Bericht von der Summer School 2019 in Düsseldorf

Für die diesjährige Summer School hat sich der Studiengang Literaturübersetzen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ein ebenso zukunftsweisendes wie kontroverses Thema vorgenommen: „Translation and the Digital World“.

Vom 27. bis 29.6. wurden die Schnittstellen von Übersetzung und der digitalen Welt aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet: Kann eine KI nur vom Menschen lernen, oder können auch Menschen von Maschinen lernen? Kann man Texte, die von Computern zufällig zusammengewürfelt werden, überhaupt übersetzen? Und: Welche Konsequenzen haben die immer fähigeren maschinellen Übersetzungssysteme für die Arbeit von (literarischen) Übersetzern? Können wir einpacken und nach Hause gehen?

Antonio Toral: Post-Editing im Literaturübersetzen

Den Anfang machte nach einer kurzen Einführung des Dekans der Philosophischen Fakultät der Vortrag „What can translation technology do for literary translators“ von Dr. Antonio Toral, der seine Forschungsergebnisse vorstellte. Zwar ist er kein Übersetzer, sondern ITler, beschäftigt sich jedoch mit der Auswirkung von maschinellen Übersetzungssystemen auf den Arbeitsprozess von literarischen Übersetzern.

Während ein*e Übersetzer*in normalerweise direkt mit dem Text zu tun hat, haben Dr. Torals Studienteilnehmer*innen die von einem Übersetzungsprogramm erstellte Übersetzung bearbeitet – Post Editing war also die Aufgabe, nicht übersetzen. Die Ergebnisse hat er dann unter drei Gesichtspunkten analysiert: Produktivität, Kreativität und Leser*innenmeinung.

Kriterium 1: Produktivität

Besonders interessant war hier die Arbeitszeit, die aufgewendet wurde, um den nach Paralleldaten erstellten Text in druckreifes Deutsch zu bringen. Denn: NMT (Neural Machine Translation) lernt mit jedem bestätigten Segment dazu und kann so die Übersetzungsvorschläge immer weiter verbessern. Denkt man den Prozess weiter, sollten am Ende gar keine Änderungen durch den Übersetzer mehr nötig sein. Das Programm hätte die korrekten Übersetzungen für das aktuelle Projekt gelernt, könnte die Atmosphäre korrekt interpretieren und den Text selber übersetzen.

Ganz so weit sind wir aber noch nicht, versichert Dr. Toral. Noch sehen maschinelle Übersetzungssysteme nur den einzelnen Satz, erkennen bereits übersetzte Wörter und weisen ihnen den entsprechenden zielsprachlichen Ausdruck zu. Den gesamten Text und seine Zusammenhänge können sie allerdings noch nicht in die Übersetzungsvorschläge mit einbeziehen. Die Denkarbeit wird immer noch von Menschen übernommen, die beim Editieren jedoch deutlich schneller arbeiteten, als es beim Übersetzen der Fall war. Und: Sie wurden immer schneller, je länger sie editierten. Dies lässt entweder darauf schließen, dass das Übersetzungsprogramm tatsächlich immer bessere Übersetzungen liefert, die kaum noch angepasst werden müssen, oder aber – und das befürchtet Dr. Toral – darauf, dass die Übersetzer immer nachgiebiger geworden sind und mehr Übersetzungen, die vielleicht nur „okay“, aber nicht „gut“ waren, durchgewunken haben.

Kriterium 2: Kreativität

Außerdem scheint auch in den bearbeiteten maschinellen Übersetzungen die Handschrift der Maschine durch: Da die Paralleltexte, auf die die Systeme zugreifen, selten literarischer Natur sind und die Programme tendenziell enger am Originaltext bleiben als menschliche Übersetzer, sind die Satzstrukturen meistens einfacher, das Register niedriger und die Interferenzen des Originaltexts größer. Die Übersetzungen ähneln einander, werden „normalisiert“. Die daraus folgende Dystopie: Maschinell übersetzte Texte lassen die Zielsprache auf lange Sicht verarmen, Texte werden anspruchs- und charakterloser und unser lexikalischer Wortschatz und unser grammatikalisches Wissen schrumpfen nachhaltig.

Kriterium 3: Lesbarkeit

Die so entstandenen Übersetzungen werden überraschend gut bewertet: Die Ergebnisse von Post Editing werden im Vergleich mit menschlichen Übersetzungen als entweder genauso gut oder sogar besser bewertet (Garcia 2010; Plitt and Masselot 2010). Außerdem gibt es für die Leser*innen noch einen ganz anderen, praktischen Nutzen: Je besser die Übersetzungsprogramme werden, desto weniger fallen lückenhafte Fremdsprachenkenntnisse ins Gewicht. Mit einem einzigen Tippen auf den Bildschirm wird der komplizierte Satz maschinell in die Muttersprache übersetzt. Das klappt nicht fehlerfrei, reicht aber, um bei E-Books oder Zeitungsartikeln einen Überblick zu bekommen und den Anschluss an das Thema nicht zu verlieren.

Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine

Es ist wichtig, maschinelle Übersetzungen als das zu begreifen, was sie sind: Ein Werkzeug unter vielen, das Übersetzer*innen unter die Arme greifen kann, aber auch seine Eigenheiten, Kinderkrankheiten und vor allem seine Grenzen hat.

Die Technologie an sich stellt keine „Gefahr“ dar, allerdings sollten die möglichen Konsequenzen nicht unterschätzt werden. Denn, so klang es während der verschiedenen Vorträge und Diskussionen immer wieder durch: Noch lernen die Maschinen von uns, doch der weltbeste Go-Spieler ist momentan eine Maschine. Es entsteht eine Wechselwirkung, die es als Übersetzer*in zu navigieren und zu nutzen gilt. Übersetzer*innen müssen nicht einpacken und nach Hause gehen, sondern sich mit einem anderen Werkzeug und veränderten Arbeitsbedingungen vertraut machen. Evolution, sozusagen.

Autorin: Alexandra Jordan übersetzt vor allem Computerspiele und Literarisches, lektoriert Texte aller Art und unterstützt den DVÜD e. V. als Beiratsmitglied.

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