Von Séverine Jacquinot-Dédier, Stand: 17. Januar 2021

Wenn mich jemand vor ein paar Jahren gefragt hätte, welche Begriffe ich in Zusammenhang mit Packungsbeilagen assoziiere, wären mir vor allem die Wörter Medikament, Dosierung und Nebenwirkungen eingefallen. Mir wäre aber auch das Wort Papierknäuel eingefallen. Papierknäuel? Ja, genau… Ich gehöre nämlich zu denjenigen, die immer wieder versuchen die Packungsbeilagen nach dem Lesen ganz genau zurück zu falten, wie sie vorher waren (bekennt Euch! Es gibt sicher noch welche unter Euch, die es genauso machen…). Leider habe ich dabei oft genug ein zerknittertes Knäuel in die Schachtel zurückgeschoben, was meine Laune zugegebenermaßen auch in einen leichten zerknitterten Zustand versetzte.

Sogar heutzutage, und obwohl Übung den Meister machen soll, schaffe ich es immer noch nicht diese Papierrätsel jedes Mal zu lösen. Es fallen mir aber noch viel mehr Begriffe in Zusammenhang mit Packungsbeilagen ein, wie unter anderem Quality review of Documents, MedDRA, oder standard terms, denn ich befasse mich mittlerweile recht oft mit deren Übersetzung. In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, was diese Dokumente sind und so einzigartig macht, wie sie sich in das europäische Arzneimittelregulierungssystem einfügen und welche Herausforderungen einen bei deren Übersetzung erwartet.

Was sind also Arzneimittelinformationen und welche Angaben enthalten sie?

Die oft jahrzehntelange Forschung und Entwicklung eines Humanarzneimittels mündet in der Regel in der Verfassung eines Common Technical Document, auch CTD genannt, welches als Basis für die Zulassung des Arzneimittels auf dem europäischen Markt dient und von der Richtlinie 2001/83/EG geregelt wird. Es gibt in der EU auch andere sogenannte „dezentrale“ Zulassungsverfahren, aber es würde hier den Rahmen sprengen, genauer darauf einzugehen. Das CTD enthält sowohl administrative Daten, als auch detaillierte Informationen zur Qualität des Präparats sowie Ergebnisse von klinischen und nicht-klinischen Studien, die mit dem Präparat durchgeführt wurden. Die Arzneimittelinformation ist ein Teil des CTD-Dossiers. Das Dossier wird auf europäischer Ebene verfasst, von dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) geprüft, und das Arzneimittel anschließend zugelassen.

Zur Gewährleistung einer sachgerechten Anwendung des Arzneimittels dürfen Präparate nur mit der Produktinformation verkauft werden. Sie enthält wichtige Details zu dem Arzneimittel, wie z.B. die Dosierung und Art der Anwendung, mögliche Nebenwirkungen, Interaktionen und Warnhinweise. Um die Umsetzung der EU-Richtlinie zu vereinfachen, hat die „Working Group on Quality Review of Documents“ (QRD) der EMA Vorlagen erarbeitet, die sogenannten „QRD product-information templates“, die für eine durchdachte, gleichbleibende Struktur und klar formulierte Angaben sorgen. Davon darf nur mit spezieller Begründung abgewichen werden.

Es gibt im Grunde zwei verschiedene Produktinformationen, die sich aus den verschiedenen Bedürfnissen der Ärzte und Fachpersonen bzw. der Patienten ergeben:

  • Die Packungsbeilage, die für den Patienten bestimmt ist und vor allem wichtige Angaben zur Anwendung und Aufbewahrung des Arzneimittels sowie Warnhinweise und mögliche Nebenwirkungen enthält,
  • Und die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (ZMA, auf Englisch „Summary of Product Characteristics“ oder SPC), die für medizinische Fachleute noch weitere Details zusammenfasst, die für die sichere Verschreibung wesentlich sind: unter anderem über Wechselwirkungen, Überdosierung, pharmakodynamische und pharmakokinetische Eigenschaften, sowie präklinische Daten.

Die Vorlage für die Packungsbeilage setzt darüber hinaus die EU-Empfehlung “Guideline on the Readability of the Label and Package Leaflet of Medicinal Products for Human Use” um, die auf eine patientengerechte Formulierung zielt.

Die Produktinformationen werden ursprünglich in Englisch verfasst, müssen aber auch in die verschiedenen europäischen Sprachen übersetzt werden, um in der jeweiligen Landessprache des Mitgliedsstaates, in dem das Medikament angeboten wird, zur Verfügung gestellt zu werden.

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Wie geht man also am besten vor, wenn man eine Arzneimittelinformation der EMA übersetzen soll?

Als erstes sollte auf jeden Fall eine aktuelle Vorlage der jeweiligen Produktinformation heruntergeladen werden. Diese findet man auf der Webseite der EMA in Englisch und 23 der europäischen Sprachen (übrigens bezieht es sich nicht auf die aktuell 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, sondern auf die 30 Staaten aus dem Europäischen Wirtschaftsraum, also dem EWR). Wichtig ist dabei, dass man immer die aktuelle Version heranzieht, denn die Vorlagen werden regelmäßig aktualisiert.

Die Vorlagen sind in 3 Sektionen gegliedert:

  • Anhang I: Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels
  • Anhang II: Informationen bzgl. Hersteller, sowie verschiedene Bedingungen und Einschränkungen
  • Anhang III: Etikettierung und Packungsbeilage

Die Bezeichnungen der Abschnitte wie „Bezeichnung des Arzneimittels“, „Qualitative und quantitative Zusammensetzung“, „Darreichungsform“, usw. müssen zwingend aus den Vorlagen übernommen werden. Dazu kommen noch einige Pflichtangaben oder Formulierungen, die es gilt direkt zu übernehmen oder teilweise anzupassen, je nachdem, wie diese Textelemente in der Ausgangsdatei formuliert sind. Die Vorlagen stellen ggf. verschiedene Optionen zur Auswahl. Um keine dieser Pflichtangaben zu übersehen, empfiehlt es sich also immer, die Zieldatei und die Vorlage in der Zielsprache parallel auf dem Bildschirm zu führen.

Zu beachten sind außerdem die „EDQM standard terms“, die für die Darreichungsform verwendet werden müssen, z.B. im Abschnitt 1 der ZMA. Diese können auch online konsultiert werden.

Darüber hinaus sollten folgende Referenzen aus der Webseite der EMA in der Zielsprache heruntergeladen werden, denn diese enthalten auch wichtige Pflichtformulierungen, die in bestimmten Abschnitten Anwendung finden:

  • Anhang I: Aussagen, die im Abschnitt 4.6 „Schwangerschaft und Stillzeit“ der ZMA benutzt werden.
  • Anhang II: Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) Terminologie, die im Abschnitt 4.8 „Nebenwirkungen“ der ZMA benutzt werden. In dem Dokument findet man die aktuell gültigen Angaben der Häufigkeit der Nebenwirkungen gemäß MedDRA-Konvention, sowie die Systemorganklassen (SOC) gemäß MedDRA-Datenbank, was eine Klassifizierung der Nebenwirkungen in 27 Klassen darstellt.
  • Anhang III: Aussagen zur Aufbewahrung des Arzneimittels, also typische Aussagen, wie „Nicht über 25º C lagern“, oder „In der Originalverpackung aufbewahren“, die in den Abschnitten 6.4 der ZMA, 9 der Etikettierung und 5 der Packungsbeilage zu benutzen sind.

Für die Fachbegriffe der Nebenwirkungen im Abschnitt 4.8 der ZMA ist auch die MedDRA Terminologie zwingend. MedDRA ist übrigens eine Sammlung standardisierter, vorwiegend medizinischer Begriffe, die in der Arzneimittelzulassung verwendet werden und vom International Council for Harmonisation of Technical Requirements for Pharmaceuticals for Human Use (ICH) entwickelt wurde. MedDRA wird regelmäßig aktualisiert, daher sollte eine Recherche der Fachtermini am besten online erfolgen. Dies kann in englischer oder z.B. deutscher Sprache erfolgen.

Da diese Fachtermini für den Laien teilweise aber nicht verständlich sind, dürfen bzw. müssen für Abschnitt 4 der Packungsbeilage umgangssprachliche Terme für die Nebenwirkungen angewendet werden. Es könnte z.B. Haarausfall anstelle von Alopezie benutzt werden oder Ohrgeräusch anstelle von Tinnitus.

In der Packungsbeilage gilt es übrigens generell die Sprache so auszuwählen, dass sie für den Durchschnittspatienten verständlich ist, und auf einen aktiven Sprachstil zurückzugreifen, damit sich der Patient direkt angesprochen fühlt.

Und in der Schweiz?

Hier gilt die Arzneimittel-Zulassungsverordnung (AMZV), die zumindest teilweise an dem Regelwerk der EMA angelehnt ist. Es gelten in der Schweiz aber eigene Vorlagen für die Fach- und Patienteninformation, die man auf der Webseite der Swissmedic, dem Schweizerischen Heilmittelinstitut, finden kann (siehe Quellen). Auch diese Vorlagen enthalten die gemäß AMZV verlangten Überschriften und Textelemente und sind daher im Grundsatz vergleichbar mit den QRD-Vorlagen. Ob für die Schweiz oder die EMA, die Übersetzungsarbeit unterscheidet sich nicht wesentlich, solange man die richtigen Vorlagen beachtet.

Fazit

Eines sollte man bei der Übersetzung von Arzneimittelinformationen stets im Kopf behalten: sie fassen essentielle Angaben zusammen, die eine sichere Anwendung des Arzneimittels durch Arzt und Patient erst ermöglichen. Man trägt also als Übersetzer eine große Verantwortung und sollte daher stets mit Bedacht arbeiten und die Information so präzise und verständlich wie möglich in der Zielsprache wiedergeben. Wenn man diese Vorlagen und Referenzen zur Hand hat und diese Tipps beachtet, ist man aber bestens für seine (erste) Übersetzung gerüstet.

Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll nur als Leitfaden für den medizinischen Übersetzer (oder die, die es werden wollen) dienen. Vermissen Sie dennoch weitere wichtige Tipps, dann teilen Sie Ihr Wissen gerne in den Kommentaren!

Weiterführende Links:

Bundesamt für Arzneimittelzulassung (BFARM): https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Arzneimittelinformationen/_node.html

BFARM PDF zu Packungsbeilagen (2015): https://www.bfarm.de/SharedDocs/Bekanntmachungen/DE/Arzneimittel/natVerf/bm-zul-20150414-packungsbeilagen_2015-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Arzneimittelinformationssystem von Bund und Ländern (DE), PharmNet.Bund: https://www.pharmnet-bund.de/static/de/index.html

DVÜD-Gastautorin Séverine Jacquinot-Dédier hat sich mit ihrer Firma Scientific Wordshop auf die Übersetzung von wissenschaftlichen Dokumenten (Deutsch/Englisch > Französisch) für die Pharma- und Medizin-Branche spezialisiert und hilft Firmen dabei, sich im französischsprachigen Raum zu etablieren.

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