: Der Kontext wird zu wenig beachtet.
- Wortspiele, Wortwitz oder Anspielungen gehen verloren.
- Mangelnde Konsistenz: Die Maschine scheint gute und schlechte Tage zu haben, übersetzt mitunter morgens anders als abends und entscheidet sich nicht einmal innerhalb desselben Textes für eine Version. Aus den bereits erwähnten „cruelty-free products“ wurden in einem längeren Text in der Rohübersetzung einmal „grausamste Produkte“, ein anderes Mal „grausame“ und ein drittes Mal „grausam-freie Produkte“. Und niemand weiß, warum!
- Ungünstige Satzanschlüsse: Die Überleitungen sind nicht geschmeidig; sie klingen hölzern.
- Relaissprachen: Bei fehlenden Direktvergleichen übersetzen Maschinen gern hilfsweise ins Englische und von dort in die gewünschte Zielsprache, was geschulte Augen erkennen. Mitunter taucht aber auch eine weitere Sprache bruchstückhaft im Text auf.
Derartige Fehler gehen zurück, wenn Firmen oder diejenigen, die Sprachdienstleistungen anbieten, unter hohem technischem Aufwand und entsprechenden Kosten eigene Maschinen einrichten und trainieren. Dann können sie firmeneigene oder selbst erarbeitete Fachterminologie und Korpora einfließen lassen und weiter ausbauen. Damit lässt sich zumindest der Zeitfaktor beeinflussen und der Datenschutz gewährleisten.
Dass die großen Suchmaschinen und Sozialen Medien jeden Text als ihr Eigentum einstufen und beliebig verarbeiten, ist bekannt. Doch selbst DeepL warnt in seinen Nutzungsbedingungen auch in der Pro-Version vor der Eingabe personenbezogener Daten. Sensible Daten wie Arztberichte oder Gerichtsakten, aber auch Geschäftsgeheimnisse oder Vertragsabschlüsse gehören damit auch weiterhin nicht in öffentlich zugängliche Maschinen.
Normkonformes Arbeiten
Viele Unternehmen haben sich verpflichtet, normkonform zu arbeiten. Die bisher gültige Norm für Übersetzungsdienstleistungen EN ISO 17100 verlangt unter anderem:
- Die Übersetzenden sollen über einen einschlägigen Hochschulabschluss und/oder mehrjährige Erfahrung im Vollzeit-Übersetzen verfügen.
- Nach der eigenen Überprüfung liest ein zweiter, ebenso qualifizierter Übersetzer die Arbeit Korrektur, damit die Übereinstimmung mit dem Original gewährleistet ist. Im abschließenden Korrekturgang prüft eine dritte Person mit dem passenden Fachwissen (in der Medizin beispielsweise aus Orthopädie, Radiologie oder Immunologie) den Text noch einmal auf inhaltliche Korrektheit.
- Regelmäßige Fortbildung aller Beteiligten.
Bei einer maschinell erstellten Übersetzung muss das mitunter trügerisch glatte Ergebnis sorgfältig auf Logik, Fachlichkeit und Terminologie geprüft und im Zweifelsfall mit dem Ausgangstext verglichen werden. Die Abläufe sind in der Norm DIN ISO 18587 definiert. Zu den Voraussetzungen für Personen, die das Posteditieren übernehmen, zählen eine einschlägige Ausbildung (Hochschulabschluss und/oder mehrjährige Erfahrung als Vollzeitübersetzer), passende Fortbildungen und extrem hohe Konzentration.
Bei unpassenden MÜ-Ergebnissen kann der Korrekturaufwand im Einzelfall höher sein als eine komplette Neuübersetzung. Aus dieser Erfahrung heraus bestehen Fachübersetzer für Lektorat/Korrektorat ebenso wie für das Posteditieren vielfach auf Honorierung auf Stundenbasis.
Vollständiges oder leichtes Posteditieren
Aussage (5) verursacht Übersetzer*innen nach wie vor Bauchschmerzen. Große Unternehmen und Übersetzungsagenturen haben erkannt, dass ihre internen Übersetzungsmaschinen besonders gut lernen, wenn man ihre Ergebnisse nur sehr sparsam bearbeitet. Damit entsteht Nachfrage nach dem so genannten “light post-editing”, bei dem es nur auf inhaltliche Korrektheit und Vollständigkeit ankommt und zugunsten der Maschine stilistische Abstriche in Kauf genommen werden. Diese Vorgehensweise ist offiziell nur zum internen Gebrauch gedacht, nicht für Texte, die veröffentlicht werden sollen — das kann beispielsweise für Entwürfe und Diskussionen in der EU (einem Motor der MÜ in Europa) sinnvoll sein, die intern schnell hin und her übersetzt werden müssen.
Qualifizierte Übersetzer — deren Beteiligung in der entsprechenden Norm vorgesehen ist — scheuen vor derartigen Aufträgen mangels klarer Kriterien häufig zurück und bevorzugen das vollständige Posteditieren oder eine klassische, computerunterstützte Übersetzung mit CAT-Tools.
Wer sich nun selbst ein Bild von der aktuellen Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit öffentlich zugänglicher Übersetzungsmaschinen machen möchte, darf diesen Text gern in Maschinen wie Google, Bing, Yandex oder DeepL eingeben und die Ergebnisse mit denselben oder anderen Maschinen rückübersetzen. Spielen Sie ein wenig Stille Post – ich selbst habe mir abschließend den Spaß erlaubt, diesen Text der Reihe nach ins Dänische – Arabische – Englische – Deutsche zu übersetzen, mal mit nur einer Maschine, mal wild gemischt. Viel Vergnügen!
Stand: Anfang März 2019
Imke Brodersen ist Diplom-Übersetzerin, Fachübersetzerin für Medizin und übersetzt Sach- und Fachliteratur mit medizinischem bzw. psychologischem Hintergrund, aber auch spannende Fantasy-Romane. Als Beiratsvorsitzende im DVÜD e.V. ist sie unter anderem für Blogredaktion und Weiterbildung zuständig und ständig neuen Entwicklungen auf der Spur.