Ein Gastbeitrag von Stas Olenchenko, ukrainischer Journalist

Ich bin ein zweisprachiger Ukrainer, der in einer russischsprachigen Familie in Kyjiw aufgewachsen ist. Dies ist die Geschichte der russischen Kolonialisierung und linguistischen Assimilierung in der Ukraine aus der Sicht meiner Familie.

9 köpfige ukrainische Familie, vergilbtes Bild;
alle Rechte bei Stas Olechenko
Das ist die Familie meines Ururgroßvaters (Zweiter von rechts) aus dem Jahr 1913. Ich wünschte, ich könnte mir so einen Schnurrbart wachsen lassen, aber ich schätze, ein paar Gene sind verloren gegangen. Copyright: Stan Olenchenko

Die englische Originalfassung dieses Artikels wurde hier als Twitter-Faden veröffentlicht. Nachdem der Faden viel Aufmerksamkeit bekam und viele Menschen darum baten, ihn in einen Artikel zu gießen, habe ich beschlossen, meine Geschichte auf Medium zu veröffentlichen.

Die sprachlichen Zusammenhänge der Ukraine können für Außenstehende ein kniffliges Thema sein. In dieser Geschichte versuche ich, die Zusammenhänge zwischen der ukrainischen und der russischen Sprache in der Ukraine anhand meiner eigenen Familiengeschichte darzustellen. Zum Verständnis: Ich bin ein zweisprachiger Ukrainer, der in einer russischsprachigen Familie in Kyjiw aufgewachsen ist.

Ein kurzer Abriss zur ukrainischen und russischen Sprache in der Ukraine vor der UdSSR

Ich beginne mit einigen Hintergrundinformationen. Russisch und Ukrainisch sind unterschiedliche slawische Sprachen, die teilweise gegenseitig verständlich sind. Sie weichen stärker voneinander ab, als viele Menschen glauben, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Wer mehr darüber erfahren möchte: Hier gibt es ein ausgezeichnetes Erklärvideo zu den Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Sprachen. Aber darum geht es in diesem Artikel nicht.

Vor der Sowjetzeit sah die linguistische Karte der Ukraine in etwa so aus: Praktisch überall in der Ukraine sprachen 70 bis 90 % der Landbevölkerung Ukrainisch. Auch ethnisch war die Bevölkerung vornehmlich ukrainisch, wobei in der Ukraine schon immer große kulturelle Vielfalt herrschte: Griechen, Tartaren, Polen, Deutsche und verschiedene nomadische Völker schufen einen großen Schmelztiegel. Zudem wurden Teile der Ukraine zu verschiedenen Zeitpunkten der jüngeren Geschichte von Russland, Polen, Österreich-Ungarn und sogar den Türken beherrscht. Deshalb war die Stadtbevölkerung vor der Sowjetära größtenteils nicht ukrainisch und sprach in erster Linie Russisch, Polnisch und Jiddisch. Die Städte waren jedoch nicht sehr groß: Die Wirtschaft war vor allem agrarisch geprägt. 

„Surschyk“ und meine (etwas langweilige) familiäre Herkunft

Nun zu meiner Familie. Die Familien meines Vaters und meiner Mutter stammten aus der Region Kyjiw. Das fand ich immer furchtbar langweilig, weil fast alle Einwohner von Kyjiw Wurzeln aus dem gesamten Land vorweisen können. Nur ich nicht. Ich komme aus Kyjiw.

Bis die Sowjets an die Macht kamen, waren alle meine Vorfahren ukrainischsprachige Bauern. Mündlich war die ukrainische Sprache trotz anhaltender Bemühungen seitens Russlands, sie aus Büchern, Schulen und Kunst zu verbannen, quicklebendig. Seit dem frühen 18. Jahrhundert schränkte Russland die Verwendung der ukrainischen Sprache ein, was schließlich im Emser Erlass von 1876 mündete. Damit wurde Ukrainisch aus Druckerzeugnissen, Bildungswesen, Kunst, Musik und dem öffentlichen Gebrauch verbannt. Selbst der Import ukrainischer Bücher aus Teilen der Westukraine, die damals unter der Herrschaft von Österreich-Ungarn standen, war jetzt illegal. 

Das Einzige, was diese koloniale Russifizierung erreichte, war jedoch die Entstehung von Surschyk, einer vielfältigen und chaotischen Mischung aus Ukrainisch und Russisch, die sich herausbildete, weil die schulische und staatliche Kommunikation ausschließlich auf Russisch ablief. Ich wette, meine Vorfahren griffen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Alltag in irgendeiner Form auf Surschyk zurück. 

Surschyk umfasst diverse mündliche Dialekte: Es gibt keine schriftlichen Regeln, und die regionalen Unterschiede sind groß. Es spiegelt eine jahrhundertelange erzwungene Russifizierung und den je nach Region unterschiedlich starken Einfluss des russischen Kolonialismus. Abgesehen von Surschyk wurde die ukrainische Landbevölkerung durch dieses Projekt des russischen Imperiums jedoch kaum russifiziert. Das änderte sich erst mit einer weiteren, nuancierteren Form der kolonialen Unterdrückung: der Sowjetzeit. Was Russland über Jahrhunderte hinweg nicht gelungen waren, gelang den Sowjets in der Ukraine in Jahrzehnten. 

Die Abenteuer meines Urgroßvaters Stepan während Kollektivierung, Holodomor und Zweitem Weltkrieg

Als 1929 die Kollektivierung begann, war mein Urgroßvater Stepan ein Teenager. Seine Familie hatte einen kleinen Hof, deshalb mussten sie fliehen, um ihr Leben zu retten und nicht nach Sibirien geschickt zu werden. So kam Stepan — ein ukrainischer Dorfbursche — zu Fuß nach Kyjiw. Stepan fand Arbeit in Ställen eines Droschkenunternehmens, das einem Juden gehörte. Nach ein paar anderen einfachen Anstellungen brach der Zweite Weltkrieg aus. Stepan zog in den Krieg, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, konnte aus dem Lager fliehen und versteckte sich zwei Jahre lang in einem ukrainischen Dorf (Soldaten, die in deutschen Kriegsgefangenenlagern inhaftiert gewesen waren, wurden von den Sowjets hingerichtet). Im Durcheinander des deutschen Rückzugs, schloss er sich wieder der sowjetischen Armee an und wäre fast eine Kriegsverletzung erlegen. Das Positive dieser Zeit war, dass er damals seiner späteren Frau begegnete. Als Veteranenfamilie erhielten die beiden 1945 ein Stück Land am Stadtrand von Kyjiw. 

Wie meine Familie russischsprachig wurde

1945 kam auch mein Großvater Vova zur Welt, der noch immer in einer ukrainischsprachigen Familie aufwuchs. In der Schulzeit, der Fachschule und der Armee wechselte er zu Russisch und knüpfte soziale Bindungen weitgehend auf Russisch. Das war das Ergebnis der sowjetischen Form der Russifizierung. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg nährte die UdSSR die Vorstellung einer „großen russischen Nation“, in der die russische Nationalität die „siegreiche“ und damit prestigeträchtigste war. Schulen und Universitäten gingen zu „Nur-noch-Russisch“ über. Andere Kulturen galten als „bourgeoiser Nationalismus“. Doch diese Veränderung geschah natürlich nicht über Nacht. 

Ihren Ursprung hatte diese Entwicklung bereits in der „hingerichteten Wiedergeburt“ in den 1930er Jahren [Rosstriljane widrodschennja bzw. Executed Renaissance]. Hunderte der klügsten ukrainischen Intellektuellen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen wurden damals hingerichtet bzw. nach Sibirien geschickt. Ukrainische Lehrer*innen wurden zu Tausenden entlassen und verhaftet. Zudem mussten im staatlich angeordneten Holodomor-Genozid von 1932/33 etwa 4 Millionen Ukrainer*innen verhungern. Rechnen wir noch 8 bis 10 Millionen Ukrainer*innen hinzu, die während des Zweiten Weltkriegs starben, und man erhält eine Vorstellung davon, wie brutal unterdrückt, ausgelöscht und ihrer Köpfe beraubt die ukrainische Identität damals war. 

Nach 1945 wurde im öffentlichen Leben somit die Vormachtstellung des Russischen zementiert. Um gute Noten zu bekommen, beruflich erfolgreich zu sein und einfach als „kultivierte“ Person zu gelten, musste man Russisch lernen und es überall sprechen. Das ist eine klassische Vorgehensweise der kulturellen Assimilierung, und es geschah unter der Sowjetherrschaft. 

Allerdings wurde das koloniale Erbe Russlands von den Sowjets nie ernsthaft anerkannt. Der russische Imperialismus war integraler Bestandteil des Lebens in der Sowjetunion, und viele sowjetische Institutionen führten die chauvinistischen, xenophobischen, russlandzentrierten Maßnahmen der Vergangenheit weiter fort. 

Mein Großvater Vova lernte Vera kennen, ein Mädchen vom Dorf, das zum Studium nach Kyjiw kam und ebenfalls aus sozialen und beruflichen Gründen von Ukrainisch zu Russisch umschwenkte. 1970 bekamen die beiden Zwillinge. Der eine davon war mein Vater Oleksandr (Sasha). Jetzt wurden die beiden Brüder in einer russischsprachigen Familie groß. 

Einmal fragte ich meine Großmutter, warum sie beschlossen hätten, in ihrer Familie Russisch zu sprechen, wenn Vova und sie doch ursprünglich Ukrainisch gesprochen hätten. Sie sagte mir, das sei keine bewusste Entscheidung gewesen — es sei einfach so passiert. Ein anderes Mal erzählte Großmutter, wie sie Ende der 1960er regelmäßig an einer bestimmten Ecke des Chreschtschatyk-Boulevards (im Zentrum von Kyjiw) vorbeikam. Das war der Block, in dem die verbliebene, alte Intelligenzija lebte, und es war der einzige Ort in Kyjiw, wo sie noch Ukrainisch vernahm. 

So kam es, dass ihre Familie zu Russisch überging. Weil Ukrainisch im restlichen Leben nutzlos war. Weil man mit Ukrainisch Verdacht erregte und als Nonkonformist gegolten hätte, und das ist für jemanden, der in einem totalitären Staat lebt, die schlimmste Angst. 

Oh, Stepan lebte damals noch — er sprach immer noch Ukrainisch und litt an einer PTBS und an Paranoia (wobei diese Begriffe damals nicht geläufig waren). Für Stadtkinder war Ukrainisch damals die Sprache einfältiger Dorfbewohner, und der alte Stepan passte perfekt in dieses Bild. 

Es war reiner Zufall, dass mein Vater damals eine der wenigen ukrainischen Schulen von Kyjiw besuchte und deshalb bei seinem Abschluss sowohl Ukrainisch als auch Russisch perfekt beherrschte. Das war sehr selten, denn bei den meisten Menschen in den Großstädten ging das Ukrainisch (oder Surschyk) ihrer Kindheit verloren, bis sie erwachsen waren. 

Wie die Familie meiner Mutter aus Scham zur russischen Sprache überging

Der Weg meiner Mutter Natalia verlief etwas anders. Als ihre Eltern aus den Dörfern nach Kyjiw kamen, um dort zu studieren und zu arbeiten, sprachen sie noch Surschyk und lernten sich kennen, bevor sie zu Russisch übergegangen waren. Darum redeten sie miteinander und mit den Kindern Surschyk. Meine Mutter wuchs also in einer surschyksprachigen Familie auf und besuchte dann eine russische Schule. Richtiges Ukrainisch lernte sie erst mit Ende 20, als sie mir bei den Hausaufgaben half. 

Mom sagte mir, sie und ihre Schwestern (sie hatte zwei) hätten früh gelernt, zu Russisch zu wechseln, sobald sie nach draußen gingen. Es war ihnen immer furchtbar peinlich, wenn ihre Mutter ihnen auf dem Spielplatz zurief, dass sie jetzt nach Hause müssten. Andere Kinder machten sich nämlich über surschyksprachige Kinder lustig. Natürlich sprachen damals viele Kinder in der Ukraine Surschyk. Ich gehe davon aus, dass viele Kinder, die sich über Surschyk lustig machten, selbst heimlich Surschyk redeten. Aber so ist das nun einmal im Kolonialismus. Die Kulturen der Kolonien werden abgewertet und als unterlegen, dumm und dreckig eingestuft

Und genau das geschah von den 1950ern bis in die 1980er in der gesamten UdSSR. Die Ukraine war in dieser Hinsicht keineswegs einzigartig. Kinder jedweder Abstammung schämten sich für ihre Wurzeln und wollten möglichst russisch aussehen, klingen und auftreten. Russisch war die Sprache, die Prestige und Erfolg versprach. Letztlich war Russisch DIE Sprache. Alle anderen Sprachen der Sowjetunion waren einfältige, archaische, ländliche Dialekte.

Und deshalb waren sowohl mein Vater als auch meine Mutter, als sie sich 1989 kennenlernten, russischsprachige Kyjiwer. Dazu gibt es eine nette kleine Anekdote. 

Dass meine Mutter Surschyk verstand und sprach, erfuhr mein Vater erst bei einem Besuch bei ihrer Familie, als sie sich schon etliche Monate kannten, und er war völlig schockiert darüber, wie man sich in dieser Familie unterhielt. Er ließ sich zwar nichts anmerken, aber später erzählte er mir irgendwann, dass diese Erkenntnis ihn damals völlig umgehauen hätte. 

Wie ich in der unabhängigen Ukraine in einer russischsprachigen Familie aufwuchs

Als die UdSSR zerfiel, waren meine Eltern jung und naiv und antisowjetisch eingestellt. Aller Russifizierung und von den Sowjets geförderter Assimilierung zum Trotz hatten viele Ukrainer*innen den russischen Imperialismus auf einer tieferen Ebene zu spüren bekommen. Sie wussten, dass sie Bürger*innen zweiter Klasse waren, und sie wollten, dass die Ukraine ihren eigenen Weg ginge. 

Und in diesen wilden und armen frühen Jahren der ukrainischen Unabhängigkeit kam ich zur Welt. Doch obwohl meine Eltern weitgehend proukrainisch und antisowjetisch eingestellt waren, schwenkten sie nicht auf Ukrainisch um. In der Familie redeten wir Russisch, und wir wohnten in der Nähe von Vova und Vera, mit denen ich ebenfalls Russisch sprach. Warum? Nun, in den Köpfen der Leute bestand keine Verbindung zwischen dem Gebrauch der russischen Sprache und einer prorussischen Einstellung (oder der russischen Staatsangehörigkeit). Russisch war immer noch DIE Norm. In den Großstädten der Zentral- und Ostukraine war es ganz normal, Russisch zu sprechen, etwas, das nicht viel hinterfragt wurde.

Wann immer wir die Familie meiner Mutter besuchten, hörte ich jede Menge Surschyk. Es kam mir lustig und eigenartig vor. Das bedeutet eines: Selbst Ende der 1990er und zu Beginn des 21. Jahrhunderts war Russisch in den Städten nach wie vor als Sprache dominant. Surschyk war nach wie vor ein unangemessener Dialekt. Das verinnerlichte ich schon als Kind. 

Im Vergleich zu den 1970ern machte das Ukrainische allerdings gewaltige Fortschritte, während ich aufwuchs. Ich besuchte eine ukrainische Schule, was inzwischen weitverbreitet und normal war. Trickfilme, Werbung und das restliche Fernsehprogramm waren teilweise auf Ukrainisch, teilweise auf Russisch. Die Rückkehr zum Ukrainischen verlief schrittweise, aber spürbar.

Im Gegensatz zu meinen Eltern, die als Kinder Russisch mit gewissen ukrainischen Restelementen gesprochen hatten, bin ich komplett zweisprachig aufgewachsen. Ich konnte beide Sprachen fließend schreiben und sprechen. Dennoch war unsere private Familiensprache weiterhin Russisch. 

Nach der Orangen Revolution von 2004 folgte die nächste Verschiebung. Mit einem Mal wurde man sich verstärkt der ukrainischen Identität bewusst. Meine Familie ärgerte sich darüber, dass wir alle Russisch redeten, weil wir historisch von den Russen unterdrückt worden waren. Damals zeigte sich auch, dass man die ukrainische Sprache vor russischen Einflüssen verteidigen musste. Die russische Popkultur war in der Ukraine nach wie vor allgegenwärtig. Russen hatten mehr Geld und Einfluss, und viele Ukrainer*innen hingen seit der Sowjetzeit an den Ködern einer von Russland dominierten Kultur. 

Allmählich bedienten sich die russische und prorussische Propaganda der Sprache als Waffe. Bemühungen der Ukraine, sich zu entkolonialisieren — die nicht immer mit Umsicht umgesetzt wurden — wurden als antirussisch dargestellt. Russland griff solche Äußerungen über die Diskriminierung der Russischsprachigen auf und thematisierte sie lautstark. 

In Wirklichkeit ist die Ukraine nach wie vor weitgehend zweisprachig und sieht die Sprachenfrage locker. Alle verstehen Ukrainisch und Russisch problemlos und wechseln häufig zwischen beiden Sprachen hin und her. Gespräche, in denen teils Russisch, teils Ukrainisch gesprochen wird, sind ganz normal. Wie man beim Einkaufen oder in der Bank spricht, lässt keine politischen Schlussfolgerungen zu. 

Aber Russland hat die Entkolonialisierungsbestrebungen der Ukraine und ihre proeuropäischen Hoffnungen stets persönlich genommen. Das ist einer der Gründe, warum Russland nach der Revolution der Würde [„Euromaidan“ 2013/14] zuerst die Krim annektierte und anschließend den Krieg im Donbas entfachte und aufrechterhielt. Ironischerweise erfolgte nach 2014 die nächste massive Wiederbelebung der ukrainischen Sprache. Die Menschen wechselten zunehmend zu Ukrainisch, und die Popkultur löste sich aktiv von Russland. Wieder einmal bekam die Ukraine den russischen Imperialismus zu spüren, und sie hatte die Nase voll. 

Zurück zum Ursprung: Wie und warum meine Familie wieder zu Ukrainisch überging

Obwohl wir russischsprachig sind, waren meine Familie und ich immer proukrainisch. Wir waren 2004 und 2014 auf dem Maidan. Mit der Zeit hat meine Familie immer mehr Trotz entwickelt und den Respekt vor Russland verloren, das der Ukraine und unseren Vorfahren so viel angetan hat. 

Viele Familien haben ihre ukrainische Identität in den letzten Jahrzehnten in ähnlicher Weise wiederentdeckt. Auch meine. Als Russland am 24. Februar 2022 brutal in mein Land einfiel, lag für uns auf der Hand, was jetzt richtig wäre.

Zum ersten Mal seit fast 100 Jahren spricht man in meiner Familie neuerdings zu Hause wieder sauberes Ukrainisch. Wir sind nicht komplett auf „Nur-noch-Ukrainisch“ umgeschwenkt. Es ist eher ein Versuch, Ukrainisch in unserer Familie bewusst zu nutzen. Denn heute wissen wir, wie und warum unsere Familien russifiziert wurden. Heute sehen wir, dass es notwendig ist, unsere Geschichte und Kultur durch bewusste Entscheidungen zu entkolonialisieren

Ich glaube, das ist die Geschichte, die ich erzählen wollte. Hier noch zwei letzte Anmerkungen:

  1. Es gibt Millionen Familien wie meine, die Hungersnöte, Kriege und eine erzwungene Russifizierung durchgemacht haben. Dass sie Russisch sprechen, hat nichts mit ihrer ethnischen Herkunft oder politischen Sympathien zu tun. 
  2. In der Ukraine existieren verschiedene Sprachen und Dialekte, aber sie hat jedes Recht dazu, ihre ukrainische Identität zu entkolonialisieren und sich von Russland abzugrenzen. Das Geschrei über die Diskriminierung russischsprachiger Bürger*innen war schon immer völliger Blödsinn. Das sage ich als jemand, der von Geburt an russischsprachig war und ist. 

Zum Abschluss dieses Artikels bitte ich Sie, die Ukraine im Kampf um ihre Existenz zu unterstützen.

Mehr Informationen über die politischen und kulturellen Hintergründe des Russisch-Ukrainischen Krieges finden Sie in unserem Projekt Ukraine Explainers. Und folgen Sie mir gern auf Twitter.
Vielen Dank.

Englische Erstveröffentlichung auf Twitter von Stas Olenchenko am 30. April 2022. Stas Olechenko schreibt über die Ukraine und hat einen Podcast zur Klimakrise. Dann kam die russische Invasion. Er ist Gründer und Autor von „Ukraine Explainers“, wo er und seine Mitstreiter auch konkret um Hilfe für die Ukraine bitten. Weitere Hilfsmöglichkeiten, insbesondere für Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland, hat der DVÜD in seinem Artikel Ukraine: Wie kann ich helfen? zusammengestellt.

Für diesen Artikel wurde in Absprache mit dem Autor die überarbeitete Version des Twitterfadens auf Medium.com zugrunde gelegt: My family’s 100-year path from speaking Ukrainian to speaking Russian and back.

Deutsche Übersetzung von Imke Brodersen. Veröffentlichung auf dem DVÜD-Blog mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der DVÜD dankt für die kostenfreie Zustimmung zu Übersetzung und Veröffentlichung in der vorliegenden Form.

Die deutsche Transkription „Kyjiw“ orientiert sich an den Überlegungen der zweisprachigen Übersetzerin Ganna Gnedkova (UA/DE/EN) in ihrem Artikel „Sprache und Macht: Kiew? Kyjiw!“ (21. April 2022 in DerStandard) und den Empfehlungen des Dachverbands der ukrainischen Organisationen in Deutschland e. V. (Stand: 4. Mai 2022).

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