Wenn potenzielle Kunden nicht nur zufällig über dich stolpern sollen, musst du auf sie zugehen. Ein guter Webauftritt und Visitenkarten für die persönliche Begegnung und Zufallskontakte sind nur der Anfang für die aktive Kundengewinnung.

Nach Analyse deiner Fähigkeiten und möglicher Kundengruppen – siehe Olga Müllers Artikel „Was kann ich? Wer braucht das?“ – solltest du analysieren, wie du an diese Kundengruppen gezielt herantrittst. Für Urkundenübersetzer können Online-Anzeigen oder lokale Portale sinnvoll sein, denn hier kommt es auf Streuung an. Wer hochspezialisiert ist, kann prüfen, ob Anzeigen in einem Medium der eigenen Zielgruppe sinnvoll sein könnten. Aber das alles ist immer noch Werbung. Akquise geht darüber hinaus.

Akquise ist mehr als Werbung

Weißt du wirklich, wer deine Kunden sein könnten? Hast du Listen mit Unternehmen oder Institutionen, denen du perfekt helfen könntest, ihre Ziele zu erreichen? Kennst du die relevanten Ansprechpartner?

Auf diese Menschen musst du zugehen – auf die Menschen, nicht auf das anonyme Unternehmen. Finde Möglichkeiten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, zum Beispiel auf Branchenveranstaltungen oder Kongressen. Versuche, rechtzeitig vor einem solchen Ereignis Kontakt aufzunehmen, und vereinbare einen Gesprächstermin, um dich vor Ort persönlich vorzustellen und bei dieser Gelegenheit eine denkbare Zusammenarbeit auszuloten.

Das gilt auch für Agenturen, bei denen die Global Player gern ihre Unterlagen übersetzen lassen. In einer großen, anonymen Übersetzungsagentur, bei der du nur deine Daten in einer Datenbank einpflegst und getreulich alle vorgelegten Dokumente zur Geschäftsanbahnung unterschreibst, bleibst du vermutlich ein austauschbarer Datensatz. Versuche, Kunden zu finden, mit denen du sprechen kannst. Geschäftspartner, die persönlicher arbeiten, findest du bei Branchenveranstaltungen wie Übersetzerkonferenzen, aber auch bei der tekom-Jahrestagung oder der elia together, einer Fachkonferenz, die von Sprachdienstleistern organisiert wird. Dort ist eine aktive Kontaktaufnahme gern gesehen.

Der richtige Zeitpunkt

Du suchst dringend Aufträge, weil sich eine Flaute anbahnt (oder die Energiepreise so gestiegen sind, dass du dringend mehr Umsatz brauchst)? Das ist definitiv der ungünstigste Zeitpunkt für Akquise. Das Problem: Du bist gerade erpressbar und verkaufst dich damit leicht unter Wert. Daraus resultiert ein zweites Problem: Weil du mit etwas Pech an oder gar unter deine Schmerzschwelle gehst, ist dieser Kunde für dich langfristig nicht interessant. Und das wird er spüren, egal wie professionell du dich verhältst.

Der optimale Zeitpunkt, um aktiv zu werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Es kann eine spontane Chance sein – siehe Sarah Riehles Artikel „Unkonventionell zum Erfolg“ – oder mit aktuellem Branchengeschehen zu tun haben (zum Beispiel dem Gastland der übernächsten Buchmesse). Oft geht es weniger um den exakt richtigen Zeitpunkt, sondern darum, überhaupt aktiv zu sein. Reserviere dir ganz regelmäßig einen Vormittag, um potenzielle Ansprechpartner zu recherchieren und gezielt zu kontaktieren. An diesem Tag entwirfst du Anschreiben und Angebote, telefonierst und bist so präsentabel, dass du auch kurzfristig für ein Online-Meeting oder schlichtes Skypen bereitstehen kannst.

Begegnung bitte

Vor Corona wussten viele Kunden die persönliche Begegnung zu schätzen. Das gilt auch, wenn man sich schon länger per Telefon, Mail und vielleicht auch Videokonferenz „kennt“. Eine Besprechung vor Ort, Dolmetschtermine bei Verhandlungen, Audits oder Messen, das alles führt zu Begegnungen, bei denen sich weitere Gespräche ergeben. Auch wenn du sonst meist am Schreibtisch sitzt, solltest du jede Möglichkeit nutzen, deinem Kunden in die Augen zu sehen. Setz dich in Bewegung, ob für Kennenlerntermine oder für die Vorstellung deines konkreten Angebots.

Nein heißt mitunter nur „Jetzt nicht“

Nicht jedes Nein ist ein echtes, endgültiges Nein. Wenn dein Ansprechpartner im Unternehmen die von dir angebotene Dienstleistung momentan nicht gebrauchen kann, heißt das nicht, dass dies im ganzen Unternehmen nie der Fall ist. Frage, ob du dich später noch einmal melden darfst oder ob vielleicht eine andere Person Bedarf haben könnte. Einem netten Einstiegsgespräch kannst du einen Brief mit einem kleinen Flyer zu deinem Angebot hinterherschicken. Im Gespräch solltest du natürlich heraushören, ob das angebracht ist oder nicht.

Niemand möchte ständig mit Werbung bombardiert werden. Aber mitunter möchte eine Firma weniger von einem einzigen Dienstleister abhängig sein oder plant gerade ein Projekt, und du kommst ihnen gerade recht. Wenn du am Telefon feststellst, dass dein Anruf sehr ungelegen kommt, gibt es zwei Strategien: Frage, ob du dich noch einmal zu einem günstigeren Zeitpunkt melden darfst. Oder frage ganz neutral, wer denn im Einkauf für Sprachdienstleistungen zuständig sein könnte. In Mitunter haben verschiedene Abteilungen (Personal, Marketing, Einkauf, Herstellung mitsamt Dokumentation) eigene Budgets. Finde heraus, wer für das zuständig ist, was du kannst.

Eventuell kannst du aufgrund deiner langen Auslandserfahrung auch Mitarbeiter für Auslandseinsätze schulen oder individuelles Coaching anbieten. Dass du eine Ausbildung als Übersetzerin und/oder Dolmetscherin hast, heißt nicht, dass du dein Leben lang ausschließlich übersetzen und dolmetschen musst. Nicht jedes Nein ist endgültig oder gilt dir persönlich.

Auch aktive Kundenpflege ist Akquise

Hast du Kunden, die bestimmte Aufträge zu bestimmten Zeitpunkten platzieren? Kontaktiere sie rechtzeitig, um dich in Erinnerung zu bringen und den Zeitrahmen abzustimmen. Mitunter könnte auch ein Rahmenvertrag sinnvoll sein, in dem du festhältst, wie viel Zeit (Arbeitstage, Stunden) zu welchem Honorar in welchen Monaten für diese Kunden reservierst.

Hast du eingeschlafene Kundenbeziehungen? Von wem hast du seit Monaten oder gar ein bis zwei Jahren nichts mehr gehört? Kennst du den Grund dafür? Wenn nicht, dann greife zum Telefon oder schreibe eine Mail und bringe dich freundlich in Erinnerung. Vielleicht gab es einen Mitarbeiterwechsel. Vielleicht werden weniger oder andere Sprachdienstleistungen in Anspruch genommen. Vielleicht setzt man inzwischen auf Maschinenübersetzung, bräuchte aber eine Person, die von Zeit zu Zeit vor Ort überprüft, ob die Terminologie nach wie vor korrekt ist und neuesten gesetzlichen Vorgaben entspricht. Im Gespräch kannst du erfahren, was sich verändert hat und aus welchem Grund – und dann kannst du dein maßgeschneidertes Angebot entwerfen.

Mitunter ergibt sich im Gespräch ein Auftrag, weil du längst das kannst, was gebraucht wird, aber niemand dich dafür auf dem Schirm hatte. Das kann deine Dritt- oder Viertsprache sein, die inzwischen professionelles Niveau erreicht hat. Oder du hast dich in jüngerer Zeit intensiv mit aktueller Suchmaschinenoptimierung (SEO) fortgebildet und kannst bei der Neugestaltung der Website wertvolles Wissen einbringen. Bestandskunden wollen vielfach nicht mehr dasselbe wie vor fünf oder zehn Jahren – frage nach, was sie JETZT brauchen. Denke immer daran: Deine Kundschaft kommt ebenso wenig allein zum Erfolg wie du. Sie beauftragt kompetente Dienstleister*innen, die sie ihren Zielen näherbringt. Und der nächste Auftrag geht vielleicht an dich!

Imke Brodersen (DE/EN/SP) ist Diplom-Übersetzerin, Fachübersetzerin für Medizin und öffentlich bestellte und beeidigte Urkundenübersetzerin für Englisch in Baden-Württemberg. In 30 Jahren als Freiberuflerin hat sie ihre Ausrichtung wiederholt dem Markt und eigenen Wünschen angepasst. Heute übersetzt sie in erster Linie Literatur. Ihre Liebe gilt den unbegrenzten Möglichkeiten der Fantasy-Welten UND dem Fortschritt bei psychologischen und medizinischen Fragestellungen, ganz besonders in Sachen Hirnforschung.

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