Nachdem Antonio Toral mit seinem Vortrag über den möglichen Nutzen von Maschinenübersetzungen für Literaturübersetzer*innen für einen sehr spannenden ersten Abend gesorgt hatte, ging es am darauffolgenden Morgen nicht weniger interessant weiter.

Susana Valdez: PenPal in Translation

Susana Valdez von der Universität Lissabon stellte im ersten Vortrag des Tages ihr Projekt PenPal in Translation vor, in dem der Begriff „Machine Assisted Translation“ etwas anders als üblich verstanden wird. Im Rahmen des Projekts wurde für das Sprachenpaar EN–PT ein Netzwerk aus Student*innen, Übersetzer*innen und Wissenschaftler*innen aufgebaut, die in Gruppen an einem Text arbeiteten und diesen dann online stellten. Insgesamt wirkten 300 Student*innen an dem Projekt mit, tauschten sich untereinander über Verständnis- und Übersetzungsprobleme aus, erstellten eine Liste mit Problemen, die speziell auf das Sprachenpaar EN–PT zutreffen, und suchten mit den anderen Teilnehmer*innen nach Möglichkeiten, die persönlichen Erfahrungen der Autoren, die in den englischen Texten verarbeitet wurden, in der Zielsprache Portugiesisch wiederzugeben.

Mit Hilfe einer Webseite, eines Blogs und einer Datenbank wurden den Teilnehmenden allgemeine Fähigkeiten rund um die Online-Werkzeuge vermittelt: Es stellte sich heraus, dass nicht alle gleich effizient mit den Plattformen arbeiteten und dass Student*innen in der Ausbildung nicht genügend mit digitalen Hilfsmitteln und Möglichkeiten in Kontakt kommen. Durch den Frontalunterricht, der an vielen Universitäten immer noch an der Tagesordnung ist, lernen die Studierenden nicht ausreichend, selbstständig zu arbeiten und Sachverhalte kritisch zu hinterfragen.

Trans-Atlantic and Pacific Project

Ein weiteres Projekt, an dem Valdez beteiligt ist und das sie an diesem Tag vorstellte, ist das im Semester 1999/2000 begründete Trans-Atlantic and Pacific Project. Auch hier sollen verschiedene Gruppen zusammengebracht werden: Übersetzer*innen und Autor*innen. Die Teilnehmer*innen dieses Projektes gehen der Frage nach, ob und in welchem Umfang Schreibkompetenzen auch an Studierende der Übersetzungswissenschaften vermittelt werden müssen – denn, so das Argument, auch wenn sie hochspezialisierte Texte in der Zielsprache anfertigen können, sind Übersetzer*innen doch keine Autor*innen und wissen im Zweifelsfall wenig über die Feinheiten des Schreibens. Besonders fatal ist das natürlich bei Literaturübersetzungen, die wesentlich anders angegangen werden müssen als technische Übersetzungen.

Gleichermaßen beleuchtet das Projekt auch die andere Seite: Wie können Autor*innen ihre Texte möglichst übersetzungsgerecht verfassen? Welche Anforderungen stellt der Übersetzungsprozess an einen Text und wie kann man gegenseitige Rücksichtnahme fördern, sodass nicht jeder in seinem stillen Kämmerchen sitzt und vergisst, dass mehr als ein Kopf an diesem Text gesessen hat beziehungsweise noch sitzen wird?

Workshops: Von Übersetzungen in der Wolke…

Nach der Mittagspause war es an der Zeit, die Workshops zu besuchen, für die wir uns tags zuvor eingetragen hatten. Es gab Workshops zu verschiedenen Themen für die Sprachen Englisch, Spanisch und Französisch. Wegen seines fesselnden Vortrags am Vorabend war der Workshop von Antonio Toral natürlich gut besucht. Er ließ die Teilnehmer*innen mit Hilfe von zwei verschiedenen maschinellen Übersetzungssystemen einen Auszug aus Sherlock Holmes übersetzen. Das erste Online-Programm schlug die jeweils geläufigsten Übersetzungen für ein Wort vor, die der Übersetzende dann entweder auswählen oder aber übergehen konnte. So weit, so bekannt. Das zweite Programm hingegen lernte dazu: Sherlock Holmes raucht ja bekanntlich eine Pfeife, kein Rohr. Während die ersten Übersetzungsvorschläge alle noch „Rohr“ lauteten, erkannte das Programm nach einigen Segmenten, dass „pipe“ vom Menschen stets mit „Pfeife“ übersetzt wurde, und passte seinen Vorschlag entsprechend an.

Das große Problem, das beide Programme hatten: Sie arbeiten mit Korpora aus bereits erstellten Übersetzungen, die in der Cloud gespeichert sind. Benutzt man also ein solches Programm, erklärt man sich zum einen damit einverstanden, dass das Programm den hochgeladenen Text in seinen Korpus aufnimmt – das ist urheberrechtlich problematisch. Zum anderen stellten wir während der Bearbeitung in der Gruppe fest, dass 100%-Matches automatisch übernommen wurden und einmal bestätigte Übersetzungen auf dem PC nebenan ebenso zu sehen waren wie auf dem eigenen. Diese Funktion lässt sich zum Glück abschalten, die Verletzung des Urheberrechts, die durch das Hochladen des Originaltextes in die Cloud zustande kommt, bleibt jedoch bestehen.

… und der molekularen Zusammensetzung von Mars-Staub

Den zweiten Workshop des Tages leitete der literarische Übersetzer Bernhard Kempen, der für Verlage wie Heyne und FISCHER Tor Science-Fiction-Bücher übersetzt. Obwohl er selbst kein studierter Übersetzer ist, hat er sich mit seinem Faible für das Futuristische und der Übersetzung mehrerer Star-Trek-Romane und anderer SciFi-Titel einen Namen machen können. Zu seinem Workshop brachte er Beispiele aus verschiedenen Romanen mit, die ihn während der Übersetzungsprozesse beschäftigt hatten und ließ die Teilnehmenden daran herumprobieren. Außerdem wies er auf die Bedeutung der Naturwissenschaften in Science-Fiction hin sowie darauf, dass einem während der Übersetzung auch durchaus auffallen kann, dass der Autor es mit der Wissenschaft nicht ganz so genau genommen hat. Man müsse kein promovierter Naturwissenschaftler sein, aber ein gesundes Interesse für das Fachgebiet sei definitiv hilfreich, so Kempen.

Da am Workshop auch einige Student*innen teilnahmen, die noch keinerlei Übersetzungserfahrung gesammelt hatten – sei es im Universitätskontext oder im Berufsalltag – beantwortete Herr Kempen viele Fragen, zum Beispiel den ewigen Dauerbrenner und Quell der Verzweiflung für viele Student*innen: „Wie sind Sie an Ihren ersten Auftrag gekommen?“ Das Patentrezept gibt es bekanntermaßen nicht, aber der regelmäßige Austausch mit Kolleg*innen, Fachleuten und auch Autor*innen hilft sicherlich bei der Erstellung einer flüssigen Übersetzung – ebenso wie der Rat, sich niemals blind auf eine maschinelle Übersetzung zu verlassen.

Autorin: Alexandra Jordan übersetzt vor allem Computerspiele und Literarisches, lektoriert Texte aller Art und unterstützt den DVÜD e. V. als Beiratsmitglied.

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