Text: Daniel Landes

Lektorat: Imke Brodersen, David Drevs, Johanna Kantimm, Sonja Majumder

Mit freundlicher Unterstützung des AVÜ.

Die Fortschritte im Feld der maschinellen Übersetzung haben für die Übersetzungsbranche einen Wandel eingeläutet. Es stellt sich die Frage, ob wir als Übersetzer*innen in Zukunft obsolet werden.

Technologischer Fortschritt ist Fluch und Segen zugleich. Er kann Türen öffnen, aber auch Existenzen bedrohen und ganze Systeme ins Wanken bringen.

Wenn man sich alle Fakten genauer ansieht, merkt man schnell, dass nicht die Maschine die Existenzgrundlage übersetzungskundiger Menschen bedroht.

Der eigentliche Problemfaktor ist das wirtschaftliche Modell, das schon vor künstlicher Intelligenz (KI) und maschineller Übersetzung (MÜ) darauf ausgerichtet wurde, die geleistete Arbeit zu entwerten und einzelne Dienstleister*innen auszubeuten.

In diesem Beitrag möchte ich einen Blick auf die aktuelle Lage der Übersetzungsindustrie und die Rolle von maschineller Übersetzung werfen.

Dazu erläutere ich im ersten Teil, wie die Öffentlichkeit Plattformen für maschinelle Übersetzungen wahrnimmt und welchen Einfluss die Praxis des Posteditierens einer maschinellen Übersetzung auf die Qualität eines literarischen Textes haben kann.

Im zweiten Teil werde ich näher darauf eingehen, warum das eigentliche Problem für die Übersetzerzunft in den ökonomischen Strukturen der Branche zu finden ist, und begebe mich auf einen kurzen Exkurs über die Risiken, die maschinelle Übersetzung birgt.

So viel sei bereits verraten: Wenn die Branche in Zukunft nicht auf nachhaltige Arbeitspraktiken für alle Beteiligten setzt, entzieht sie sich selbst die Existenzgrundlage.

Meine Erkenntnisse basieren ausschließlich auf der wissenschaftlichen Zeitschrift Translation Spaces, Volume 9, Issue 1, 2020.

Das Wichtigste auf einen Blick

Öffentlichkeit

  • Die Öffentlichkeit überschätzt die Möglichkeiten von maschineller Übersetzung, da die Berichterstattung nicht nuanciert genug ist und falsche Erwartungen erzeugt.
  • Nutzer*innen müssen über die Grenzen maschineller Übersetzung aufgeklärt werden.
  • Die Frage der Verantwortlichkeit bei der Nutzung von maschineller Übersetzung muss geklärt werden.

Qualität

  • Im Vergleich zu einer reinen Humanübersetzung geht beim Einsatz von maschineller Übersetzung und Posteditieren ein Drittel der „Stimme“ (d. h. der persönliche Stil) von Übersetzer*innen verloren.
  • Problematisch ist dies, weil solche Texte austauschbar, unpersönlich und weniger einprägsam erscheinen.

Was können Übersetzende tun?

Als Beteiligte an Arbeitsabläufen haben Übersetzer*innen ein Recht darauf, dass ihre Interessen vertreten und gewahrt werden. Außerdem dürfen sie erwarten, dass die Arbeitsabläufe auch für sie positiv gestaltet sind.

Sie müssen ihre Kollaborationspartner*innen und Kund*innen wissen lassen, dass sie nicht alle Arbeitsbedingungen hinnehmen und dass für eine gute Zusammenarbeit gewisse Standards geboten werden müssen.

Dazu ist es unabdingbar, sich mit Kolleg*innen und anderen freiberuflich Arbeitenden zu vernetzen und zu organisieren. Auf diese Weise kann man sich zu sinnvollen, gesunden und nachhaltigen Arbeitsbedingungen austauschen. Geheimhaltung hilft letzten Endes nur den Kund*innen bzw. den großen Agenturen, der einzelne Mensch wird dadurch erheblich eingeschränkt.

Darstellung und Wahrnehmung von maschineller Übersetzung in der Öffentlichkeit

Die Medien spielen eine Schlüsselrolle bei der Übermittlung von Informationen und beeinflussen somit die öffentliche Wahrnehmung von bestimmten Themenkomplexen. Es lohnt sich daher, einen Blick auf das Bild zu werfen, das der Öffentlichkeit in Sachen (maschineller) Übersetzung suggeriert wird.

Übersetzungstools wie Google Übersetzer, DeepL oder Microsoft Übersetzer werden in den Medien hauptsächlich positiv dargestellt. Allerdings sind die Berichte kaum nuanciert und manchmal auch objektiv falsch. Da der Zugriff auf diese Tools sowie ihre Nutzung relativ einfach ist, überschätzen Nutzer*innen die Fähigkeiten von MÜ oft, unterschätzen gleichzeitig jedoch die Komplexität von Übersetzungen allgemein.

Aus positiven Medienberichten ist zu entnehmen, dass neuronale Netzwerke sowie maschinelles Lernen automatische Übersetzungssysteme in den letzten Jahren deutlich verbessert haben. Microsoft behauptete sogar, dass das hauseigene System auf dem Niveau von menschlichen Übersetzenden arbeitet, was jedoch von anderer Stelle widerlegt wurde. Diese Behauptung wurde allerdings von den Medien ungeprüft übernommen und weitergetragen.

Artikel über MÜ konzentrieren sich oft auf die Vorteile automatischer Übersetzungssysteme, wobei die Informationen dazu meist direkt von den Entwickler*innen dieser Tools stammen. Es handelt sich also eher um Werbung als um kritische Berichterstattung.

Außerdem wird MÜ häufig als unfehlbar und geradezu „magisch“ dargestellt. Dem Computertool werden infolgedessen menschliche Qualitäten zugesprochen und es wird als eigenständig handelndes Subjekt angesehen. Dadurch wird bei Nutzer*innen die Erwartung geweckt, dass die KI sich wie ein Mensch verhält und auch genauso effizient arbeitet.

Negative mediale Darstellungen von MÜ bestehen oft aus Humor oder Situationen, die den Lesenden schockieren sollen. Solche Artikel finden sich daher meist in der Regenbogenpresse und konzentrieren sich auf linguistische Fehler. Auch hier fehlen die Nuancen und der Unterhaltungswert steht über der Aufklärung.

Neutrale Darstellungen, die sich objektiv mit positiven und negativen Aspekten der Technik auseinandersetzen, sind außerhalb der Fachkreise dagegen äußerst selten.

Aufgrund der wenig differenzierten Berichterstattung besteht bei den Nutzer*innen kaum ein Bewusstsein dafür, wie die MÜ-Tools funktionieren. Dabei liegt die Verantwortung stets bei den Nutzer*innen. Wer im professionellen Kontext eine Übersetzung anfertigen will, muss eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob man professionelle Übersetzer*innen braucht oder ein Onlinetool ausreicht.

Im öffentlichen Diskurs fallen wichtige Faktoren unter den Tisch, die für Übersetzungsexpert*innen selbstverständlich sind, z. B. dass MÜ nicht für alle Textarten gleich gut geeignet ist. Das führt maßgeblich zu einer Abwertung der Leistung von professionellen Übersetzer*innen. Um die Rolle von einzelnen Akteuren sowie der Branche im Ganzen zu stärken, muss die Gesellschaft über Einsatzszenarien sowie Risiken besser aufgeklärt werden. Quelle: Machine translation in the news ­ A framing analysis of the written press, Lucas Nunes Vieira, University of Bristol

Die Stimme von menschlichen Übersetzer*innen

Auch wenn bisweilen behauptet wird, die maschinelle Übersetzung sei mittlerweile dazu in der Lage, Rohübersetzungen im literarischen Bereich zu liefern, müssen einige ethische Fragen noch geklärt werden. Dazu gehört auch, wie wichtig die Stimme von Übersetzer*innen ist.

Die Stimme der übersetzenden Person zeigt sich in stilistischen Präferenzen, bewussten Abweichungen vom Quelltext, unterschiedlichen Übersetzungsentscheidungen sowie weiteren subjektiven Elementen.

Natürlich sind die Stimmen von Übersetzer*innen auch in Übersetzungstools präsent, da sie die Daten ausmachen, mit denen die KI trainiert wird. Allerdings werden hier viele Stimmen vermischt und es sind keine individuellen Töne mehr auszumachen.

Dabei besteht das Risiko, dass die Stile verschiedener Autor*innen, die von derselben Übersetzungsmaschine bearbeitet werden, homogenisiert werden, da diese nicht auf die jeweiligen sprachlichen Besonderheiten eingehen kann.

Umgekehrt könnte es passieren, dass Werke desselben Autors bzw. derselben Autorin heterogenisiert werden, wenn verschiedene Übersetzungsmaschinen bei der Übertragung verwendet werden.

Dorothy Kenny und Marion Winters haben in einem Versuch konkret festgestellt, inwieweit die Stimme eines Übersetzenden bei der Verwendung von MÜ mit Posteditieren im Vergleich zu einer reinen Humanübersetzung „gedämpft“ wird.

Dazu haben sie mit dem Übersetzer Hans Christian Oeser zusammengearbeitet, der vor zwanzig Jahren F. Scott Fitzgeralds Buch „The Beautiful and Damned“ ins Deutsche übertragen hat. Bei ihrem Versuch sollte Oeser eine maschinelle Übersetzung des Textes von Fitzgerald posteditieren und der entstandene Text wurde im Anschluss mit seiner ursprünglichen Übersetzung verglichen.

Als anschauliches Beispiel für den Versuch soll der folgende Satz dienen.

Original: After a fortnight Anthony and Gloria began to indulge in ‚practical discussions,‘ as they called those sessions when under the guise of severe realism they walked in eternal moonlight.

Maschinelle Übersetzung: Nach zwei Wochen begannen Anthony und Gloria, sich in „praktischen Diskussionen“ zu vergnügen, wie sie diese Sitzungen nannten, als sie unter dem Deckmantel des strengen Realismus in einem ewigen Mondlicht wandelten.

Posteditierte Version: Nach zwei Wochen begannen Anthony und Gloria, sich in „praktischen Diskussionen“ zu ergehen. So nannten sie jene Sitzungen, da sie unter dem Deckmantel eines strengen Realismus in ewigem Mondlicht wandelten.

Originalübersetzung: Nach vierzehn Tagen begannen Anthony und Gloria sich in „praktischen Diskussionen“ zu ergehen; so nannten sie es, wenn sie zusammensaßen und hinter der Maske strenger Vernunft in ewigem Mondenschein wandelten.

Kenny und Winters haben festgestellt, dass bei der Kombination aus maschineller Übersetzung und Nachbearbeitung durch einen Profi ungefähr ein Drittel der linguistischen Charakteristiken von Übersetzer*innen verloren geht.

Es bleibt nun zu entscheiden, ob dieser Verlust in angemessener Relation zu angeblich gesteigerter Effizienz und Zeiteinsparungen steht.

Quelle: Machine translation, ethics and the literary translator’s voice, Dorothy Kenny and Marion Winters, Dublin City University | Heriot-Watt University

Fazit

Fassen wir zusammen:

Die positive Einstellung der Öffentlichkeit zu maschineller Übersetzung ist doppelt problematisch. Die fehlenden Nuancen bei der Berichterstattung verzerren die Tatsachen. Traditionelle Übersetzungsdienstleistungen lassen sich immer schwerer an Laien verkaufen, wenn diesen suggeriert wird, eine Maschine allein könne brauchbare Ergebnisse liefern.

Die Dämpfung der menschlichen Autor*innenstimme beim Posteditieren von MÜ ist vor allem im literarischen und kreativen Bereich ein Faktor, den man sorgfältig überdenken sollte.

MÜ sollte als Hilfsmittel für Übersetzer*innen angesehen werden und nicht als Ersatz, denn ohne den Menschen funktioniert sie nicht.

Allerdings wird sich die Branche, die von den führenden Unternehmen dominiert wird, nicht von selbst ändern.

Unabhängige Übersetzer*innen müssen sich zusammenschließen und gemeinsam für bessere Vertragsbedingungen eintreten.

Außerdem muss sich die Wahrnehmung von MÜ durch die Öffentlichkeit der Realität annähern, um dem weiteren Wertschätzungsverfall von menschlicher Übersetzung entgegenzuwirken.

Im zweiten Teil meines Betrags gehe ich am 21.10.2020 außerdem auf die ökonomischen Aspekte von MÜ sowie die Risiken ein, die bedacht werden müssen.

Fotorechte: Daniel Landes

Daniel Landes (LinkedIn) hat einen B. A. in Anglistik und Skandinavistik von der LMU München und ist Mitglied im VdÜ. Nach einer Tätigkeit als Lokalisierungstester in Barcelona arbeitete er drei Jahre festangestellt bei einer Lokalisierungsfirma für Videospiele in Dublin, wo er am Ende deutscher Editor für ein bekanntes MOBA-Spiel war. Seit 2018 lebt er wieder in Deutschland und übersetzt freiberuflich in Vollzeit Videospiele, hauptsächlich für Übersetzungsagenturen.

Dieser Beitrag wurde für die Online-Version zweigeteilt. Teil 2 ist im DVÜD-Blog am Mittwoch, 21.10.2020, erschienen. Die vollständige Fassung wurde am 14.10.2020 beim AVÜ DIE FILMÜBERSETZER*INNEN erstveröffentlicht und kann hier als PDF-Datei eingesehen oder heruntergeladen werden. Der DVÜD dankt dem AVÜ für das Recht der Zweitveröffentlichung als Blogartikel und die kollegiale Kooperation.

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