Im zweiten Teil dieser kleinen Reihe stelle ich Euch zwei Leute auf einmal vor: Imke Brodersen und Angelica Briciu. Beide sind seit Jahren als Übersetzerinnen tätig und dolmetschen auch gelegentlich. Wieso sie trotzdem ein Mentorenteam bilden? Weil sie mit diesem Wunsch auf mich zugekommen sind. Ich war mit beiden bereits in Kontakt, und Angelica war eine Zeit lang sogar Mentorin und Mentee gleichzeitig.

Doch der Reihe nach.

Ulla: Wie bereits erwähnt, seid ihr von selber auf mich zugekommen und habt mich gefragt, ob eine Mentorenschaft in Eurem Fall möglich wäre, obwohl keiner von Euch beiden als Branchenneuling durchgeht. Was war der Gedanke dahinter?

Angelica: Da ich seit meiner Kindheit Bücher und Sprachen liebe, und weil ich in letzter Zeit immer wieder den Wunsch hatte, die Literatur meiner Kindheit auf Deutsch zu lesen, suchte ich nach diesen Büchern. Ich fand die rumänische und ungarische Literatur natürlich sehr begrenzt in der deutschen Sprache vor und fragte mich einmal, warum ich das nicht selber übersetze. So entstand der Wunsch, auch Literatur zu übersetzen.

Imke: Angelica kam 2013 mit diversen Fragen zum Literaturübersetzen auf mich zu – für sie war es ein sehr persönliches Anliegen, das war sofort zu spüren. Wir waren beide Mitglied im DVÜD, der damals gerade ein Mentorenprogramm aufbaute. Als ich merkte, dass sich eine längerfristige Begleitung entwickeln könnte, schlug ich vor, dies im Rahmen des Mentorenprogramms laufen zu lassen.

Ulla: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?

Angelica: Ich sprach mehrmals mit meiner Kollegin Nicole Schmidt darüber, wie sie das mit dem Mentoring macht und daran findet. Sie fragte mich auch, warum ich das eigentlich nicht selber machen möchte, sie hätte sich das bei mir gut vorstellen können. Im Forum des DVÜD habe ich öfters u.a. die Beiträge von Imke gelesen. Da dachte ich, es wäre gut mit ihr in Kontakt zu treten, um zu fragen, ob sie Lust hätte, mich auf dem Weg zur Literaturübersetzerin zu begleiten.

Imke: Ich habe damals auf meinem Blog eine Reihe mit „Tipps für angehende Literaturübersetzer“ begonnen, weil in einschlägigen Listen oder direkt bei mir immer wieder ähnliche Fragen gestellt wurden. Als Angelica mich ansprach, rannte sie also offene Türen ein.

Ulla: Was habt Ihr Euch davon erwartet?

Angelica: Zuerst freute ich mich einfach darauf, Imke näher kennen lernen zu dürfen, einfach ohne Erwartungen. Ich war und bin ihr immer noch sehr dankbar dafür, dass sie sich Zeit für mich nahm und mich ernst genommen hat. Mein Ziel war damals zu erfahren, welche Unterschiede es zwischen den Übersetzungen gibt, die ich bis dato gemacht hatte, und wie der Alltag einer Literaturübersetzerin aussieht. Ausserdem, wie eine Übersetzerin wie ich, mit 20-jähriger Erfahrung, ein neues Gebiet erschließt, wie die Chancen stehen damit erfolgreich zu sein und wie man das angehen muss. Denn trotz Erfahrungen, die ich sicher habe, wusste ich, es gibt neue Sachen, die ich dann einplanen und beachten muss.

Imke: Ich fand es naheliegend, einer erfahrenen Kollegin nicht nur ein paar Tipps mitzugeben, sondern sie beim Ausloten eines neuen Betätigungsfelds zu begleiten, in dem ich schon eine ganze Weile aktiv bin. Wenn jemand ernsthaftes Interesse an etwas hat, sollte man ihn nicht gegen Wände laufen lassen. Außerdem fragte ich mich spontan, welche tollen Bücher und Autoren wir Deutschen denn vielleicht verpassen, wenn sie nicht übersetzt werden.

Ulla: Inwieweit sind Eure Erwartungen denn erfüllt worden?

Angelica: Was Imke und ihre Hilfe angeht, bin ich sehr zufrieden. Sie hat mir viel geholfen und war immer für mich erreichbar. Am Ende habe ich mich dann doch entschieden, meinen Plan, Literaturübersetzungen anzubieten, nicht näher zu verfolgen. Mindestens vorerst nicht. Diese Entscheidung hat nichts mit Imke zu tun, das weiß sie. Es ist mir wichtig, das zu erwähnen. Ich kann sie wärmstens Kolleginnen und Kollegen empfehlen, die Literatur übersetzen möchten und „Starthilfe“ benötigen, aber nicht nur das.

Imke: Angelica hat meine Anregungen gründlich durchdacht und ihre Chancen ausgelotet. Allerdings ist der Einstieg in ihren Arbeitssprachen offenbar noch schwieriger als in meinen, wo das Übersetzungsvolumen doch sehr hoch ist. Als erfahrene Übersetzerin hat sie letztlich betriebswirtschaftlich kalkuliert – wenn alle Literaturübersetzer (auch die nebenberuflichen) das so konsequent täten, würde die Honorarsituation vermutlich anders aussehen.

Ulla: Was hat Euch am meisten überrascht?

Angelica: Überrascht hat mich nichts, denn ich wusste schon aus eigenen Recherchen viel über die Branche und hatte viele Infos von Imke bekommen. Es machte mich eher traurig, dass die Literaturübersetzer immer noch so wenig Anerkennung finden. Vielleicht sehe ich das ein wenig anders, weil ich Kultur und Literatur sehr schätze und wichtig finde. Auch weil ich selber übersetze, weiß ich, was für eine Arbeit dahinter steckt, bis ein Text „steht“ und sich anhört wie ein Original. Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen diese Arbeit mehr honorieren, denn unsere Kultur wäre sehr viel ärmer, unser Horizont enger, hätten wir alle nicht die Klassiker aus und in den Fremdsprachen, aber auch viele andere tolle Bücher, lesen können.

Imke: Überrascht hat mich, wie eiskalt Angelica nach dem Nennen ihrer Sprachkombination von Lektorinnen einfach ignoriert wurde. Von mir selbst überrascht war ich, dass ich keine Ahnung von der Literatur, den Themen und den Autoren aus Rumänien oder Ungarn habe.

Ulla: Was haltet Ihr heute von Eurer Idee?

Angelica: Bin eine große Erfahrung reicher, kenne eine ganz liebe Kollegin mehr, und würde mich immer wieder so entscheiden.

Imke: Ich fand den Austausch mit Angelica sehr bereichernd. Besonders unser persönliches Treffen war inspirierend – sie ist eine erfrischend ehrliche, zielstrebige Kollegin, und ich bin froh, sie zu kennen.

Ulla: Und abschließend wüsste ich gerne noch, was Ihr generell vom Mentorenprogramm haltet. Welche Möglichkeiten bietet es den Mentoren? Welche den Mentees? Wie lässt es sich am besten nutzen? Wollt Ihr noch etwas Abschließendes sagen?

Angelica: Ich fand und finde die Idee wunderbar, genial und sehr wertvoll. Ob man Anfänger/-in ist oder nicht, man kann immer voneinander lernen. Dass das beim DVÜD möglich ist, finde ich sehr schön und verdient Anerkennung. Ich wünsche mir, dass diese Tradition unbedingt weiter gepflegt wird, denn als ich anfing (1990), gab es solch eine „Starthilfe“ nicht, die hätte ich damals gut gebrauchen können.

Mentoren haben so die Möglichkeit, ihre Arbeit aus anderen Gesichtspunkten zu reflektieren, Akzente zu setzen, Erfahrung weiter zu geben, aber auch von den Mentees zu lernen.

Mentees profitieren unheimlich davon und haben so einen leichteren Start, vermeiden vielleicht das eine oder andere „Unglück“ und können in ihrem Bereich selbstbewusst auftreten und sich hier gut und sicher entwickeln. Unbedingt weitermachen!

Das Programm lässt sich am besten nutzen, indem man miteinander immer in Kontakt bleibt, sich austauscht und „am Ball“ bleibt. Ich empfehle unbedingt auch, sich persönlich zu treffen und sich so näher kennen zu lernen.

Abschließend möchte ich mich bei dir, liebe Ulla, für deine sofortige Zusage, deine immer freundlichen Antworten, beim DVÜD bzw. bei den Kolleginnen oder Kollegen, die sich dieses Mentorenprogramm überlegt haben, herzlich bedanken. Vor allem aber bei dir, liebe Imke, die du dich sofort bereit erklärt hast, mir „altem Hasen“ auf diesem neuen Terrain unter die Arme zu greifen und mich immer freundlich, zuvorkommend und verständnisvoll begleitet hast. Es tut mir leid, dass ich mich momentan noch nicht für diesen Weg entschieden habe – sei nicht traurig, du bist nicht der Grund dafür.

Imke: Ich habe genau wie Angelica 1990 erste Schritte als Freiberuflerin gemacht. Als Übersetzerin von Fantasy-Romanen, Medizin und Urkunden wusste ich nicht recht, in welchen Verband ich gehörte, BDÜ oder VdÜ, zumal ich das erste Buch nur nebenberuflich übersetzte. Und war Fantasy (vor den Siegeszügen von Harry Potter, den Panem-Romanen oder Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmungen) überhaupt „Literatur“? Mit meiner Kombination schien ich nirgendwo richtig hinzupassen und habe somit viele Jahre verbandsunabhängig übersetzt.

Das unbürokratische Mentoring-Programm des DVÜD lässt dem Mentor-Mentee-Team viel Freiheit, die Kooperation selbst zu gestalten, weil es keine Pflichttermine voraussetzt.

Anderen Paaren würde ich empfehlen, das persönliche Kennenlernen möglichst früh anzusetzen und einen regelmäßigen Austausch zu bestimmten Zeitpunkten zu vereinbaren. Wo viel Freiheit herrscht, sollte man sich selbst einen Rahmen stecken, der für beide Partner akzeptabel ist.

Ansonsten kann ich Angelicas Aussagen nur unterschreiben – es profitieren auf alle Fälle beide Seiten!


Angelica Briciu: Übersetzerin | Profil
Imke Brodersen: Übersetzerin. Arbeitssprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch. Fachgebiete: Literatur, Medizin: Ernährung, Kardiologie, Orthopädie, Urkunden & Zeugnisse | Profil

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