Gastbeitrag von Birgit Niederhafner

Wer an das Übersetzen im Bereich Medizintechnik denkt, dem fallen vermutlich als erstes Normen ein. Die Entwicklung, Produktion und Dokumentation von Medizinprodukten ist stark reglementiert und wird engmaschig kontrolliert. Dementsprechend groß ist die Bedeutung von Normen auch für die Übersetzung der Dokumentation von Medizinprodukten. Leider haben Normen ein eher schlechtes Image, da sie diametral zu dem stehen, worauf die meisten Übersetzerinnen besonders stolz sind: ihre Kreativität. Und ja, Kreativität und Normen schließen sich ein Stück weit gegenseitig aus. Wer sich jedoch die Vorteile dieser starken Reglementierung zunutze macht, kann profitieren.

Vorteile bei der Recherche

Gutes Übersetzen bedeutet Recherchieren. Wir alle kennen Situationen, in denen wir stundenlang damit beschäftigt sind, den richtigen Begriff für ein spezielles Bauteil zu finden. Bei einem Text aus der Medizintechnik kann ein Blick in die entsprechende Norm ausreichen, denn Normen sind ein wahrer Schatz an Terminologie und etablierten Formulierungen, was uns die Arbeit leichter macht. Dank Internet sind Normen und deren mehrsprachige Inhalte auch relativ leicht zu finden. An dieser Stelle sei die sehr gute Webseite des Beuth Verlags erwähnt, der die Normen in Deutschland veröffentlicht und weiterführende Informationen sowie Weiterbildungen anbietet. Auch bei der TÜV SÜD AG wird die interessierte Übersetzerin fündig. Ein weiterer Vorteil der Arbeit mit Normen: Wir haben die Gewissheit, dass beim Verfassen der Normen Fachexperten am Werk waren, die später mit den Produkten auch zu tun haben. So können wir uns sicher sein, dass unsere Übersetzungen korrekt sind und vom Zielpublikum auch verstanden werden.

Einheitlichkeit für hohe Qualität

Die technische Dokumentation für Medizinprodukte muss sehr strengen Vorgaben folgen. Wie können wir sicherstellen, dass wir diese Vorschriften auch bei der Übersetzung einhalten? Das Zauberwort hier heißt Einheitlichkeit, also die konsistente Verwendung von Begrifflichkeiten und Strukturen innerhalb eines Dokumentes, aber auch über mehrere Dokumente hinweg. Die Einheitlichkeit ist ein Konzept, das jede Übersetzerin kennt und befolgt, denn ein Text ist erst dann ein qualitativ guter Text, wenn er in sich konsistent und einheitlich ist. Dies gilt für alle Textsorten und Fachbereiche. Wer im Bereich Medizintechnik übersetzt und das Prinzip der Einheitlichkeit streng verfolgt, stellt darüber hinaus sicher, dass auch die Einhaltung der behördlichen Vorgaben besser kontrolliert werden kann. Das macht das Leben der Übersetzerin und der Korrektorin, aber auch das der Agentur und des Herstellers leichter. (Wer sich wundert über die wiederholte Verwendung von „Einheitlichkeit“ und „einheitlich“ in einem Absatz: Genau darum geht es bei der Arbeit mit Texten aus dem Bereich Medizintechnik, lieber einen wichtigen Begriff einmal mehr wiederholen, als ein Synonym zu verwenden und Verwirrung zu stiften).

Keine Frage des Geschmacks

Kreativität hat bei Übersetzungen von Texten aus der Medizintechnik nicht viel Platz. Natürlich gibt es auch hier Marketing- und Verkaufsmaterialien zu erstellen, die den Leser ansprechen müssen. Doch sind wir hier ebenfalls stark reglementiert, denn wir dürfen uns nicht zu weit vom Ausgangstext entfernen. Wer im Bereich Medizintechnik übersetzt, der muss genau auf den Wortlaut achten und wirklich sehr genau übersetzen. Aus einem im Text erwähnten möglichen Resultat nach der Anwendung des Medizinprodukts darf kein sicheres Behandlungsergebnis werden. Wer in seiner Übersetzung behauptet, dass das Produkt ein bestimmtes Ziel verfolgt und dieses auch erreicht, bewegt sich unter Umständen auf rechtlich ganz dünnem Eis, wenn der Hersteller im Original lediglich davon sprach, dass dieses Ziel erreicht werden KANN. Kurz: Es dürfen keine falschen Versprechen getätigt werden. Denn es gelten genaue Vorschriften und Gesetze, was behauptet werden darf und was nicht. Und das ist auch gut so, denn in der Medizin geht es unter Umständen um Leben und Tod.

Das Prinzip der Nullfehlertoleranz

In der Medizin haben Irrtümer keinen Platz. Den menschlichen Fehler gilt es weitestgehend auszumerzen. Dementsprechend müssen auch die Instrumente und Produkte, die von Medizinerinnen und Pflegekräften verwendet werden, und deren technische Dokumentation fehlerfrei und vor allem eindeutig sein. Fehler in der Übersetzung sind schwerwiegend, denn sie können Schäden an Geräten oder im schlimmsten Fall an Menschen verursachen. Es muss das Prinzip der Nullfehlertoleranz zu gelten, absolut und ohne Diskussion. Wer Marketing- oder Literaturübersetzungen liebt, in denen mit Sprache ausgiebig gespielt werden darf und es zum guten Stil gehört, sich vom Ausgangstext zu lösen, muss sich beim Übersetzen von Medizintechnik stark zurücknehmen. Das kann durchaus herausfordernd sein und einen hohen Erwartungs- und Belastungsdruck nach sich ziehen. Auch das Korrektorat erfordert mehr Konzentration und Präzision, als dies in manch anderen Fachbereichen der Fall ist, da die Übersetzung minutiös auf komplette inhaltliche und sachliche Deckungsgleichheit mit dem Ausgangstext überprüft werden muss.

Bild von Words as Pictures von StockSnap.io

Normen als ein Pfeiler der Qualitätskontrolle

Auf freiheitsliebende und kreative Köpfe können diese Prinzipien und das Arbeiten mit Normen sehr einengend und abschreckend wirken. Doch im Grunde sind es genau diese Regeln, die das Übersetzen von Dokumenten für die Medizintechnikbranche so lohnend machen. Wenn ich mich an die Vorschriften, etablierten Formulierungen und die vorgegebene Terminologie halte, stelle ich sicher, dass korrekte und exakte Übersetzungen entstehen. Normen helfen dabei, denn werden sie regelmäßig konsultiert, können sie als eine in den Übersetzungsprozess (zusätzliche?) integrierte Qualitätskontrolle betrachtet werden. Wenn ich davon ausgehe, dass die in den Normen verwendete Terminologie und das Glossar des Kunden geprüft wurden, dass das Medizinprodukt, seine Funktionen und Eigenschaften von einer sogenannten „Benannten Stelle“ bewertet wurden und schließlich bei der Erstellung des Ausgangstextes alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten worden sind, dann stelle ich mit der Einhaltung all dieser Regeln bereits ein hohes Maß an Qualität sicher.

Übersetzen von Medizintechnik als lohnende Arbeit

Durch Normen wird das Übersetzen in der Medizintechnik also nicht erschwert. Sie machen das Leben der Übersetzerin sogar leichter. Wer sich auf die Arbeit mit Normen einlässt, wird mit der Gewissheit belohnt, dass es keinen Spielraum für Interpretation gibt. Davon profitiert der Hersteller des Medizinprodukts ebenso wie die Institutionen und Organisationen, die sie nutzen. Und davon profitieren letztendlich wir alle als Patienten. Genau das ist es auch, was die Spezialisierung auf den Bereich Medizintechnik als Übersetzer so spannend macht: Wem es gelingt, die eigene Kreativität, den eigenen Stil und die eigene Persönlichkeit zurückzunehmen und sich eisern an die Vorgaben zu halten, wird mit dem Gefühl belohnt, die Welt insgesamt ein bisschen besser und verständlicher gemacht zu haben.

Birgit Niederhafner aus Konstanz am Bodensee ist seit 2009 im Bereich Übersetzungen und Lektorat selbständig. Sie ist auf Texte aus dem Bereich Marketing, Kommunikation und PR hauptsächlich von Unternehmen aus der Medizintechnik- und IT-Branche spezialisiert. Dabei setzt sie auf den Aufbau von langfristigen vertrauensvollen Beziehungen zu Übersetzungsagenturen und regionalen Unternehmen, da eine langjährige Zusammenarbeit mit kontinuierlichem Feedback einen weiteren wichtigen Pfeiler für hohe Qualität von Übersetzungen darstellt. Weitere Infos auf ihrer Website: www.valtrado.de

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