Ein Gastartikel von Sarah Riehle

Akquise ist bereits unter Normalbedingungen eine Aufgabe, auf die die Mehrzahl von Übersetz- und Dolmetschpersonen, inklusive mir, gern verzichten würde. Allein der Gedanke daran sorgt für Unwohlsein, ob durch schwitzende und zitternde Hände, Bauchschmerzen oder Stottern. Mitunter kommt zeitweilige Sprachlosigkeit hinzu, während der Kopf alles parat hat – das frustriert uns Sprachexpert*innen, die immer auf der Suche nach dem perfekten Ausdruck sind, kolossal. Nicht zu vergessen: die berüchtigte Angst vor dem weißen Blatt respektive Post in den Sozialen Medien oder auf dem eigenen Blog. In Kombination mit weiteren Faktoren wie beispielsweise Ermüden oder einem privat anstrengenden Alltag führen die klassischen Akquisepfade bei Übersetzer*innen mitunter nicht zum gewünschten Erfolg. Wir brauchen also andere Wege.

Warum unkonventionelle Akquisestrategien?

Coronapandemie und Ukraine-Konflikt sorgen, vor allem in Kombination, verbreitet für ein Gefühl von Ohnmacht und Zugzwang, das sich wiederum ungünstig auf eine knappe oder auch bereits prekäre Auslastung auswirkt. Bedienen Übersetz- und Dolmetschpersonen ein von einer oder sogar beiden Krisen betroffenes Fachgebiet, sind unkonventionelle Akquisestrategien genauso gefragt. Das gilt auch, solange man noch nach einer Spezialisierung sucht oder wenn die Marktbedingungen im Umbruch sind.

(1) Energietanken unter Freund*innen

Egal wohin und was, Hauptsache, der Kopf wird erst einmal frei. Ob Sie ein Faible für exotische Gerichte haben und schon immer die Kochschule besuchen wollten. Oder eine Schwäche für Wellness: Machen wir es einfach, genießen die Zeit und versuchen, nicht an Akquise zu denken.

(2) Jede Chance als Erfolg feiern *

Bei der Umsetzung der letzten Strategie hätten meine Freundin und ich uns am liebsten gleich wieder verabschiedet, so gequält wirkte die Wellnessdienstleisterin unseres Vertrauens. Der Profi in ihr wehrte unser Angebot, den Termin zu verschieben, ab. Der Mensch hatte Mühe, während der Anwendungen präsent zu sein.

Erst beim anschließenden Beisammensein fasste sie Mut und verließ uns kurz, um einen Katalog zu holen. Sie fand das Gesuchte schnell und zeigte darauf. Das brauche sie unbedingt für ihre Oase. Problem: Die benötigten Sprach- und Logistikkenntnisse fehlten ihr. Daher das gequälte Gesicht zuvor. Während ich noch entspannt meine Tasse in der Hand hielt, gluckste es unüberhörbar neben mir.

Sofort folgte die Erklärung meiner Freundin: „Was für ein Glücksfall! Diese junge Dame beherrscht das Gesuchte. Schicke ihr alle vorhandenen Dokumente, wenn du willst. Der Rest findet sich.“ Bis heute weiß ich nicht, wer von uns beiden anderen das ungläubigere Gesicht machte. Jedenfalls war der schlimmste Druck, mich in Akquise beweisen zu müssen, erst einmal weg. Keine Frage, dass diese Vorlage vor unserer Abreise mit einem optimistischen Mittagessen unter Freundinnen endete. Ein paar Tage später, bekam ich den Auftrag tatsächlich. Seitdem sind mir Projekte, bei denen die Planung zum Erreichen des Kundenziels noch entwickelt werden muss, am liebsten.

(3) Erfolg definieren – nicht zu streng, aber konsequent sein

Erfolg für die eigene Situation zu definieren, ist in Krisenzeiten doppelt wichtig, wenn auch schwierig. Nötig ist eine fundierte, manchmal buchstäblich schmerzhafte Analyse des letzten Jahres. Nur so können Ziele für die nächsten Jahre festgelegt werden. Dabei ist egal, was „Woody Wordwizard“ am vierten Arbeitstag des Jahres auf einschlägigen sozialen Medien tut. Selbst wenn er teilt, bereits elf Projekte bei seiner Kundschaft zu deren Zufriedenheit abgeliefert zu haben. Die Lebens- und Arbeitssituationen von Übersetz- und Dolmetschpersonen sind so individuell wie die Kalkulationen dazu. Das eigene Ziel zu verfolgen und sich daran zu messen, statt Woody Wordwizard nachzujagen, entspannt enorm.

Ist unsere Produktivität beispielsweise im Frühjahr und Sommer am höchsten, planen wir für eine bessere Work-Life-Balance künftig, im trüben Herbst vergleichsweise lange Urlaub zu machen. Ohne danach ins nächste Finanzloch zu fallen.

Ein Planungsbeispiel:

  • Monatsweise abwechselnd möglichst ein Großprojekt und X kleinere Aufträge
  • Zeitraum X ist für Fertigstellung, Rückfragen und Blogartikel reserviert.
  • Für Lieblingskundschaft ist immer Kapazität.
  • Keine Anfragen? Länger nicht mehr aktive Kundschaft kontaktieren

Seien wir bei aller Zielstrebigkeit nicht zu streng zu uns! Alltagsinseln helfen dabei. Zum Beispiel, mit oder ohne Hund, einen Spaziergang machen. Oder in Gesellschaft eines guten Buchs und der Tasse Lieblingsgetränk auf dem Balkon sitzen. An Tagen, an denen wir nicht optimal in Form sind, sollten wir schwierige und ungeliebte Tätigkeiten grundsätzlich liegen lassen. So lassen sich schwerwiegende Misserfolge und Fehlschläge leichter vermeiden.

Notizmöglichkeiten schaffen und in Etappen arbeiten

Stift und Block oder verschiedene Endgeräte griffbereit verteilt zu haben, ist eine Hilfe gegen die Angst vor dem weißen Blatt oder Post. Kommt eine zündende Akquiseidee zu Kund*in X aus Segment X, landet sie sofort als Stichpunkt oder Skizze darauf und ist aus dem Kopf – gerne auch im Café. Falls ein Einfall ausgerechnet an diesem oder dem Folgetag auf sich warten lässt –  kein Drama. Drei bis sechs Monate oder Jahre später sollten Strategiepakete für unsere Segmente allerdings federleicht von der Hand gehen. So können wir kleineren Auftragsebben entspannter entgegensehen und sie für Weiterbildung oder Regeneration nutzen. Die größeren lassen sich zumindest verkürzen und verlieren etwas an Schrecken.

Natürlich höheres Kontaktpotenzial nutzen 

Kinder, Hunde, Hilfsmittel oder gesellschaftliches Engagement sorgen zuverlässig für eine höhere Kontaktdichte. Um Hilfe oder Rückmeldung zu bitten, hat sich bislang bewährt, auch der Austausch zu dabei aufkommenden Themen. Berufsbezug ergibt sich oft im Nachhinein, wenn niemand es erwartet. So gewann ich etwa eine Handvoll teils wiederkehrender Kund*innen.

Ärgerliche Situationen, in denen Reisende zusammen sind, beispielsweise ein Stau oder ein defekter Zug, werden bestenfalls zum Netzwerk-Event. Dort lassen sich prima Kontakte knüpfen und Projektansätze diskutieren. Wenn es der Kontext hergibt, können wir auch die liebste Ferienunterkunft empfehlen oder bei einer einzelnen Wortfindung helfen. Der Trick dabei: Begegnungen helfen, einen möglichen Bedarf zu erkennen. Später können wir analysieren, ob diese Kundengruppe Ihre Leistungen angemessen bezahlen würde und wie wir diese erreichen könnten. Für Ideen müssen wir zuerst unter Leute.

Die passende Einstellung ist ein ständiger Prozess

Die regelmäßige Evaluation des eigenen Akquiseerfolgs ist Arbeit, dranzubleiben ein Erfolg. Falls der erste Versuch, unsere Traumkundschaft zu gewinnen, schief geht, klappt es vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auf andere Weise. Wofür Kontakte und Wissen in Zukunft noch nützlich sein werden, zeigt sich oft erst später.

War das vorige Berufsleben aus verschiedenen Gründen schwierig? Ohne dieses Wissen samt Denkweise trauten wir uns sicher nicht, die liebste Auftragsart anzunehmen. Die kommunikative Art, über den Tellerrand zu gucken, war unbeliebt? Beizeiten wissen wir sofort, wer uns die über Projektannahme oder -ablehnung entscheidende Frage beantworten kann.

Ein bewusstes Nein zu Anfragen aufgrund von Konditionen, Fachgebiet oder mittlerweile stabilisierter Auftragslage macht Kopf und Schreibtisch frei für das nächste Lieblingsprojekt. Nebeneffekt: Jemand anderes im Netzwerk freut sich und bedenkt uns eventuell bei der nächsten passenden Anfrage.

Zum Schluss:

Ich habe mühsam, auch durch Misserfolge, gelernt und entsprechend Zeit dafür gebraucht, glücklicherweise weit vor den aktuellen Krisen. Die Erinnerung an das Gefühl, möglicherweise aufgeben zu müssen, prägt mich bis heute, sowohl als Unternehmerin als auch als Mensch. Deshalb freue ich mich, wenn ich auf diesem Weg einige Impulse geben kann.

DVÜD-Gastautorin Sarah Riehle arbeitet den überwiegenden Teil ihrer zehnjährigen Berufserfahrung medizin- und lösungsorientiert. Mit den Spezialisierungen auf Neurologie und Inklusive Kommunikation, zumeist EN>DE, erstellt sie Fachübersetzungen, Fachlektorate sowie literarische Texte, die die Welt ein Stück besser machen. Leichte Sprache und Inklusive Kommunikation sind für Sarah untrennbar miteinander verknüpft. Sie war dieses Jahr als Expertin, mit etwas anderer Perspektive auf ihre Herzensthemen, auf dem Financial Success Summit for Translators vertreten. Zu Sarahs Kunden zählen Kultureinrichtungen, Unternehmer*innen und Aktivist*innen sowie ausgewählte Agenturen. Ihr Internetauftritt ist unter www.sarah-riehle.com zu finden. Sarah ist seit 2015 stolzes Mitglied im DVÜD.

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