Ein Gastbeitrag von Heike Kurtz

Heike Kurtz ist seit 26 Jahren als Übersetzerin selbstständig und bisher fast ausschließlich für Agenturen gearbeitet. In diesem Artikel erklärt sie uns, warum das so ist und wie sie das macht.

In der Übersetzerbranche hat das Arbeiten für Übersetzungsagenturen bei vielen einen weniger guten Ruf als die Arbeit für Direktkundschaft. Wer für Agenturen arbeitet, steht unter dem Generalverdacht, sich ausbeuten zu lassen, die Preise am Markt zu verderben und schlechte Qualität zu liefern, weil man angeblich superschnell und oberflächlich arbeiten muss, um auf seinen Schnitt zu kommen.

Das mag für Teile der Branche zutreffen, aber aus meiner Sicht haben beide Geschäftsmodelle ihre Vor- und Nachteile und die muss jede Person für sich selbst abwägen.

Grundsätzliches zur Selbstständigkeit

Vor jeder Selbstständigkeit, egal in welcher Branche, ist es sehr wichtig, das Unternehmer:innen-Dasein anzunehmen und zu verinnerlichen. Das bedeutet:

  • Du bist eine Firma. Wer Deine Leistungen kauft, ist Auftraggeber:in, nicht Arbeitgeber:in. Du akquirierst Aufträge und möglichst regelmäßige Kundschaft, kannst aber auch entscheiden, Aufträge abzulehnen.
  • Du legst Deine Preise fest. Die Kundschaft kann entscheiden, ob sie sie annimmt oder nicht. Bei der Preiskalkulation solltest Du Deinen eigenen Finanzbedarf mit allen Aspekten, aber auch die Situation am Markt im Auge behalten.
  • Du trägst das Risiko. Daher solltest Du stets darauf achten, wie Du Deinen Lebensunterhalt sicherst. Am Anfang kann es sinnvoll sein, für die Grundbedürfnisse einen Halbtagsjob anzunehmen oder erst einmal im Angestelltenverhältnis genug Finanzpolster anzusparen, dass Du ein Jahr lang davon leben könntest. Wer in einer festen Beziehung lebt, kann unter Umständen eine Zeitlang etwas weniger zum gemeinsamen Einkommen beitragen, aber frei nach Helma Sick gilt das Motto: „Lebenspartner:innen sind keine Altersvorsorge“.
  • Du sorgst für Dich selbst vor. Alle, die selbstständig sind, sollten nach der Gründungsphase über ein Finanzpolster verfügen, das sie über ca. drei Monate ernähren kann, falls mal etwas schief geht. Krankenversicherung ist Pflicht, auch Altersvorsorge muss sein. Mach‘ Dich in Sachen Geldanlage und Rentenversicherung schlau.

Aber keine Sorge: Das alles kann man lernen und in den Griff bekommen, wir beim DVÜD helfen Dir gerne dabei.

Warum kann es also sinnvoll und langfristig erfolgreich sein, für Übersetzungsagenturen zu arbeiten?

Gute Übersetzungsagenturen nehmen Dir einen Teil der Arbeit ab

Sie akquirieren Kundschaft und suchen dann Freelancer, die die Übersetzungen anfertigen. Wenn Du es in den Freelancer-Pool einer Agentur geschafft hast, kannst Du also damit rechnen, immer wieder für Aufträge in Deinem Fachgebiet angefragt zu werden, ohne dass Du viel Marketing betreiben musst.

Außerdem arbeiten Agenturen in der Regel für große Firmen, die riesige Textmengen in mehreren Sprachen benötigen. Das alleine zu bewältigen, ist schlicht nicht möglich – aber über die Agentur kannst Du unter Umständen einen Teil sehr umfangreicher und interessanter Projekte übersetzen.

Agenturen, mit denen ich zusammenarbeite, liefern mir zudem oft schon fertig vorbereitete Pakete, die ich in mein CAT-Tool importieren kann und die meist Translation Memories und/oder Terminologiedatenbanken des Endkunden enthalten. Ich spare mir also einen Teil der Recherchearbeit.

Oft habe ich mit diesen Agenturen eine Preisvereinbarung, d. h. wir haben uns irgendwann auf einen Preis und alle anderen Konditionen geeinigt und müssen nicht bei jedem Auftrag aufs Neue verhandeln.

Viele meiner Agenturkunden übernehmen zudem lästige Zusatzaufgaben wie zum Beispiel das Einlesen von PDF-Dateien und die Bearbeitung per OCR, um editierbare Dokumente zu generieren.

Wenn Du einen Auftrag ablehnen musst, ist das in der Regel kein großes Problem

Ich bin schwanger in die Selbstständigkeit gestartet, das heißt, ich hatte zu Anfang erst eines, dann zwei Kleinkinder zu betreuen und musste meine Arbeit um die ganze Care-Arbeit herumstricken, die das so mit sich bringt. „Selbst und ständig“ konnte ich also knicken.

Bei der Zusammenarbeit mit Agenturen war es daher für mich sehr günstig, dass ich

a) nur so viele Aufträge annahm, wie ich auch tatsächlich bewältigen konnte (auch wenn ich mich so manches Mal verschätzte und dann halt doch Nachtschichten einlegen musste)

b) auch mal ein paar Tage lang alles ablehnen konnte, wenn z. B. ein Kind krank war

c) mir für den Urlaub keine Vertretung suchen oder den Laptop mit an den Strand nehmen musste

(was ich für meinen einzigen Direktkunden, einen Zeitschriftenverlag, denn doch ab und zu tat, denn der konnte seine Erscheinungstermine und Slots auf der Rotationsdruckmaschine nicht nach meinem Urlaub richten).

Wie kann ich die Geschäftsbeziehung zu Agenturen festigen und halten?

Projektmanager:innen bei Übersetzungsagenturen betreuen teils sehr anspruchsvolle Direktkundschaft. Sie bekommen große Textmengen herein, die oft in viele Sprache übersetzt werden müssen. Das alles zu koordinieren ist nicht einfach. Sie arbeiten also gerne mit Menschen zusammen, die:

  • nur Aufträge annehmen, die sie tatsächlich bewältigen können – sowohl fachlich als auch mengenmäßig. Es ist besser, einmal mehr abzulehnen, als hinterher die Deadline zu überziehen oder minderwertige Arbeit zu liefern
  • zuverlässig sind. Wenn Du einen Liefertermin einmal nicht einhalten kannst, weil etwas Unvorhergesehenes dazwischen gekommen ist oder die Sache doch aufwändiger ist, als Du das anfangs gedacht hattest, dann
  • halte die Deadline trotzdem ein, indem Du länger arbeitest oder Dein Leben umorganisierst
  • siehe oben
  • wenn das überhaupt gar nicht geht, informiere die Kontaktperson bei der Agentur so früh wie möglich, damit Ihr Euch gemeinsam eine Lösung für das Problem ausdenken könnt
  • mitdenken (hier kommt der Aspekt „sich mit dem Thema auskennen“ zum Tragen). Nicht alle Ausgangstexte sind perfekt, manche sind missverständlich oder umständlich formuliert, manche enthalten Fehler. Wer gut ist, stellt auch mal Fragen oder macht Anmerkungen.
  • lesen können. Das hört sich profan an, ist es aber nicht: Oft werden Styleguides, Referenzdateien oder
    -links und ähnliches mitgeliefert. Das ist hilfreich, aber man sollte es auch nutzen und sich dann an diese Vorgaben halten (oder nachfragen, wenn man die Vorgaben für wenig sinnvoll hält, nicht einfach eigenmächtig verändern). Auch Liefertermine und andere Konditionen (vor der Lieferung eine QA im Übersetzungstool durchführen, nicht nur Rückpaket sondern auch zielsprachliches Word-Dokument liefern usw.) sollte man gelesen haben und dann einhalten. Werden Zusatzleistungen angefragt (z. B. während des Übersetzens ein Glossar anfertigen), dann ist das grundsätzlich okay, sollte aber bezahlt werden. (Eine erfahrene Kollegin sagt in dieser Situation gerne „wir sind uns doch einig, dass sich das im Preis niederschlägt?“).

Was sind die Nachteile der Arbeit für Übersetzungsagenturen?

Kaum Kontakt zur Endkundschaft, Austauschbarkeit von Personen und Texten

Je größer die Agentur, desto größer ist die Gefahr, dass Übersetzungsleistungen als austauschbare Ware betrachtet werden, die von beliebigen Leuten geliefert werden können. Oft erlebt man im Projektmanagement (PM) Menschen, die Texte wahllos bei vielen Freelancern oder über Plattformen anfragen und sich nicht wirklich darum kümmern, ob diese auch tatsächlich dieses Fachgebiet bedienen. Daher ist es wichtig, jeden Text zunächst wenigstens zu überfliegen, um festzustellen, ob er ins eigene „Beuteschema“ passt.

Manchmal wird auch versucht, Aufträge zu vergeben, ohne die betreffenden Dokumente vorher zur Verfügung zu stellen. Darauf sollte man sich grundsätzlich nur einlassen, wenn man die betreffende Person im Projektmanagement schon länger kennt und weiß, dass sie eine gute Vorauswahl trifft. Kommt es trotzdem vor, dass man dann einen Text angenommen hat, der nicht passt, sollte man das direkt anmerken und den Auftrag unter Umständen auch nachträglich – und zwar möglichst schnell – noch ablehnen, damit er anderweitig vergeben werden kann.

Leider erlebe ich es auch oft, dass ich zwar meine Fragen zu einem Dokument in einer separaten Datei zusammenfasse (mache ich immer und versuche, die dann der Kontaktperson zu schicken, sobald ich mit der ersten Rohübersetzung fertig bin), aber dann keine adäquate Reaktion darauf erhalte. Entweder werden meine Fragen gar nicht beantwortet oder es heißt lapidar „übersetzen Sie, was da steht“. Gute Agenturen kennen ihre Endkundschaft teilweise so gut, dass sie die Fragen selbst beantworten können (während wir nur sporadisch für diese Firmen arbeiten, kennen die Leute, die intern mit Revisionen betraut sind, sie unter Umständen in- und auswendig). Zumindest leiten sie aber die Fragen an ihre Kontakte weiter und verstehen, warum es überhaupt erforderlich ist, Fragen zu stellen (und „erziehen“ ihre Kundschaft dementsprechend).

Sehr hellhörig werde ich immer dann, wenn eine mir unbekannte Firma irgendwelche Dokumente an viele Empfänger als Anfrage versendet (die womöglich im Kopf der E-Mail alle sichtbar sind) und mir beim Öffnen des Dokuments sofort klar wird, dass das etwas Vertrauliches ist, das niemals so offengelegt werden sollte. Mit solchen Unternehmen möchte ich nicht zusammenarbeiten (und meistens kommen wir auch preislich nicht zusammen).

Preise

Agenturpreise sind deutlich niedriger als Endkundenpreise. Das ist logisch, denn die Agenturen nehmen ihren Freelancern ja viel Arbeit ab, und das Ganze muss sich auch für sie rentieren. Die Büros, das Marketing, die Mitarbeitenden, die Hard- und Software – alles will bezahlt werden.

ABER

Dafür muss die Agentur auch etwas leisten. Leider gibt es auch viele so genannte „Umtüter“ – also Übersetzungsagenturen, die ihren Freelancern alle Arbeit aufbürden, das Ergebnis ungeprüft weitersenden und einen satten Aufschlag kassieren wollen. Geht dann etwas schief, sehen sie ausschließlich uns in der Verantwortung. Von ihnen halte ich mich fern.

Am Markt kursieren sehr viele „Mondpreise“ – im negativen Sinne. Gerade diejenigen, die Übersetzungen als austauschbare Ware betrachten, sind oft der Meinung, je mehr man übersetze, desto billiger müsse es werden. Wir produzieren aber keine Plastikbecher, die immer billiger werden, je mehr man davon aus der immer gleichen Form zieht. Das letzte Wort braucht genauso viel Hirnschmalz wie das erste.

Dabei habe ich nicht das geringste Problem mit so genannten „Matchtabellen“ – also gestaffelten Rabatten, die sich darauf beziehen, welcher Anteil eines Satzes bereits genau so im Translation Memory vorhanden ist. Aber wo Arbeit drinsteckt, muss auch ein Preisschild draufkleben. Wenn jemand also für Wiederholungen und 100 %-Matches nichts bezahlen will, fasse ich diese Elemente auch nicht an.

Als Übersetzungsunternehmerin muss ich bei alledem immer meinen fiktiven Stundensatz im Auge behalten – also den Umsatz, den ich pro Stunde machen sollte, damit sich mein Business am Ende lohnt. Wie man so etwas ermittelt, das kann man in brancheninternen Fortbildungsveranstaltungen lernen.

Sinnvoll ist zudem, immer wieder die eigenen Zeilen- oder Wortpreise um geringe Centbeträge anzuheben und so an die allgemeine Preisentwicklung anzupassen. Dabei braucht man nicht in die Bittsteller-Rolle zu verfallen. In der Wirtschaft ist es völlig normal, dass Unternehmen immer wieder neue Preislisten verschicken mit dem Hinweis „das sind unsere Preise ab Stichtag X“.

Eine andere Möglichkeit ist, bei neuer Kundschaft einen höheren Preis anzusetzen und immer dann, wenn man eine besser zahlende Agentur gewonnen hat, deren Aufträge zu priorisieren – und im Gegenzug die einer anderen, die sich am unteren Ende der Preisskala bewegt oder mit der die Zusammenarbeit weniger angenehm ist, seltener anzunehmen. Außerdem sollte man alle paar Jahre die persönliche Situation überdenken und für sich selbst feststellen, ob das eigene Geschäftsmodell noch passt. Auch ein guter Mix aus Agentur- und Direktkunden kann nämlich seine Vorteile haben.

Abhängigkeit

Für Übersetzungsagenturen zu arbeiten, kann sehr bequem sein. Das ist gefährlich. Sobald die Leute im Projektmanagement festgestellt haben, dass man gut und zuverlässig arbeitet, möchten sie möglichst viele Aufträge platzieren, denn auch für sie ist diese Geschäftsbeziehung natürlich praktisch: Sie werden ihre Aufträge los und erhalten zum Termin gute Arbeit.

Entscheidet sich die Endkundschaft aber irgendwann für eine andere Agentur oder wechselt das Projektmanagement, weil die Person bei der Agentur gekündigt hat, kann dieser solide Auftragsstrom von einem Tag auf den anderen abreißen. Dann ist es sehr hilfreich, nicht völlig von dieser einen Übersetzungsagentur abhängig zu sein. War das Verhältnis gut, kann es aber auch passieren, dass die Person plötzlich im Projektmanagement einer anderen Übersetzungsagentur auftaucht und für diese erneut anfragt – auch das ist mir schon passiert und ein weiterer Grund, warum sich ein gutes Verhältnis zum Projektmanagement und zuverlässiges Arbeiten lohnt.

Grundsätzlich empfiehlt es sich, nie mehr als 20 % des Umsatzes mit einem einzigen Unternehmen zu erzielen. Bricht das weg, sind nur 80 % des bisherigen Umsatzes zwar unangenehm und müssen wieder ausgeglichen werden, aber es bricht Dir nicht das unternehmerische Genick. Ist die Abhängigkeit einmal doch größer geworden, solltest Du zumindest daran arbeiten, sie wieder zu reduzieren.

Du siehst, die Arbeit für Übersetzungsagenturen kann durchaus erfolgreich und auch lohnend sein, wenn man sich der Vor- und Nachteile bewusst ist.

Woran erkennt man gute und schlechte Übersetzungsagenturen?

Dieses Thema könnte problemlos noch einmal ebenso viele Seiten füllen, daher gehe ich hier nur ganz kurz darauf ein. Es gibt online manch hilfreiche Seite, die man hierzu konsultieren kann.

  • Mailingliste Zahlungspraxis
    Deutschsprachige Mailingliste, deren Mitglieder sich gegenseitig über Zahlungspraktiken ihrer Kundschaft austauschen. Bitte unbedingt Gruppenregeln beachten!
  • Payment Practices
    Englischsprachige Website, die vom ehemaligen Präsidenten der ATA, Ted Wozniak, betrieben wird. Hier kann man sich gegen eine Jahresgebühr von 19,99 EUR (7 Tage Probeabo kostenlos) über die Zahlungspraxis von Übersetzungsagenturen weltweit informieren.
  • Getting it right Broschüren der ATA
    Diese Broschüren richten sich zwar an Auftraggeber:innen, es lohnt sich aber, sie durchzulesen und sich klarzumachen, was man von Auftraggebenden so alles erwarten könnte. Sie sind in vielen Sprachen verfügbar.
  • Fairwork 2022 Translation and Transcription Ratings

Die Reports von Fairwork untersuchen verschiedene Kriterien von Plattformarbeit (auf der manche Geschäftsmodelle von Agenturen basieren). Die Höchstzahl von zehn Punkten ist dabei keine Empfehlung, sondern zeigt, dass gewisse Mindeststandards gewährleistet sind. Setze Dich mit den Kriterien auseinander und überlege Dir, welche Dir bei Geschäftspartnerschaften besonders wichtig sind.

Zum Schluss würde ich gerne noch auf zwei Blogs (und Bücher) verweisen, die das Leben als Unternehmer:in im Bereich Übersetzen und Dolmetschen allgemein beleuchten und viele sehr hilfreiche Informationen enthalten:

https://www.überleben-als-übersetzer.de/ (der Blog von Miriam Neidhardt, sie hat auch ein Buch mit gleichem Titel veröffentlicht)

http://ruesterweg.de/ (Blog von Giselle Chaumien-Wetterauer, einer sehr erfahrenen Kollegin, die mit dem Buch „Das große 1×1 für selbstständige Übersetzer“ ein hervorragendes praxisorientiertes Nachschlagewerk herausgebracht hat)

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