Leichte Sprache versus Standardsprache

Ein Gastbeitrag von Sarah Riehle

Probleme von Menschen mit Krankheiten und Behinderungen im deutschen Gesundheits·system

Vor·wort

Menschen, die nicht so gut lernen können, benutzen Leichte Sprache.

Manche Menschen können nicht so gut lesen.

Sie benutzen Leichte Sprache.

Andere Menschen können nicht so gut Deutsch.

Sie benutzen Leichte Sprache.

Leichte Sprache hilft allen.

Schnell zu verstehen.

Und mehr miteinander zu sprechen.

Alle sollen diesen Artikel verstehen.

Sie sollen sehen:

Das ist Leichte Sprache.

Und das ist Schwere Sprache.

Das schwere Wort dafür ist Demonstrations·artikel.

Deshalb ist ein Teil in Leichter Sprache.

Und ein Teil in Schwerer Sprache.

Frage

Wie ist die Lage in der Bundes·republik Deutschland?

 Am 23. Mai 1949, wurde das Grund·gesetz unterschrieben.

Grund·rechte gelten immer.

Und für alle Menschen.

 Artikel 3 ist sehr wichtig.

Dort steht: (…) „Niemand darf schlechter behandelt werden, wegen einer Behinderung.“

2009 hat Deutschland die Behinderten·rechts·konvention der Vereinten Nationen unterschrieben.

Für die gleich·berechtigte Teil·habe von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft.

Das schwere Wort dafür ist Inklusion.

Das heißt:

Staat und Gesellschaft sollen helfen, dass Menschen mit Behinderung nicht schlechter behandelt werden.

Politiker in Deutschland reden schon viele Jahre darüber.

Menschen mit Behinderung haben es immer noch schwerer.

Zum Beispiel: Wenn sie krank sind.

Dann können sie nicht einfach zu einem Arzt gehen.

Sie müssen auf viele Dinge achten.

Zum Beispiel:

Komme ich mit meinem Roll·stuhl in das Büro vom Arzt?

Oder: Komme ich dort auf die Toilette?

Viele Ärzte wissen zu wenig.

Über Menschen mit Behinderung.

Nicht, wie sie mit ihnen sprechen sollen.

Nicht, wie sie ihnen helfen sollen.

Das macht manchen von ihnen Angst.

Wenn Menschen Angst haben,

tun sie oft komische Dinge.

Vielleicht sagt ein Arzt:

„Ich will niemanden mit Behinderung in meinem Büro.“

Das ist nicht okay.

Das schwere Wort ist: Diskriminierung.

Wir müssen das ändern.

Wir können helfen.

Dass sich alle besser verstehen.

Und Menschen mit Behinderung,

diese Probleme nicht mehr haben.

Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Bildung.

Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Gesundheit.

Egal ob mit Behinderung.

Oder ohne Behinderung.

Menschen mit Krankheiten.

Und Behinderungen.

Egal welche.

Egal, wie alt Menschen sind.

Sie haben oft mehr Probleme.

Und werden schlechter behandelt.

Im deutschen Gesundheits·system.

Als Menschen ohne Behinderung.

Das schwere Wort ist Diskriminierung.

Dieser Artikel soll zeigen:

Das können alle tun.

Dann haben Menschen mit Behinderung, diese Probleme bald nicht mehr.

Alle sind:

Der Arzt,

Menschen mit Behinderung, die zum Arzt müssen.

Menschen, die beim Arzt

Oder im Kranken·haus arbeiten.

Sogenannte „Schwere Sprache“:

In Deutschland finanzieren die Kranken- und Pflegekassen Leistungen im Fall von Krankenhausaufenthalten, Operationen, Pflegebedürftigkeit, Hilfsmitteln und Therapien, die zur Grundversorgung zählen. Über Kämpfe und Verzweiflung darüber, dass andere entscheiden, welche Hilfsmittelart und –qualität man bekommt, sowie haarsträubende Argumentationen samt Bürokratie könnten viele Menschen mit Behinderung oder Erkrankung ein Buch schreiben. Sozialversicherungsangestellte ohne entsprechende Eigenerfahrung bestimmen über das Bewegungsbedürfnis von Versicherten in Metern außerhalb des Hauses oder begrenzen die tägliche Anzahl an Toilettengängen, um Hilfsmittelkosten zu sparen. Im Einzelfall werden lieber Dekubitusoperationen bezahlt, ehe die dreistelligen Kosten für ein vorbeugendes Sitzkissen übernommen werden.

Ein weiteres Beispiel

Jemand ist viel mit dem Rollstuhl unterwegs. Wenn die Tagesform es erlaubt, sind ein paar wackelige Schritte möglich. Gutes Essen wird geschätzt, nur gesund muss es sein. Die fragliche Person hat bereits weit mehr als die Hälfte des bisherigen Lebens damit verbracht, die Gesundheit in Ordnung zu bringen. Das aktuellste medizinische Ereignis plagt, wenn auch nicht täglich, ungefähr seit zwei Jahren –  Zeit, in der Menschen ohne Behinderung Ihrer Arbeit oder Freizeitbeschäftigungen nachgehen können.

Odysseen haben viele Gründe

Nur wenige Arztpraxen sind teilweise oder gar komplett barrierefrei. Es gibt dort Treppen über mehrere Stockwerke, aber der passende Aufzug, geeignete Toiletten oder Behandlungsausrüstung fehlen.

Im Vergleich zu Menschen ohne (neurologische) Behinderung bzw. Erkrankung ergibt sich im ausgleichenden Körperteil meist eine dauerhafte Fehlbelastung und Überlastung. Die Folge sind Erkrankungen, die im Regelfall alters- oder körperlich bedingt nicht aufträten. Hinzu kommt, dass sich Symptome umkehren oder durch verminderte oder nicht vorhandene Schmerzwahrnehmung recht harmlose Erkrankungen wie auch Verletzungen ernstere Folgen haben können. Deshalb müssten sie von allen Beteiligten anders bewertet und behandelt werden. Viele Behinderungen und Erkrankungen kommen immer seltener vor. Selbst unter zehn Menschen mit der gleichlautenden Diagnose ist keiner wie der oder die andere. Deshalb fehlt es sowohl Ärztinnen und Ärzten als auch medizinischem Fachpersonal an Erfahrungswerten und Vorstellungskraft.

Statt Symptome zu beschreiben, um nach der Untersuchung einen Behandlungsweg aufgezeigt zu bekommen, müssen Menschen mit einer entsprechenden Erkrankung oder Behinderung ihre behandelnden Mediziner*innen oft freundlich, aber bestimmt lotsen, um zu bekommen, was sie an zusätzlichen Tests, Untersuchungen oder Überweisungen benötigen. Manchmal müssen sie lange hartnäckig gegen Medikamenteneinsatz protestieren, um Schaden an ihrer Gesundheit zu verhindern. Allgemein- aber auch einige Fachärzte fühlen sich angegriffen und sind entsprechend verärgert. Da werden beispielsweise mäßig abweichende Vitalwerte, in Unkenntnis in beide Richtungen falsch bewertet, gelegentlich Fachgebiete verwechselt oder häufiger Kompetenzgrenzen nicht anerkannt. Zudem werden Patient*innen im Einzelfall oft weitergereicht. Ein insgesamt wenig gelassener Situationsumgang sorgt selten für mehr Vertrauen bei den Patient*innen mit Behinderung. Sie fühlen sich oft nicht gut betreut, und es dauert, bis sie die richtigen Mediziner*innen finden.

Obwohl Ende 2019 in Deutschland 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung[1] lebten (Grad der Behinderung [GdB] von mindestens 50), ist sogar die weltweite Teilstudienlage sehr dürftig und macht Sorgen. Laut einer 2013 in “The Lancet“ veröffentlichten Studie, für die am Universitätsklinikum Bristol 250 Patientenakten analysiert wurden, behandelnde Ärzte befragt und Pflegeheime besucht worden sind, starben Männer mit geistiger Behinderung und einer Erkrankung durchschnittlich mit 65 Jahren, etwa 13 Jahre früher als vergleichbar Erkrankte ohne geistige Behinderung. Frauen starben mit durchschnittlich 63 Jahren, also sogar 20 Jahre früher als ihre Vergleichsgruppe. Für das unnötig frühe Eintreten von 90 Todesfällen machte das Forschungsteam drei typische Fehlerquellen verantwortlich:

  • Nichtbeachtung wichtiger Informationen von begleitendem Pflegepersonal beim Arztbesuch
  • Datenverlust beim Austausch zwischen Ärzten, Krankenhäusern oder Pflegeheimen
  • Mangelhafte Koordination von Arztterminen bzw. entsprechend angepasste Pflegeplanung

Ergebnis

Diese Studie zeigt, es besteht großer Handlungsbedarf, um den Bedürfnissen von Menschen mit (neurologischen) Behinderungen oder Erkrankungen im deutschen Gesundheitswesen gerecht zu werden. Kinder sind — je nach Ausprägung entweder in einer herkömmlichen Kinderarztpraxis oder in Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) — bereits recht flächendeckend versorgt. Diese Versorgung endet mit Erreichen der Volljährigkeit Die seit einigen Jahren wachsende Zahl von Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB), deren Ziel es ist, diese Klientel aufzufangen und passgenau zu versorgen, wenn zur erfolgreichen Behandlung in Allgemein- oder Facharztpraxen behinderungsspezifisches Fachwissen fehlt, sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Solange dieses Netzwerk noch nicht flächendeckend existiert, müssen einerseits Patient*innen und deren Pflegepersonal sowie andererseits Ärzte und Ärztinnen samt Medizinischen Fachangestellten gemeinsam ein Kommunikationskonzept zum Wohl der Erstgenannten entwickeln, anstatt (wie leider sehr oft) gegeneinander zu arbeiten. Beispielsweise kann der regelmäßige Besuch von Fortbildungen zur Leichten Sprache für Ärzte und Ärztinnen, aber auch für das Praxispersonal verpflichtend werden. Die Vorstände der Landesärztekammern müssen dazu für die wichtige Rolle der Leichten Sprache in Medizin und Pflege sensibilisiert und die Fortbildungen in den Punktekatalog aufgenommen werden.

Zur Sicherung der angemessenen Hilfs- und Heilmittelversorgung bei Krankenversicherungen bzw. Leistungsbewilligung im Falle der Pflegekassen in Deutschland sollte verstärkt auf interessierte Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen als Expert*innen gesetzt werden. Wenn ihr Zustand es zulässt, verfügen viele über ein breitgefächertes Wissen. In einem ersten Schritt in mittelfristig angelegten Modellprojekten erprobt und bei positivem Ausgang durch Fördergelder finanziert, könnten dadurch langfristig Kosten eingespart werden.

Zukunftswünsche

Die bestehende Diskriminierung im deutschen Gesundheitssystem und daraus folgende Mehrklassen-Versorgung muss schnellstmöglich beseitigt werden. Wünschenswert ist, durch Strukturverbesserung, -ausbau und Wissensvermittlung mittelfristig die Perspektive eines klassisch ablaufenden Arztbesuches zu erreichen. Außerdem ist dringend ein weniger bürokratisches Vorgehen notwendig, damit niemand mehr unverhältnismäßig viel Frei- oder Arbeitszeit zur Antragsstellung investieren muss.

Weitere Informationen zum Thema:

https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/richtige-hilfe-fuer-beduerftige-die-etwas-andere-medizin-15531341.html

Porträtfoto der ÜbersetzerinDVÜD-Gastautorin Sarah Riehle steuert schon zum zweiten Mal einen Blogartikel bei. Medizin-und lösungsorientiert arbeitet sie nach einem Fachgebietswechsel seit 2016. Mit den Spezialisierungen auf Neurologie und inklusive Kommunikation zumeist EN>DE, erstellt sie Fachübersetzungen, Fachlektorate sowie literarische Texte, die die Welt ein Stück besser machen. 2021 fokussiert sie sich auf die Weiterentwicklung ihrer Fertigkeiten in Leichter Sprache. Zu ihren Kunden zählen Bildungseinrichtungen, Unternehmer*innen und Aktivist*innen genauso wie ausgewählte Agenturen. Ihr neuer Internetauftritt ist unter www.sarah-riehle.com zu finden. Sarah ist seit 2015 Mitglied im DVÜD.


[1] Quelle Statistisches Bundesamt Pressemitteilung vom 24.06.2020

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