Wie stehen Kreative zur Künstlichen Intelligenz, und welche Form könnte eine werteorientierte Digitalpolitik annehmen? Imke hat in unserem Blog bereits über das Fachgespräch „Auf Knopfdruck kreativ. Chancen und Herausforderungen von KI in der Kunst“ am 22. Juni berichtet. Während Imke rein inhaltlich und nach Themenschwerpunkten geordnet auf die Veranstaltung zurückblickt, greift mein Kommentar einzelne Aussagen auf, um sie ins größere Bild einzuordnen. Es diskutierten Nora Al-Badri, Multidisziplinäre Künstlerin und Leiterin für AI+Art am ETH AI Center Zürich; Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverband Musikindustrie (BVMI); Nina George, Schriftstellerin, Ehrenpräsidentin und Politische Beauftragte des European Writers’ Council (EWC); Matthias Hornschuh, Sprecher der Kreativen in der Initiative Urheberrecht, sowie Prof. Sarah Legner, Professorin für Immaterialgüterrecht (EBS Universität). Moderiert haben Awet Tesfaiesus MdB und Erhard Grundl MdB.

Berufsbedingt zählen wir ja zu den Menschen, die sich Worte und Vokabeln etwas genauer ansehen. Dieses Fingerspitzengefühl brauchen wir in der Debatte um Künstliche Intelligenz. Wie Matthias Hornschuh treffend betont hat, müssen wir Kreative den Diskurs ernsthaft voranbringen, mit der nötigen Sachlichkeit – ohne dabei angstbesetzt zu sein. Wir brauchen dringend mehr Nuance, mehr accuratezza. Das Branding und das Storytelling, das uns gerade verkauft wird, dürfen wir nicht für bare Münze nehmen. Nina George fragte ja zurecht: Was ist Hype, was Hysterie, was ist Algorithmus, was Maschinelles Lernen, was Statistik, was Analyse, was Desinformation? Eine der springenden Punkte war für sie der Hinweis: Nicht alle Anwendungen haben dasselbe Potenzial. Und umgekehrt: Nicht alle verursachen dieselben Probleme.

Rückwärts geht es nie, Schulterblick hilft

Eine der Lektionen aus meinem Geschichtsstudium lautet: Rückwärts ist keine Richtung, aber der Schulterblick hilft uns bei der Orientierung. Den Autopiloten im Cockpit gibt es bereits seit den späten 1980er Jahren, aber seine Einführung wurde nie als Meilenstein der KI gefeiert. Warum? Die Antwort des KI-Pioniers Joseph Weizenbaum: Weil es den Entwickler:innen nicht ums Branding ging. Weizenbaum nutzt für solche Anwendungsfälle einen anderen Begriff. Er nennt sie „Expertensysteme“.*

Wenn wir hinsehen, wie und wo „KI“ derzeit in deutschen Unternehmen zum Einsatz kommt, finde ich das eine brauchbare Bezeichnung mit etwas mehr Nähe zur Realität: Da geht es Unternehmen darum, Unregelmäßigkeiten in komplexen Maschinendaten auszulesen und automatisiert Fehler zu erkennen (welcher Mensch könnte das leisten?); die Bahn setzt auf die Auswertung von Nutzungs-, Infrastruktur-, Wetter- und Verkehrsdaten, um die Verlässlichkeit zu erhöhen und Ausfallzeiten zu reduzieren (ja, bitte!); Fleischereien können demnächst womöglich die Produktion optimieren, indem sie ihre Verkaufsstatistiken mit Wetterdaten und automatisierten Kalenderabfragen kombinieren (damit uns – oh weh! – an Feiertagen nicht die Würstchen ausgehen).

Ist das Künstliche Intelligenz? Joseph Weizenbaum würde vermutlich sagen: Der überwiegende Teil des aktuellen Hypes ist schlicht und ergreifend der „rohen Macht des Rechners“ zu verdanken.

Was bedeutet das fürs Übersetzen?

Man mag natürlich einwenden: Ob wir von KI oder von Expertensystemen sprechen – ein Etikettentausch ändert wenig daran, dass unsere Branche schon jetzt gravierende Umbrüche erlebt. Die ersten Unternehmen gehen dazu über, Bedienungsanleitungen von vornherein mithilfe von ChatGPT mehrsprachig zu konzipieren (siehe Tagesschau-Link). Welocalize, im Nimdzi-Ranking als globale Nr. 11 geführt, hat vor knapp einer Woche den TranslationRater veröffentlicht, das erste ChatGPT-Plugin, das die Qualität von Übersetzungen bewertet. Und Translated arbeitet sich eifrig in Richtung Singularität voran – der Punkt, an dem ihre Maschinelle Übersetzungsengine so passgenaue Ergebnisse liefert, dass wir im Post-Editing nur noch eine Sekunde pro Wort veranschlagen müssen.

Rechenpower und Ausgangsdaten

Umso essenzieller ist es, dass wir die beiden wichtigsten Voraussetzungen für diese Entwicklungen erkennen und benennen. Erstens, wie bereits erwähnt, die rohe Macht des Rechners. Bleiben wir bei Translated. Dort geht jeder Schritt auf der Skala in Richtung Singularität mit einem exponentiellen Ressourcenbedarf einher, weshalb sie unentwegt ihre Kapazitäten ausbauen müssen. Natürlich, das Training der Algorithmen wird immer effizienter, aber das ändert wenig an Voraussetzung Nummer zwei: Das Futter für diesen Fortschritt – für den Hype – sind unsere Daten. Denn die rohe Macht des Rechners allein nützt wenig ohne Input, den er verrechnen kann. Translated kann den Langstreckensprint Richtung Singularität nur antreten, weil der Agentur dafür 2 Milliarden intern editierte MÜ-Segmente zur kostenlosen Analyse zur Verfügung stehen. Es ist ein grundlegender Fakt: „Aktuell haben eine Handvoll Big-Tech-Unternehmen und ein paar Dutzend Super-Agenturen das Monopol über die wertvollste Ressource der neuen, KI-getriebenen Übersetzungsbranche.“

Das bedeutet: Agenturen wie Translated sind mittels der rohen Macht des Rechners zu „Aneignungsmaschinen“ (Florian Drücke) geworden. Mit den bearbeiteten Kundendateien liefern wir ihnen nicht nur übersetzte Segmente, sondern auch Bausteine, die von Algorithmen weiter zu Analyse- und Trainingszwecken genutzt werden, ohne dass wir für diese erweiterte Nutzung jemals kompensiert werden. Das muss sich ändern!

Grenzen des geistigen Eigentums?

Es wäre natürlich töricht zu denken, dass wir mit dieser Forderung offene Türen einrennen. Wenn es nach Jaap van der Meer geht, dem Gründer und Direktor von TAUS, dem Think-Tank, der unsere Branche automatisieren möchte, sollen wir in der Regel ohnehin keine Urheberrechtsansprüche geltend machen dürfen: „In einer Welt, in der Maschinen autonom einen Überfluss an übersetztem Material erzeugen, gelten grundlegende ökonomische Konstrukte wie geistiges Eigentum und Knappheit einfach nicht mehr.“

Seiner Auslegung zufolge schützt der geltende Rechtsrahmen nur „vollständige Werke oder Teile von Werken (Dokumente, Abschnitte, Produkte, Eigenschaften), aber nicht einzelne Segmente. Einzelne Segmente sind selten urheberrechtlich geschützt, es sei denn der Satz an sich hat erkennbar kreativen Wert, wie etwa eine Textzeile aus einem Song oder einem Gedicht. Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gilt eine Sequenz von mindestens 11 Wörtern als urheberrechtlich geschütztes „Werk“, wenn in diesem Segment „die Hand des Autors“ nach wie vor erkennbar bleibt.“

Der Wert der Kreativität

Ein Begriff, der auf der Veranstaltung im Bundestag deshalb immer wieder in Umlauf gebracht wurde, war das Wort „Konsens“. Wenn unsere Expertise, unsere Arbeit abgegriffen wird, um damit Maschinen zu trainieren, dann nur im gegenseitigen Einvernehmen und mit einer angemessenen Vergütung! Um eine Verhandlungsbasis in den Raum zu stellen: Nina George forderte konkret, jeder zweite Euro, den OpenAI und Co. umsetzen, müsse an uns Kreative fließen.

Internationale Übersetzerverbände und KI

Die Debatte ist angestoßen, und der DVÜD wird unsere Themen weiterhin in den Diskurs tragen, konstruktiv und auf Augenhöhe. Der nächste Schritt: Die FIT richtet aktuell eine Plattform für eine neu gegründete Arbeitsgruppe KI ein, über die FIT-Verbände zusammenarbeiten und gemeinsame Positionen erarbeiten können. Auch da wird unsere Stimme zu hören sein.

* Meine Verweise auf Joseph Weizenbaum beruhen auf: Joseph Weizenbaum, Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom? Auswege aus der programmierten Gesellschaft, Herder Verlag, Freiburg 2006.

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