Ein Interview mit Tora von Collani zur Themenwoche „Quereinsteiger“

Tora von Collani hat Vor- und frühgeschichtliche Archäologie studiert und sich 2019 mit ihrem Unternehmen Textability als Übersetzerin und Lektorin selbstständig gemacht. Neben archäologischen Texten übersetzt sie seit Kurzem auch Belletristik: Ihre erste Romanübersetzung ist im Mai 2022 erschienen. Das fand die DVÜD-Redaktion spannend und bat um ein schriftliches Interview.

Was hat Übersetzen mit dem zu tun, was du ursprünglich studiert hast? Wo liegen die Schnittmengen?

Lustige Frage, denn so habe ich noch nie darüber nachgedacht, obwohl es tatsächlich Ähnlichkeiten gibt, denn beides ist Detektiv- und Puzzlearbeit.

In der Archäologie versucht man, etwas über das Leben der Menschen in der Vergangenheit herauszufinden; für die prähistorische Zeit können wir uns meist nur auf dingliche Hinterlassenschaften stützen. Stück für Stück oder Fund für Befund entsteht so ein Bild. (Ein Befund ist nicht ein Fundstück, sagen wir ein Messer, selbst, sondern das Drumherum, also zum Beispiel das ganze Grab, in dem das Messer lag.) Nicht immer ist klar, wie Funde und Befunde zu verstehen sind, deshalb ist oft Interpretation im Spiel.

Auch Übersetzung ist immer Interpretation, und Wörter müssen so zusammengesetzt werden, dass in der Zielsprache das Bild dessen entsteht, was in der Ausgangssprache gemeint war. Als Übersetzer:in ist man ständig auf der Suche nach dem treffendsten Begriff, der bestmöglichen Formulierung. Die Sätze entstehen, als würde man ein zerscherbtes Gefäß auf dem Papier in einer Zeichnung neu entstehen lassen.

Die Sätze entstehen, als würde man ein zerscherbtes Gefäß auf dem Papier in einer Zeichnung neu entstehen lassen.

Tora von Collani

Das „Archäologenauge“ hilft auch beim Übersetzen und Lektorieren/Korrigieren. Den Blick starr auf den Boden/Text gerichtet, entgeht einem im Idealfall keine noch so kleine Scherbe und kein Buchstabendreher. Das ist auch nötig, denn von Übersetzer:innen wird hohe Qualität erwartet. Der Text darf hinterher nicht vor Fehlern strotzen.

Übrigens entspricht das Klischee, Geisteswissenschaftler:innen müssten in der Lage sein, sich selbstständig und schnell in neue Themen einzuarbeiten, der Wahrheit, und für viele Übersetzer:innen gilt dasselbe. Bei meinen Übersetzungen ist zumindest viel Abwechslung drin: Mal geht es um neolithische Kreisgrabenanlagen, mal um multivariate Verfahren, Suebenknoten oder Menschenopfer bei den alten Maya.
Zum Ausgleich halte ich mich bei den Sprachkombinationen zurück, die ich anbiete. Momentan übersetze ich nur aus dem Englischen ins Deutsche und umgekehrt, Romane nur ins Deutsche. Allerdings habe ich damit angefangen, mein Italienisch aufzufrischen und auszubauen. Wer weiß, vielleicht wird das irgendwann eine zusätzliche Arbeitssprache …

Bietest du “artverwandte Dienstleistungen” an – wenn ja, welche? Wie passt das zusammen?

Dass Übersetzer:innen qualitätvolle Arbeit abliefern müssen, habe ich schon erwähnt. Entsprechend helfe ich durch archäologische Lektorate dabei, die Qualität der Texte anderer zu verbessern. Dabei handelt es sich meist um Monografien und Tagungsbände, und diesen Kund:innen biete ich zusätzlich Buchsatz in InDesign. Eine liebe Lektoratskollegin hat mir verraten, dass in der Archäologie beides oft zusammen gebucht wird, was bei komplizierten Fachbüchern mit Text, Tabellen, Abbildungen und Tafeln in einem Band auch sinnvoll ist, denn man kann schnell den Überblick verlieren. Hat man die Publikation bereits lektoriert, steckt man tief drin und weiß am besten, wie welcher Teil gesetzt werden muss.

Eigentlich gehört auch die Bearbeitung der Abbildungen dazu, aber da fehlt mir noch der Fortgeschrittenenkurs. Außerdem plane ich, einen weiteren InDesign-Kurs zur Erstellung von E-Books und einen Redaktionskurs zu besuchen, aber natürlich nicht mehr alles in diesem Jahr.
Wichtig ist herauszufinden, was die Kund:innen brauchen, und sich das dann anzueignen. Im Prinzip wäre es auch denkbar, dass ich die von mir übersetzten Romane setze, aber das war bisher nicht gefragt.

Wichtig ist herauszufinden, was die Kund:innen brauchen, und sich das dann anzueignen.

Tora von Collani

Was müssen Quereinsteiger über das Übersetzen lernen? Hattest du manchmal das Gefühl, keine “richtige” Übersetzerin zu sein? Wenn ja – welche Strategie hast du dann angewandt?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es an meiner Uni keinen Studiengang Übersetzung gab, als ich studiert habe, deshalb hatte ich nie das Gefühl, keine richtige Übersetzerin zu sein. Vielleicht habe ich dazu auch einfach zu viel Spaß am Übersetzen.

Lernen muss man als Quereinsteiger:in genau dasselbe, wie wenn man Übersetzung studiert, nur unterscheiden sich eben die Methoden der Wissensaneignung. Wenn man die Grundlagen hat – in diesem Fall die Sprachkenntnisse –, ist learning by doing sowieso meist am effektivsten, egal worum es geht. Und für alles andere gibt es Kurse, seien es die Adobe-Programme, CAT-Tools oder die Vorbereitung auf die Selbstständigkeit.

Arbeitest du in erster Linie für deine Peergroup (Archäologie, Museen, Forschung) oder für ganz andere Kundengruppen? Wie kommt das?

Ja, hauptsächlich arbeite ich für Landesämter für Archäologie und Uni-Dozent:innen. Zum Teil habe ich sie gezielt angesprochen, zum Teil reichen sie untereinander meine Kontaktdaten weiter. Gibt es ein besseres Kompliment?

Seit einiger Zeit übersetze ich allerdings auch die Romane einer sehr erfolgreichen Selfpublisherin. Leider erinnert sie sich nicht, wie sie auf mich gekommen ist, aber eines Tages hatte ich eine Nachricht von ihr im Posteingang. Ich vermute, dass ein Übersetzerkollege mich in irgendeinem Forum in einem anderen Zusammenhang empfohlen hat, und sie darüber auf mich gekommen ist, aber das ist reine Spekulation.

Was ist für dich der größte Vorteil am freiberuflichen Übersetzen, was der größte Nachteil?

Der größte Vorteil der Freiberuflichkeit steckt schon im Wort: frei. Ich liebe es, mein eigener Boss zu sein und arbeiten zu können, wie und wo ich will. Außerdem werde ich als Übersetzerin und Lektorin dafür bezahlt, etwas zu lesen, das mich interessiert!

Der größte Nachteil? Da muss ich echt überlegen … Gut, am Anfang war da eine gewisse Nervosität, ob und wann der nächste Auftrag kommt. Inzwischen weiß ich immer schon, was ich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten mache. Mein Schlaf ist tatsächlich besser geworden, seit ich mich selbstständig gemacht habe.

Was hat dir beim Berufseinstieg am meisten geholfen? Oder bist du eher zufällig beim Übersetzen gelandet?

Ich hatte das große Glück, nach dem Magister und während des (abgebrochenen) Promotionsstudiums eine befristete Teilzeitstelle als Übersetzerin zu haben. Da konnte ich mich ausprobieren, hatte Gelegenheit, Trados kennenzulernen, und habe unheimlich viel über die englische Sprache gelernt. Damals ging es in den Texten meist um Atomenergie, und es gab einen irischen Uni-Dozenten, der meine Übersetzungen ins Englische korrigiert hat. Diese Korrekturen habe ich sehr gründlich studiert.

Die Grundlagen meiner Englischkenntnisse verdanke ich einem hervorragenden Lehrer, den ich drei Jahre in der Kollegstufe hatte und bei dem ich auch den Englisch-Leistungskurs besucht habe. Er war unheimlich fordernd, aber es hat mich total motiviert zu beobachten, wie meine Noten sich in den drei Jahren nach und nach von einer vier zu einer eins verbessert haben.

Dann war ich so „angefixt“, dass ich eigentlich neben der Archäologie auch Anglistik studieren wollte. Das wurde mir zwar ausgeredet, aber ich habe mich einfach selbst weiter mit der Sprache beschäftigt, viel gelesen, während des Promotionsstudiums doch noch Anglistik-Kurse besucht und mich für die Dissertation mehrfach wochenlang in England aufgehalten. Bevor ich vor zehn Jahren nach Berlin gezogen bin, habe ich sogar einige Jahre in Irland gelebt und gearbeitet.

Mich schließlich als Übersetzerin selbstständig zu machen, war eigentlich nur die Erfüllung eines Traums, den ich schon lange gehabt hatte. Na ja, und ganz konkret hat mir der Gründungszuschuss vom Arbeitsamt geholfen und ein bisschen Geld, das ich mir in den Jahren davor angespart hatte, denn die Anfangszeit war etwas schleppend.

Das Interview führte Imke Brodersen.

Als Übersetzer:in ist man ständig auf der Suche nach dem treffendsten Begriff, der bestmöglichen Formulierung.

Tora von Collani, Foto: Brian Poole

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen