Mein Einstieg in die Übersetzerwelt

Ich bin in Russland geboren und lebe seit dem Jahr 2000 in Deutschland. Es dauerte 8 Jahren, bis ich meinen Platz in Deutschland fand und mich vollständig integrierte. Meine „Reise“ war Erlebnis pur, sowie abwechslungs- und lehrreich. Mit meinen 22 Jahren fing ich mein Leben ein zweites Mal fast von vorne an: Ich ging wieder zur Schule, um eine neue Sprache zu lernen, später Abitur zu machen und einen neuen Beruf zu erlernen. Am Ende meiner turbulenten „Reise“ kam ich in einem Unternehmen als Sachbearbeiterin im Einkauf unter. Nach einigen Jahren holte mich aber die Langweile ein, und ich sehnte mich wieder nach etwas Neuem. Genau in dieser Zeit bat meine Schwester mich um Hilfe, einen Text für eine Webseite in Deutsch und Russisch zu erstellen. Es hat mir viel Spaß gemacht, diese Aufgabe zu erledigen. Während ich am nächsten Tag zur Arbeit fuhr, war mein Kopf immer noch mit dem Text beschäftigt. So kam mir die Idee, ich könnte doch als Übersetzerin mein zweites Standbein aufbauen. Ich beherrsche beide Sprachen, warum denn nicht? Abends recherchierte ich und fand heraus, wie ich mein Ziel erreichen konnte. Dafür musste ich einen Vorbereitungskurs für die IHK-Prüfung belegen und danach eine Prüfung bei der IHK ablegen. Am nächsten Tag war meine Anmeldung raus, und ich begab mich auf eine neue spannende „Reise“ in die mir noch unbekannte Übersetzungswelt.

Ein Muttersprachler ist nicht gleich ein Übersetzer

Als ich den Kurs startete, wurde mir ganz schnell klar, dass es nicht genügt, eine Muttersprachlerin zu sein und eine weitere Fremdsprache zu beherrschen. Deswegen ist meine Antwort auf die Frage in der Überschrift ein klares „Nein“.

Grund Nummer 1: Sprachliches und fachliches Niveau

Unabhängig davon, wie gut du die Sprache beherrschst, fehlen trotzdem meistens die sprachlichen und fachlichen Qualifikationen bzw. sind nicht auf dem benötigten Niveau. Es muss nicht nur ein entsprechendes Fachwissen (Fachterminologie), sondern auch ein Grundverständnis der zugrundeliegenden Abläufe vorhanden sein. Während des Vorbereitungskurses nahmen wir Bereiche wie Politik, Wirtschaft und Recht durch. Es war sehr umfangreich. Später, als ich anfing zu arbeiten, erweiterte sich der Arbeitsbereich: Technik, Medizin, Immobilien usw. Deswegen wird dringend empfohlen (auch ein Tipp von mir), sich zu spezialisieren. Für Quereinsteiger ist es eine gute Gelegenheit, sich in dem Bereich zu spezialisieren, aus dem man kommt (das Fachwissen ist schon da).

Grund Nummer 2: Übersetzungstechniken und Lösungsstrategien

Um einen Text inhaltlich richtig in einer anderen Sprache wiederzugeben, muss man bestimmte Übersetzungstechniken anwenden, da man nicht immer wortwörtlich übersetzen kann. Das Ziel einer Übersetzung ist, den Sinn, die Stimmung des Ausgangstextes zu wiedergeben. Manchmal ist die Wortgruppe sogar in der Ausgangssprache schwer zu verstehen und wenn man in eine Fremdsprache übersetzt… Um eine andere Formulierung zu finden, die für die Leserschaft verständlich ist, wendet man deshalb bestimmte Übersetzungstechniken an.

Als Übersetzer musst du die Zielgruppe im Auge behalten. Manchmal bedeuten die übersetzten Begriffe nicht immer das Gleiche. Ein gutes Beispiel aus der Politik ist der Begriff „Präsident“ (Sprachen DE-RU), da der Präsident in Deutschland andere Aufgaben und Befugnisse hat als der Präsident in Russland. Im Bereich „Recht“ muss man immer darauf hinweisen, um die Realien welches Landes es sich dabei handelt, da die Gesetze verschiedener Länder nicht gleich sind.

Diese Techniken und Lösungsstrategien werden in einem Vorbereitungskurs und in einem Studium beigebracht.

Ein Tipp von mir: Am Anfang eurer Übersetzungstätigkeit empfehle ich euch, ein Netzwerk aufzubauen und auch einen Mentor zu suchen, der euch während den ersten Jahren unterstützt.

Der DVÜD hat ein Mentoringprogramm unter den Namen #Durchstarter!

Grund Nummer 3: Neue Entwicklungen in der Muttersprache und Aneignung des Fachwissens

Als Übersetzer muss man sich immer weiterbilden, da die Sprache ständig im Wandel ist. Wenn man länger im Ausland lebt und keinen regelmäßigen Kontakt zu Landsleuten hat, die noch im Herkunftsland leben, merkt man nicht, dass die Muttersprache auf dem Niveau der Zeiten bleibt, zu denen das Land verlassen wurde. Daher ist sehr wichtig, sich regelmäßig mit Landsleuten auszutauschen, die im Land der Muttersprache leben, sowie entsprechende Literatur zu lesen.

Die Übersetzungswelt bleibt auch nicht stehen. Es gibt immer etwas Neues in den Fachbereichen, neue Lösungsstrategien usw. Deswegen sollte man regelmäßig Seminare und Webinare besuchen, die die Berufsverbände zahlreich anbieten. Nur so bleibst du immer up to date!

Tipp: Alle DVÜD Mitglieder erhalten einen Nachlass für Seminare bzw. Webinare aller Berufsverbände, die im FIT-Verband Mitglied sind. Bei der Anmeldung solltest du deine Mitgliedsnummer angeben, um einen Rabatt zu erhalten.

Grund Nummer 4: Plötzlich eigener Chef

Solange du als Angestellte beschäftigt bist, kümmert sich der Arbeitgeber um die rechtlichen Angelegenheiten. Sobald du dich jedoch selbstständig machst, bist du plötzlich auf einen anderen Verantwortungslevel. Jetzt bist du (nur du!) dafür verantwortlich, dass dein Geschäft rechtlich gesehen ordnungsgemäß läuft.

Tipp: Der DVÜD hat #Gründerrunden, wo du alle Fragen stellen kannst. (Anmerkung: gilt aber nur für die DVÜD-Mitglieder!)

Fazit: Zwei- oder Mehrsprachigkeit ist nur die Basis

Deswegen ist die Arbeit als Übersetzer trotz Mehrsprachigkeit im Großen und Ganzen nicht ohne eine entsprechende Ausbildung bzw. zusätzliche Qualifikation möglich. Das Leben als Übersetzer ist jedoch sehr interessant und abwechslungsreich. Diesen Weg zu betreten war es für mich sowohl beruflich als privat eine Bereicherung. Neben interessanten Aufträgen lernte ich (und lerne immer noch) viele interessanten Menschen kennen. Gleichzeitig bleibt die Übersetzertätigkeit für mich eine Herausforderung, da ich diese zurzeit neben meinem Hauptberuf ausübe.

Interesse geweckt?

Wenn du diesen Artikel interessant findest und demnächst als Übersetzer starten möchtest bzw. bereits gestartet hast, komm zu uns, besuche unsere Stammtische, abonniere unseren Blog. Dieses Jahr setzen wir den Schwerpunkt auf Unternehmerisches im Rahmen von #Themenwochen. Als Quereinsteiger bekommst du viele Tipps und Unterstützung sowie die Möglichkeit, dich mit erfahrenen Kollegen auszutauschen. Nur zusammen kommt man weiter!

Olga Müller ist allgemein beeidigte Dolmetscherin und ermächtigte Übersetzerin für Russisch (Oberlandesgericht Koblenz) und seit 2020 Mitglied des DVÜD. Sie übersetzt russische und deutsche Texte in den Fachbereichen Wirtschaft, Recht, Immobilien.

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