Einer von sechs Übersetzern der autorisierten Steve Jobs Biografie, die im C. Bertelsmann Verlag erschien
25.01.2012 | Am 5. Oktober 2011 stand die Welt still. Einer der erfolgreichsten Unternehmer aller Zeiten, der Apple-Gründer Steve Jobs, war gestorben. Der Mensch, der nicht nur die IT-Welt revolutionierte, sondern der mit seinen Produkten auch die Straßenbilder in der westlichen Hemisphäre und in Asien, vielleicht sogar auf der ganzen Welt, maßgeblich geprägt hat: Wer kennt sie nicht, die weißen Ohrstöpsel!? Steve Jobs war und ist einer der größten Macher aller Zeiten.
Nur 22 Tage nach seinem Tod erschien die englische Biografie im C. Bertelsmann Verlag. Die deutsche Ausgabe wurde nur 3 Tage später veröffentlicht. Als ich ca. 1 Woche vor Veröffentlichung davon erfuhr, habe ich mich natürlich gefragt, wie das gehen kann. Darum habe ich noch im November den Kontakt zu einigen der Übersetzer gesucht. Drei habe ich angeschrieben, zwei antworteten (mit dem Hinweis auf die Schweigepflicht bis nach der Veröffentlichung und Freigabe seitens des Verlags), darunter Dr. Oliver Grasmück, seines Zeichens wissenschaftlicher Publikationsdienstleister, Sprecher der Regionalgruppe Stuttgart im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V. (VFLL) und Lehrbeauftragter an der Universität Marburg.
Am 25. Januar 2012 hatte ich nun die Möglichkeit, das Interview zu führen. Was meine Vorfreude ein wenig trübte bzw. die Anspannung erhöhte, war die Tatsache, dass die brancheninternen Schlagzeilen der vergangenen Tage meine eigentlich brennenden Fragen eher unspektakulär da stehen lassen würden. Da war die Rede von einer schlechten Leistung der Übersetzer und/oder Lektoren, von Verlagen, die um jeden Preis diese Veröffentlichung direkt so schnell wie möglich durchdrücken wollten, ohne Rücksicht auf Qualität. Aber ich habe das Interview trotzdem in Angriff genommen – und war positiv überrascht!
DVÜD: Herr Dr. Grasmück, zuerst einmal vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, heute meinen Fragen und denen unserer Leser Rede und Antwort zu stehen. Zuerst einmal möchte ich gerne die Fragen stellen, die mir schon im November unter den Nägeln gebrannt haben.
Was für ein Gefühl war das, als man auf Sie zu kam, mit dem Angebot, DIE Steve Jobs Biografie zu übersetzen? Wird man da nicht total nervös, wenn man von vornherein weiß, dass man einen Beststeller übersetzen wird?!
Grasmück: Aufgeregt? Nun, im Prinzip war es ein normaler Auftrag. Klar, er war für mich persönlich schon deutlich interessanter als andere, weil ich mich persönlich auch sehr für die Computer-Geschichte im Allgemeinen interessiere. Das Angebot kam ja schon vor vielen Monaten. Da war Steve Jobs bereits sehr krank. Die Veröffentlichung der Biografie war ursprünglich für ein paar Wochen später geplant. Aber zum Zeitpunkt des Todes war alles schon fertig. Das einzige, was dann vorangetrieben wurde, war die technische Produktion seitens des Verlags.
DVÜD: War Ihnen von Anfang an klar, dass dieses Projekt schwierig werden würde? Mit sechs Übersetzern am Werk, unter dem Zeitdruck?
Grasmück: Sechs Übersetzer an einem Buch, das ist schon ungewöhnlich. In der Regel sind es bei Projekten mit einem solchen Umfang eher drei bis vier. Ursprünglich waren auch hier nur drei Übersetzer eingeplant, die alle für den VerlagsService Dr. Ulrich Mihr in Tübingen arbeiten. Im Grunde ging es darum, dass abgefragt wurde: Wie viele Normseiten schaffst Du bis wann? Dann wurde schon relativ früh ein Termin gesetzt. C. Bertelsmann war dabei jedoch mit seiner Planung an die Vorgaben aus den USA [Anm. Random House] gebunden. Von dort wurde auch der Termin vorgezogen. Als dann die zur Verfügung stehende Zeit immer knapper wurde, kamen noch die drei externen Übersetzerinnen und Übersetzer dazu, die nicht zum Team des Mihr VerlagsService gehörten.
Gesteuert wurde das ganze Projekt vom Redakteur. Wir Übersetzer haben untereinander per E-Mail kommuniziert und haben für die wichtigsten Terminologien ein einfaches, noch in der Entwicklung befindliches Tool verwendet, das im Grunde recht einfache SQL-Abfragen fährt. Dort haben wir gemeinsam mit dem Redakteur diverse Terminologien festgelegt, z. B. ob der „CEO“ der „CEO“ bleibt, oder doch „Geschäftsführer“ wird. Sonst behilft man sich ja in der Literaturübersetzung eher ganz einfachen Mitteln wie Word oder Excel.
DVÜD: Meine letzte Frage, die mich persönlich interessiert: Sind Sie einem Berufsverband angeschlossen?
Grasmück: Ja, als Lektor bin ich Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren VFLL. In einem Übersetzerverband bin ich jedoch derzeit noch nicht.
DVÜD: Ich würde an dieser Stelle gerne auf ein paar Leserfragen eingehen. Was unsere Leser vor allem interessiert, ist: Nach welchen Kriterien wurden die Übersetzer für diesen Auftrag ausgewählt? Wer stellt bei einem solch medienträchtigen Projekt das Team zusammen? Und wird dabei Wert darauf gelegt, dass die Übersetzer den gleichen Stil haben?
Grasmück: Nun, ich arbeite als Literaturübersetzer freiberuflich für den Dr. Ulrich Mihr VerlagsService in Tübingen. Ich erhalte meine Aufträge von dort. Akquise ist nicht meine Sache und als Literaturübersetzer am freien Markt ist es nicht leicht, an die wirklich interessanten Aufträge ran zu kommen. Mihr wurde also von Bertelsmann damit beauftragt, das Übersetzerteam zusammenzustellen. Die Auswahlkriterien waren dabei eher nüchtern: Wer hat Kapazität und verfügt über die entsprechende Sachkunde? Thematik und Zeitrahmen müssen passen. Die zu finden, gerade wenn der Terminplan so straff ist, ist schon sehr schwer. Nicht minderschwierig ist es jedoch, Leute zu finden, die man kennt, von denen man weiß, der könnte mit dem gut zusammenarbeiten… Bei Büchern mit Aktualitätsbezug ist das fast unmöglich.
DVÜD: Hatten Sie ein Mitspracherecht bei den Übersetzungen der anderen Übersetzer?
Grasmück: Nein. Bis auf die vorhin erwähnte SQL-Abfrage untereinander, hat der Redakteur am Ende zugesehen, dass alles möglichst wie aus einem Guss erscheint.
DVÜD: Wie viel Zeit hatten Sie, um „Ihre“ 90 Druckseiten zu übersetzen?
Grasmück: Das waren etwa 80 Stunden.
DVÜD: Werden Sie als Übersetzer so vergütet, wie es der BGH vorsieht, mit einer Gewinnbeteiligung?
Grasmück: Ja. Wir erhalten eine Gewinnbeteiligung.
DVÜD: Wie groß war das Budget des Verlags für dieses Projekt?
Grasmück: Dazu kann ich nicht wirklich viel sagen. Das sind die Dinge, die die Firma Mihr für die Übersetzer übernimmt, also die Vertragsverhandlungen, den Kostenvoranschlag, etc.
DVÜD: Okay, und gab es verlagsseitig eine Betreuung? Gab es vorab Terminologiedatenbanken, Referenzmaterial, Glossare oder Ähnliches?
Grasmück: Nein, betreut wurden wir vom Redakteur. Aber mehr als E-Mail-Schriftverkehr und Telefonate gab es nicht.
DVÜD: Und der Redakteur hat dann nachher auch die Kapitel zusammengefügt und lektoriert?
Grasmück: Ja, das war die Aufgabe des Redakteurs.
DVÜD: Würden Sie Literaturübersetzern empfehlen, sich eher einem Verlagsservice, wie dem von Dr. Mihr anzuschließen, oder eher auf eigene Faust zu arbeiten?
Grasmück: Wenn man einem Verlagsservice angeschlossen ist, profitiert man natürlich von den Kontakten des VerlagsServices. Und auch die Akquise fällt weg. Als Alleinkämpfer kommt man auch äußerst selten an interessante Projekte. Insofern: Ja, ich würde dazu raten.
Ich danke Herrn Dr. Grasmück herzlich für das wirklich offene und interessante Gespräch!
Zunächst möchte ich Dr. Grasmück herzlich danken, dass er uns seine Zeit geopfert hat. Ich denke er hatte in letzter Zeit viele Anfragen und wir sind glücklich, dass er unsere erhört hat.
Martina, Dir möchte ich für Deine offenen Worte danken. Und sowohl Dich als auch alle anderen ermutigen mit uns zu kommunizieren. Wir führen solche Interviews ja nicht aus Spaß sondern für Euch.
Wenn Euch also bestimmte Personen oder Fragen an solche Personen interessieren, dann würden wir uns über Anregungen sehr freuen
Allerdings teilt der Vorstand in diesem Fall auch die Meinung und Einstellung von Tanya vollumfänglich. Ziel war es hier nicht mit Dreck zu werfen oder reißerische Storys zu bringen. Wir wollen anhand von Fakten objektive Artikel veröffentlichen. Ich denke der Druck und die schlechten Bedingungen unter denen die Fehler entstanden sind, ist auch hinlänglich bekannt und brauchte nicht einen erneuten Aufguss. Zumal wir auch Dr. Grasmück nicht in die Bredouille bringen wollten mit Dreck nach seinem Auftraggeber – oder Dritten – werfen zu müssen. Solche einzelfallspezifische Probleme zu klären, dass fällt wohl unter die vertrauliche Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggeber und Übersetzer.
Herzlichst Euer Christoph
Liebe Frau Quintieri,
schade, dass sie nicht stärker auf die Arbeitsbedingungen eingegangen sind. Wenn ich für eine Druckseite (dies ist mehr als eine Normseite!) nur 1,125 Stunden Zeit habe und in dieser Zeit übersetzen, Korrektur lesen, mich mit meinen Kollegen abstimmen und mit dem Redakteur telefonieren soll, dann ist das mehr als grenzwertig! Problematisch finde ich auch, dass nun alle sechs Übersetzer im Kreuzfeuer stehen, obwohl vielleicht nur einige von ihnen schlechte Qualität geliefert haben (ganz zu schweigen vom Redakteur, der einiges beim Lektorieren hätte abfangen müssen). Ich denke, ob man für einen Verlag direkt oder über einen Verlagsservice arbeitet, ist vergleichbar mit der Arbeit für Direktkunden oder Agenturen. Verdienen tut man in jedem Fall mehr auf dem direkten Weg, auch wenn anfangs die Akquise natürlich mehr Zeit beansprucht. Dies vielleicht als Ergänzung für junge KollegInnen.
Freundiche Grüße Martina
Liebe Martina,
zu aller aller erst: vielen lieben Dank, dass Sie hier antworten. In den letzten 24 Stunden haben mich viele – meist über andere Quellen – Reaktionen auf dieses Interview erreicht. Schön, dass jemand endlich mal hier direkt “Kritik” übt. Und in 90 % der Reaktionen hat man meine gestellten Fragen als zu weich dargestellt. Gerne schreibe ich an dieser Stelle ein paar Zeilen zum Interview.
1. Das Interview war schon seit Anfang November in Planung, mit den Fragen, die mich zu diesem Zeitpunkt bewegt haben. Darauf lag mein Fokus.
2. Die Verabredung zum Interview kam zeitgleich mit der Veröffentlichung der berüchtigten PM des BDÜ Landesverbandes Sachsen zustande.
3. Hatte ich nie vor, in die Kerbe “Du böser Übersetzer” zu hauen. Das widerspricht nicht nur meiner persönlichen Einstellung (über Leistungen zu urteilen, von deren Zustandekommen ich keine Kenntnis habe), sondern auch dem allgemeinen kollegialen Ansatz, für den der DVÜD steht. Man kann über Dinge sprechen, sich austauschen, aber ohne die genauen Fakten zu kennen, kann keiner einem anderen den schwarzen Peter zuschieben.
Das Interview verdeutlicht ziemlich genau, unter welchem Druck die Übersetzer standen. Natürlich kam das Angebot schon im Spätsommer. Bis dann allerdings die ersten Kapitel geliefert wurden (auf Papier), verging noch einige Zeit.
An dieser Stelle möchte ich auch noch anmerken, dass das Interview vielleicht anders ausgefallen wäre, wenn ich mit allen 6 plus Redakteur plus Verlag an einem Tisch gesessen hätte. Da ich nur an einen der Übersetzer herangetreten bin, wäre es schlichtweg falsch gewesen, auf das Gesamtwerk einzugehen. Natürlich haben Herr Dr. Grasmück und ich viel mehr besprochen, als das, was letztlich veröffentlicht wurde. Aber manches davon war eben nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht. Und das habe ich zu respektieren.
Noch steht das schriftliche Interview mit dem Verlag aus – der in meinen Augen die größte Verantwortung für das Ergebnis trägt. Weil er die Bedingungen letztendlich vorgegeben und während des Auftrags geändert hat. Meine Fragen liegen dem Verleger vor. Zugesagt wurden mir die Antworten bis letzten Donnerstag. Vielleicht waren die Fragen ja ein wenig zu hart.
Danke für die Hinweise für die jungen Übersetzer. Das stimmt natürlich. Nur weil ein Kollege seine Sicht in einem Interview dargelegt hat, bedeutet das nicht, dass seine Meinung allgemein gültig ist. Es ist die Erfahrung, die er für sich gemacht hat. Manche werden diese teilen. Andere nicht. Den goldenen Mittelweg gibt es nicht. Erfolg in der Akquise hängt eben auch stark von der eigenen Persönlichkeit ab. Das ist aber nicht nur in unserem Beruf so.
Also, wie gesagt: vielen lieben Dank für Ihren Kommentar.
Lieben Gruß
Tanya