KostRÄG 2021, Novellierung JVEG

Ein Gastbeitrag von Andreas Rodemann

Redaktion: Imke Brodersen

Das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 geht in die letzten Runden. Am Freitag, 06.11.2020, fand eine Beratung im Bundesrat statt, und die ersten Beschlüsse sind gefasst.

Die Vorgeschichte

Zur Einordnung: Im ersten Referentenentwurf von Anfang 2020 sollte noch § 14 JVEG derart geändert werden, dass Sprachmittlerinnen und Sprachmittler künftig nicht mehr dort aufgenommen sind und somit nicht mehr den Rahmenverträgen unterliegen. Hintergründe und Positionen haben beispielsweise der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ), das Bundesforum Justizdolmetscher und Übersetzer (BFJ) und der ADÜ Nord ausführlich erläutert, denn die Berufsverbände wurden frühzeitig um Stellungnahmen gebeten und haben auch entsprechende Umfragen durchgeführt.

Das wäre ein immenser Fortschritt gewesen. Warum? Weil die Rahmenverträge eigentlich nur für Dolmetscher und Dolmetscherinnen gelten dürften, die regelmäßig gerufen werden. Allerdings ist beispielsweise die Polizei gehalten, immer Rahmenverträge zu schließen und bevorzugt Dolmetscher zu rufen, die in ihren Rahmenvertragslisten stehen.

Der aktuelle Stand

Im jüngsten und im Bundesrat akzeptierten Referentenentwurf ist von der Ausnahme von Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen von den Rahmenverträgen leider keine Rede mehr. Auch sollen die Honorare nun deutlich geringer angehoben werden als noch im ersten Referentenentwurf vorgeschlagen. Beschlossen wurde am 6.11.20 im Bundesrat nur noch eine Anhebung von derzeit 70,00 Euro (gültig seit 2013) auf 85,00 Euro pro Stunde. Wenigstens sollen diese Sätze bereits ab 2021 gelten und nicht erst, wie auch zuletzt vorgeschlagen, ab 2023. Das bedeutet eine Erhöhung innerhalb von 15 Jahren (2013 bis voraussichtlich 2028) von ca. 21,43 % bzw. ca. 1,43 % pro Jahr. Das dürfte nicht einmal dem Inflationsausgleich entsprechen. Die Ausnahme von den Rahmenverträgen wurde nicht beschlossen.

Was bedeutet das für Sprachmittler im Justizwesen?

Es ist an der Zeit für Einigkeit unter den Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen. Es geht um die Zukunft aller Kolleginnen und Kollegen. Der Beruf der Gerichtssprachmittlerin bzw. des Gerichtssprachmittlers muss attraktiv bleiben, damit sich junge Kollegen und Kolleginnen in der Gewissheit für diesen Beruf entscheiden, dass es sich auch lohnt.

Wie profitiert die Justiz von qualifizierten Dolmetschern und Übersetzern?

Die Justiz braucht qualifizierte Sprachmittlerinnen und Sprachmittler, denn ohne diese steht das deutsche Rechtswesen, ja sogar der deutsche Rechtsstaat auf dem Spiel. Denn nur mit qualifizierten Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen ist eine faire Behandlung und Verhandlung all jener Personen, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, durch die deutsche Justiz gewährleistet. Schlechtleistung durch unzureichend qualifizierte Kolleginnen und Kollegen kann fatale Folgen für Betroffene vor Gericht haben: Sie führt zu Fehlurteilen, zu Verschiebungen von Verfahren und damit zu hohen Kosten, die durch qualifizierte Sprachmittler und Sprachmittlerinnen vermieden werden könnten. Solch qualifizierte Kolleginnen und Kollegen gibt es aber nicht zum Spartarif.

Es steht jetzt zu befürchten, dass die Differenz zwischen Rahmenverträgen und Honorarsätzen nach §§ 9, 11 JVEG nur noch größer wird. Außerdem steht zu befürchten, dass auch die Differenz zwischen den Honorarsätzen, die Agenturen letztlich zahlen und den Honorarsätzen nach §§9, 11 JVEG ebenfalls größer wird, d. h. die Erhöhung der Honorare nach §§9, 11 JVEG kommt nur bedingt bei den Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern an.

Moment, Agenturen? Ja, denn vielerorts ruft man lieber eine Agentur an, mit der man zudem noch einen Rahmenvertrag hat, anstatt selbst nach einer geeigneten, beeidigten Fachkraft zu suchen. Die Agenturen behalten aber zum Teil nicht unerhebliche Margen vom festgelegten Dolmetschhonorar ein UND unterbieten gleichzeitig die staatlich festgesetzten Sätze, sodass bei freiberuflichen Dolmetschern, die über eine Agentur geladen werden, nicht einmal das niedrigere Honorar vollständig ankommt.

Pflicht zur Übernahme von Aufträgen von Gerichten und anderen Organen

In einigen Bundesländern, z. B. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, gelten eigene Gesetze für Dolmetscher bzw. Dolmetscherinnen sowie Übersetzerinnen sowie Übersetzer. So heißt es z. B. in § 23 (1) 2. Niedersächsisches Justizgesetz (NJG), dass Sprachmittlerinnen und Sprachmittler „Aufträge niedersächsischer Gerichte, Behörden, Notarinnen und Notare zu übernehmen und kurzfristig zu erledigen, es sei denn, dass wichtige Gründe dem entgegenstehen,“ haben. In § 38 (1) 3. Justizgesetz NRW (JustG NRW) heißt es ähnlich, dass Sprachmittler und Sprachmittlerinnen „Aufträge der Gerichte und Staatsanwaltschaften innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen zu übernehmen und kurzfristig zu erledigen, es sei denn, dass wichtige Gründe dem entgegen stehen,“ haben. Ähnliche Paragrafen existieren auch in den Justizgesetzen oder Dolmetscher- und Übersetzergesetzen anderer Bundesländer. Diese Paragrafen sind extrem problematisch. Denn zum Einen besagen sie, dass Sprachmittlerinnen und Sprachmittler Aufträge von Gerichten und Staatsanwaltschaften, in Niedersachsen sogar auch von Behörden und Notarinnen und Notaren übernehmen müssen und nicht ablehnen können. Die „wichtigen Gründe“ sind nicht klar definiert und liegen im Ermessen der beauftragenden Personen. Aussagen von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern zufolge sind Hinweise auf Auslastung und mit Fristen belegte Aufträge teilweise nicht als wichtige Gründe gesehen worden.

Das beeinträchtigt Sprachmittler und Sprachmittlerinnen in ihrer freien, nach unternehmerischen Grundsätzen gestalteten Tätigkeit. Ob diese Paragrafen bereits eine Weisung und damit Anlass zur Vermutung einer Scheinselbständigkeit geben könnten, wäre gerichtlich zu klären. Zum Anderen stellen diese Paragrafen einen versteckten Zwang zur Unterzeichnung von Rahmenverträgen nach § 14 JVEG dar. Denn zum Teil könnten Sprachmittlerinnen und Sprachmittler ohne Unterzeichnung eines Rahmenvertrags ihrer gesetzlichen Verpflichtung gar nicht nachkommen. Da eine Missachtung der Pflichten nach z. B. den vorstehend genannten Paragrafen möglicherweise den Entzug der Vereidigung, Beeidigung oder Ermächtigung nach sich ziehen könnte oder diese einfach nach Ablauf nicht verlängert werden, machen diese Paragrafen im Zusammenhang mit § 14 JVEG eine nach unternehmerischen Grundsätzen gestaltete Tätigkeit für die jeweilige Justiz unmöglich.

Darüber hinaus stehen die Rahmenverträge natürlich auch einer geforderten Voraussetzung für eine Vereidigung, Beeidigung, Ermächtigung, nämlich dass sich Sprachmittler bzw. Sprachmittlerinnen in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befinden müssen, im Weg. Rahmenverträge, die deutlich unterhalb der Honorarsätze nach §§ 9, 11 JVEG abgeschlossen werden, setzen Sprachmittlerinnen und Sprachmittler eher einem Risiko ungeordneter Verhältnisse aus, wodurch sie eine geforderte persönliche Eignung nicht erfüllen würden.

Ein Argument, sie könnten entsprechende Mindereinnahmen auf dem freien Markt wieder wettmachen, verfängt hier nicht, da einerseits die Verpflichtung zur Übernahme von Aufträgen von Justiz & Co. die Übernahme von Aufträgen auf dem freien Markt grundsätzlich erschweren und zum wird dieses Argument durch die Behauptung, die gleichzeitig als Rechtfertigung zu einer deutlich geringeren Erhöhung der Honorarsätze herhalten muss, dass auf dem Übersetzungs- und Verdolmetschungsmarkt ja ohnehin „Dumpingpreise“ herrschen würden, in sich bereits ad absurdum geführt. Also anstatt geordnete wirtschaftliche Verhältnisse für Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern zu ermöglichen, redet sich der Gesetzgeber an dieser Stelle genau mit angeblich ohnehin bestehenden ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen heraus. Allein eine solche Unterstellung und Behauptung ist von Seiten der Sprachmittler und Sprachmittlerinnen nicht hinnehmbar.

Was ist jetzt erforderlich?

Alle Sprachmittler und Sprachmittlerinnen Deutschlands, egal ob vereidigt, beeidigt oder ermächtigt oder auch nicht, egal ob Studentin bzw. Student, egal ob Berufsanfänger bzw. Berufsanfängerin oder erfahrener Kollege bzw. erfahrene Kollegin, sollten jetzt solidarisch aktiv werden. Nur gemeinsam sind wir stark und können mit unliebsamen Praktiken in unserer Branche aufräumen. Die Praxis der Rahmenverträge sollte endlich abgeschafft werden. Die Möglichkeit der Ladung von Agenturen sollte endlich zugunsten der persönlichen Ladung von Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen abgeschafft werden. Denn nur dann kommen die Erhöhung der Honorare nach §§ 9, 11 JVEG auch dort an, wo sie hingehören.

Verbandsübergreifend aktiv werden

Der ADÜ Nord hat eine Briefaktion ins Leben gerufen. Als Gründungsmitglied des DVÜD rufe ich den DVÜD auf, diese Aktion zu unterstützen. Als Übersetzer rufe ich alle Sprachmittlerinnen und Sprachmittler auf, sich an dieser Aktion zu beteiligen. Leider ist die Zeit knapp. Erst seit dieser Woche gibt es diese Aktion, doch die Beratung im Bundesrat war schon heute. Wann die nächste Beratung im Bundestag angesetzt ist, wissen wir derzeit noch nicht.

Bitte verschickt so viele Briefe an so viele Personen wie möglich – besonders an eure Abgeordneten. Wir müssen zeigen, dass wir mit dem, was da jetzt gerade passiert, nicht einverstanden sind. Jetzt haben wir noch die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Wenn das Gesetz erstmal beschlossen ist, bleiben uns nur Zähneknirschen und Hoffen auf die nächste Gelegenheit in vielleicht sieben oder acht Jahren. Natürlich kann sich auch jeder und jede Einzelne weigern, Rahmenverträge zu unterzeichnen, kann bestehende Rahmenverträge kündigen, Ladungen über Agenturen ablehnen (soweit gesetzlich zulässig), auf die gesetzlich festgelegten Honorare bestehen …

Alle Informationen und Vorlagen für diese Aktion findet ihr auf der Website des ADÜ Nord unter dem Stichwort Briefaktion.

Euer Andreas Rodemann

Andreas Rodemann
Foto: privat

Andreas Rodemann ist Übersetzer für Englisch, Chinesisch und Deutsch und Gründungsmitglied des DVÜD. Er hält regelmäßig Webinare zu kaufmännischen Themen wie “Angebot – Auftragsbestätigung – Rechnung” und “Honorarkalkulation”.


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