Der Einstieg in den Übersetzerberuf ist mit vielen kleinen Hürden verbunden. Klar, formale Beschränkungen wie eine bestimmte Ausbildung gibt es nicht, aber auch dadurch stehen wir am Anfang oft etwas im Nebel – das gilt ganz besonders für Quereinsteiger, die sich nicht in Studium oder Ausbildung bereits auf bestimmte Themen festgelegt haben. Wenn wir uns jedoch darüber bewusst werden, welche Interessen, Fähigkeiten und Kompetenzen wir bereits am ersten Tag mitbringen, lichtet sich dieser Nebel schnell, das eigene Profil nimmt Formen an – und es fällt uns auch leichter, die eigene, neue Dienstleistung anzubieten und zu vermarkten.

Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Frühere Ausbildungen nutzen

Die wenigsten Quereinsteiger wechseln direkt von der Schule in die Übersetzung. In der Regel liegen noch einige berufliche Stationen vor der Entscheidung, in die Sprachdienstleistungen zu wechseln. Genau diese Stationen bringen euch wertvolle Kenntnisse aus der Praxis! Ihr habt Sprachen studiert? Tolle Vorbildung, aber das Verständnis mehrerer Sprachen und deren Verhältnis zueinander ist bei weitem nicht der einzige Weg, um als Übersetzer erfolgreich zu sein. Anhand der Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) lässt sich das eigene Sprachniveau bestimmen – professionelle Übersetzer sollten ihre Zielsprache auf Niveau C2 beherrschen.

Ihr wart in der Krankenpflege oder in Labors tätig, womöglich in verschiedenen Ländern? Praxiskenntnisse und Ärztesprech sind für Medizinübersetzer*innen Gold wert! Ihr wart in der Werbung? Das heißt, ihr könnt kreativ formulieren – und Marketing-Übersetzungen werden oft genug gefordert. Auch andere vorherige Berufe können zu Übersetzungen führen. Aus einem Technischen Zeichner kann beispielsweise mit dem entsprechenden Sprachverständnis ein Technischer Übersetzer werden – ich spreche aus Erfahrung, da dies genau mein Weg war. Auch in Tourismus, Natur, Kulinarik und vielen anderen Bereichen werden Übersetzungen angefertigt, in denen nicht nur die Sprache, sondern auch Fachkompetenz und echtes Hintergrundwissen gefragt sind (das Internet weiß eben doch nicht alles). Es gibt zahlreiche akademische und nichtakademische Berufe, die einen Weg in die Tätigkeit als Übersetzer*in ebnen können, und die Wahrscheinlichkeit ist sogar recht hoch, dass auch deiner dabei ist!

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – Freizeitgestaltung als Berufsmotor

Nicht nur die Ausbildungen sind wertvolle Ressourcen, auch im Freizeitbereich lauern einige Chancen. Bestes Beispiel ist der stetig wachsende Gaming-Sektor. Wer ein Fantasy-Spiel gut übersetzen, die Atmosphäre einfangen und den Nerv der Spieler*innen treffen möchte, muss sich mit diesen Spielen notwendigerweise gut auskennen. Wer Sportspiele übersetzt, sollte den dort bekannten Reportersprech beherrschen, ihn bedienen und auch ironisch damit spielen können (ein paar Sportlerzitate helfen auch, um vom Feeling her ein gutes Gefühl für die Materie zu bekommen – na, wer erkennt das Zitat?). Auch in der Kultur finden sich herrliche Gelegenheiten, das Hobby zum Beruf zu machen. Cineasten oder Hobbyschauspieler haben beispielsweise oft ein Gespür für Tempo, Pausen und Dialoge – wichtige Grundlagen für die Erstellung von Untertiteln. Auch in anderen Bereichen baut sich in der Freizeit ein wertvoller Wissensschatz auf, der im Übersetzerberuf sehr nützlich werden kann – überall, wo über Freizeitgestaltung geschrieben wird, stammt wahrscheinlich das Wissen von jemandem, der die eigene Freizeit entsprechend gestaltet hat. Wenn in dieser Kette nun noch Übersetzer*innen tätig sind, die diese Art der Freizeitgestaltung bestens kennen, die Autor*innen wirklich verstehen und auch den lokalen Jargon beherrschen und auf natürliche Weise anwenden können (ob Mountainbiking oder Meditation, es fällt einfach auf, wenn Übersetzer*innen wenig Berührungspunkte mit dem Thema haben), wird das Ergebnis eine Freude für die Zielgruppe. Angenehmer Nebeneffekt: Deine Auftraggeber sind zufrieden, die Revision hat kaum noch etwas zu tun, und so kannst du die Honorare durchsetzen, die deine Kenntnisse wert sind.

Die Basis einer gesunden Ordnung ist ein großer Papierkorb – Kompetenzen auswählen

Nun habt ihr vielleicht eine Ausbildung absolviert, darauf ein Studium gelegt (oder umgekehrt), vielleicht habt ihr auch mehrere Studiengänge ausführlich genug ausprobiert, um euch in dem jeweiligen Fach gut auszukennen, dazu eine vielfältige Freizeitgestaltung – und nun steht ihr vor zwanzig Spezialgebieten, in denen ihr euch wohlfühlt und in denen ihr gerne tätig sein wollt. Hier gilt es nun, die Auswahl auf Schwerpunkte einzugrenzen – wer sich für eins, zwei, fünf Bereiche entscheidet, verabschiedet sich nicht in alle Ewigkeit von allen anderen. Wenn sich hier ein tolles Angebot ergibt, verbietet euch niemand, es anzunehmen. Dennoch ist es wichtig, für euch zumindest Schwerpunkte zu setzen, um euch in diesen Bereichen ganz besonders als Spezialist zu positionieren (schon der Honorare wegen, siehe oben). Als „Experte für alles“ schwächt ihr eher eure Position. Außerdem ist es auch der Psyche zuträglich, einige private Bereiche nicht in den Arbeitskontext zu ziehen – ihr werdet euch noch früh genug dabei erwischen, mittelmäßige Übersetzungen zurück- und in „schön“ neu zu übersetzen. Gerade weil der Beruf stark in das tägliche Leben greifen wird, achtet wirklich darauf, zumindest ein paar Ecken frei von Arbeit zu halten.

Das Profil ist nicht alles – die Grundlagen nicht vergessen und trainieren

Auch wenn ihr nun ein schönes und scharfes Profil habt und wisst, wohin es gehen soll – denkt daran, dass euch ohne die Grundfähigkeiten als Übersetzer*in das schönste Profil in Rekordzeit auf die Füße fällt. Bei Übersetzungen reicht es nicht, nur die beiden Sprachen gut zu beherrschen – der Weg zwischen zwei Sprachen ist das Entscheidende. Zudem ist der Faktor Selbstorganisation nicht zu unterschätzen – wie überall, wenn kein Chef die Zeitpläne macht, seid ihr für eure Arbeitszeiten (und die Existenz eurer Freizeit!) selbst verantwortlich. Auch eine gewisse Frustrationstoleranz ist vonnöten, wenn ihr den Beruf längere Zeit ausüben möchtet – auch hinter den schönsten und faszinierendsten Aufträgen können anstrengende Kunden stecken. Eine letzte wichtige Kompetenz ist es schließlich, auch in anstrengenden Zeiten die schönen Aspekte unseres Berufs nicht aus dem Auge zu verlieren. Am Ende dürfen wir an Texten arbeiten, die anderen Menschen helfen und an denen wir uns durch unsere Arbeit bilden, oder wir bekommen Texte zur Übersetzung, an denen die Arbeit wirklich Freude bereitet.

Heiko Pfeil hat sein Anglistikstudium um einen Abschluss als technischer Produktdesigner für Maschinen- und Anlagenkonstruktion ergänzt. Er übersetzt schwerpunktmäßig Englisch <> Deutsch im technischen Bereich. Seit 2018 unterstützt er den DVÜD als aktives Beiratsmitglied.

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