DVÜD-Präsident Lyam Bittar ist Gründungsmitglied der FIT Europe Working Group on Fair Work Practices, die im Oktober 2023 auf dem Annual Meeting von FIT Europe in Athen ins Leben gerufen wurde. Da freiberufliche Übersetzer:innen ihre Rolle in der Branche immer kritischer hinterfragen, drehte sich die Auftaktveranstaltung der Arbeitsgruppe um ein weiches, aber umso wichtigeres Thema: “Fairness First: Defining Mutually Beneficial Working Relationships.” Wir teilen mit euch Lyams persönliches Resümee. Eine kürzere Fassung hat er bereits auf LinkedIn veröffentlicht.

Ansteckend optimistisch? Oder doch eher das Orchester auf der Titanic? Das umreißt grob das Spektrum an Rückmeldungen, das ich in Reaktion auf die Veranstaltung am 17. April erhalten habe.

Fairness ist schwer zu fassen. Jeder Definitionsversuch ist ein vertracktes Unterfangen. Was nicht heißen soll: ein unmögliches Unterfangen. Wichtig war mir, dass wir auf europäischer Ebene einen Anfang machen und miteinander ins Gespräch gehen – Freelancer:innen UND Agenturen. FIT Europe + EUATC (official), flankiert von Fairwork und zwei Agenturen, Creative Words und AJT. Noch runder wäre es gewesen, wenn ELIA – European Language Industry Association ebenfalls dazugekommen wäre. Damit hätten wir die beiden maßgeblichen Verbände auf Agenturenseite am Tisch gehabt, aber die Entscheidung auf Seiten von ELIA gegen eine Teilnahme wird ihre Gründe gehabt haben.

Fairness First: Defining Mutually Beneficial Working Relationships. Porträtbilder von sechs Teilnehmenden, angedeutete Verbindungen zu anderen im Hintergrund
Gestaltung: Creative Words

Aufgestoßen ist einigen Freelancer:innen die Teilnahme von Creative Words. Auf Maria Scheibengrafs Transparenz-Initiative TriTrab (Translation Industry Transparency Board) stören sich manche an der Höhe der gezahlten Honorare. Solcher Unmut zeigt: Mit ihren 10 von 10 Punkten im Cloudwork-Rating für 2023 hat Creative Words nicht die Schallmauer durchbrochen. Sie haben aber immerhin – anders als Super-Agenturen wie Lionbridge und Transperfect – nachgewiesen, dass sie international für fair befundene Mindeststandards achten. Das führt mich zu zwei entscheidenden Dingen, die ich sehr an Diego schätze: Er hat verstanden, dass er sich bewegen muss. Und er duckt sich nicht weg. Er geht ins Gespräch. Und genau das brauchen wir: das Gespräch miteinander.

Auch deshalb wollten wir eine zweite Agentur in der Runde haben, die zeigt, in welche Richtungen Wachstum möglich ist: AJT. Im Rahmen ihrer Lunch & Learn Series hat das Team neulich sehr inspirierende Einblicke in ihre Arbeitsweise gegeben.

Als Moderator – ich bin erstmals in die Rolle geschlüpft – war es mir ein Anliegen, diesen Auftakt konstruktiv zu gestalten, lösungs- statt problemorientiert. Weshalb wir parallel zur Diskussion ein kollaboratives Pad aufgesetzt haben, auf das alle Teilnehmenden nach wie vor zugreifen können. Vor allem wollte ich erreichen, dass unser Panel zwei, drei konkrete Vorschläge in den Ring wirft, mit denen wir im Anschluss arbeiten können. Patrick Feuerstein regte die Gründung einer paritätisch besetzten Ombudsstelle auf europäischer Ebene an, die bei Konflikten zwischen Freelancer:innen und Agenturen vermittelt. Als Vorbild verwies er auf die Ombudsstelle Crowdsourcing Code of Conduct.

Von Heike Leinhäuser kam die Überlegung, eine Serie von Online-Veranstaltungen aufzusetzen, in denen EUATC Best Practices aufzeigt, wie Agenturen und Freelancer:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten können.

Das knüpft in gewisser Weise an eins meiner persönlichen Kernanliegen an, das ich eingestreut habe: Ich sähe gern eine Art Good Agency Index, der fairen Sprachdienstleistern mehr Sichtbarkeit gibt. Dafür müssen wir den Raum jenseits der Fairwork-Ratings definieren. Welche Kriterien, Indikatoren, Maßstäbe setzen wir an, damit wir die Skala von aktuell 10 auf 50, 60, 70 Punkte ausweiten können? Wie können wir ein positives Reporting-Tool für unsere Branche bauen, dass die Bühne denen gibt, die vorangehen?

Ohne ein solides Honorar keine Fairness.
Der Mindestlohn taugt für uns nicht als Indikator.

Lyam Bittar

Parallel zu diesen Vorschlägen aus dem Panel kristallisiert sich auf Seiten der Übersetzenden ein Konsenspunkt heraus: Ohne ein solides Honorar keine Fairness. Der Mindestlohn taugt für uns nicht als Indikator. Eine italienische Kollegin unterstrich das in ihrer Rückmeldung mit den Worten: »Wir sind hochqualifizierte Wissenarbeiter:innen!«

Die nächsten Schritte? Die Working Group trifft sich diesen Donnerstag zur Auswertung. Wir sammeln auf unserem Slack-Channel bereits Ideen und werden dabei auch auf das besagte kollaborative Pad zurückgreifen. Wer mag, kann nach wie vor eigene Ideen und Input ergänzen. Wir lesen aber auch klassische E-Mails, wenn ihr uns über fairwork [ät] fit-europe-rc.org kontaktiert.

Und wer nochmal nachfassen möchte oder das Panel verpasst hat: Die Aufzeichnung gibt’s hier:

Aufzeichnung des Panels “Fairness First. Defining Mutually Beneficial Working Relationships”

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