Als ich letztes Jahr als Übersetzerin für Russisch beeidigt und als Dolmetscherin ermächtigt wurde, war ich sehr stolz: Endlich konnte ich die Anfragen potenzieller Kunden selbst bearbeiten, Urkunden übersetzen und vor Gericht oder beim Notar dolmetschen. Seitdem ist einige Zeit vergangen und ich kann von meinen ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet berichten.
Beeidigung in Deutschland
Es ist nicht einfach, in Deutschland beeidigt oder ermächtigt zu werden. Von Bundesland zu Bundesland sind die Voraussetzungen unterschiedlich: von ganz streng zu mehr oder weniger locker. Um die ersehnte Beeidigung zu erhalten, benötigt man sehr gute Sprachkenntnisse und einen beruflichen Abschluss im Übersetzen oder Dolmetschen. Jedoch spielt den professionellen Übersetzern und vor allem Dolmetschern die deutsche Gesetzgebung nicht immer in die Karten. Dadurch, dass Dolmetschen und Übersetzen kein geschützter Beruf ist, kommt es manchmal zu haarsträubenden Situationen. Wenn Sie einen Dolmetscher vor Gericht oder beim Notar erleben, sind Sie sich bestimmt sicher: Das ist ein Profi! Wie gekonnt spielt er mit Worten! Wie schnell verdolmetscht er hochkomplexe Inhalte! Ein Meister in seinem (oder ihrem) Beruf!
Was würden Sie aber sagen, wenn Sie wüssten, dass dieser Dolmetscher – egal ob beim Notar oder vor Gericht – eben kein Profi ist? Unwahrscheinlich? Doch, manchmal ist genau das der Fall! Diese gesetzliche Lücke ist auf die sogenannte Ad-hoc-Beeidigung zurückzuführen. Eine Ad-hoc-Beeidigung umfasst, dass der Richter oder Notar den Sprachmittler vor Ort und Stelle beeidigen darf. Eigentlich eine tolle Sache, die einen großen bürokratischen Aufwand vermeiden soll, wenn es mal schnell gehen muss. Wie sieht es jedoch in der Praxis aus? Im Prinzip kann ein Richter oder Notar jemanden, der behauptet, er sei einer bestimmten Fremdsprache ausreichend mächtig, im Laufe eines Termins beeidigen. Der frisch beeidigte Sprachmittler kann mit dem Dolmetschen loslegen, da rein formell gesehen alle Voraussetzungen für den korrekten Prozessablauf erfüllt sind. Oft legt der Sprachmittler keine Nachweise seiner Kompetenzen vor und hat weder einen Abschluss im Bereich Übersetzen oder Dolmetschen noch das notwendige Wissen im rechtlichen Bereich.
Bei der Ad-hoc-Beeidigung werden oft mehrere Kriterien für die Auswahl eines professionellen Dolmetschers nicht erfüllt: In unserem Leitfaden können Sie nachlesen, dass nicht einmal jede Ausbildung zum Übersetzer oder Dolmetscher anerkannt wird (Beispiel: Einschränkungen für ausländische Abschlüsse), dass der Dolmetscher einen Abschluss im einschlägigen Bereich haben und außerdem bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllen muss und dass Kenntnisse der deutschen Rechtssprache nachgewiesen werden müssen. Wenn ich jetzt behaupten würde, ich hätte Sprachkenntnisse in Estnisch, bedeutet das nicht automatisch, dass ich Estnisch–Deutsch im Rechtsbereich dolmetschen kann. Vielleicht bin ich imstande, „Guten Tag“ zu sagen, einkaufen zu gehen, im Restaurant Essen zu bestellen oder sogar ein längeres Gespräch zu führen – Linguisten sprechen hier von den Sprachniveaus A1 bis B1 –, jedoch kann ich deshalb noch lange nicht mit hochkomplexen juristischen Begriffen jonglieren. Es ist nicht einmal gesagt, dass ich diese Begriffe in meiner Muttersprache kann. (Das ist sehr leicht zu überprüfen: Erklären Sie doch mal mit eigenen Worten, was die Begriffe „Auflassungsvormerkung“, „aufschiebend bedingt“ oder „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ bedeuten – ohne zu googeln!) Außerdem wird ein Dolmetscher, der nicht ad hoc, sondern „ordentlich“ beeidigt wird, darauf hingewiesen, dass er/sie sich zur gewissenhaften Erfüllung der Obliegenheiten verpflichtet. Gleichzeitig werden die Inhalte der Strafvorschriften (z. B. Verwahrungsbruch, Vorteilsnahme und Bestechlichkeit, Verletzung von Privatgeheimnissen, Verletzung des Steuergeheimnisses u. A.) bekanntgegeben und der Dolmetscher wird darüber informiert, dass die vorgenannten Strafvorschriften aufgrund der Verpflichtung für sie oder ihn anzuwenden sind. Ob diese Informationen implizit Teil der Ad-hoc-Beeidigung sind? Sehr wahrscheinlich ja. Nur weiß der Ad-hoc-Beeidigte häufig nichts davon – und kann deswegen in eine missliche Lage geraten.
Sie kaufen ein Haus?
Nehmen wir ein Beispiel: Sie sind ein Kunde und möchten ein Haus in Deutschland kaufen. Irgendwann brauchen Sie einen Dolmetscher, da Ihre Muttersprache Estnisch ist und Sie zwar recht gut Deutsch sprechen und verstehen, aber Ihre Kenntnisse nicht ausreichen, um einen Kaufvertrag für ein Haus zu verstehen und zu unterschreiben. Sie möchten auf Nummer sicher gehen – sehr vernünftig! Deswegen fragen Sie erst mal in Ihrem Bekanntenkreis nach: Kennt jemand einen Dolmetscher mit Estnisch–Deutsch, der Sie beim Notar unterstützen kann? Ein estnischer Freund von Ihnen, der schon lange in Deutschland wohnt, möchte Ihnen helfen. Zunächst findet er auf dem Portal justiz-dolmetscher.de (übrigens ein guter Tipp für Sie als Kunden!) einen ermächtigten Dolmetscher für Estnisch. Aber sobald Sie erfahren, dass die Kosten für den professionellen ermächtigten Dolmetscher ziemlich hoch sind, geraten Sie in Zweifel. Ohnehin müssen Sie ja schon das Haus und den Umzug bezahlen – und nun müssen Sie auch noch mit dem Honorar für den Dolmetscher rechnen, und das im drei- oder sogar vierstelligen Bereich. Unerhört! Sie teilen Ihre Entscheidung Ihrem Bekannten mit und beklagen sich über die hohe Honoraren. Naja, dann bietet Ihnen Ihr Bekannter, der sowieso Estnisch und auch ziemlich gut Deutsch kann, an einzuspringen und für einen Bruchteil dieses horrenden Dolmetscherhonorars (für ein Abendessen – oder gar kostenlos) beim Notar Estnisch–Deutsch für Sie zu dolmetschen. Sie schicken ihm die Unterlagen zur Vorbereitung, er liest sie durch, erscheint pünktlich zum Termin, wird im Kaufvertrag als Dolmetscher eingetragen, ad hoc beeidigt – und hopp, Sie kaufen Ihr Haus. Sie ziehen ins ihr neues Heim ein – und leben da glücklich ein paar Jahre lang. Nur ergibt sich einige Jahre später ein Problem mit dem Haus: Sie bemerken plötzlich, dass Sie sehr viel Geld für die Dienstleistung X bezahlen, wobei Sie sich gar nicht erinnern können, dass Sie hierzu beim Kauf des Hauses etwas gehört und unterschrieben haben. Oder Sie möchten anbauen und erfahren, dass das auf Ihrem Grundstück auf keinen Fall erlaubt ist, obwohl Ihnen eine solche Einschränkung im Kaufvertrag gar nicht aufgefallen war. Sie fragen Ihren estnischen Bekannten, was da los sein könnte – und es stellt sich heraus, dass er beim Unterschreiben der Unterlagen diese paar Sätze gar nicht gedolmetscht hat. Er ist ja kein richtiger Dolmetscher und die Wörter kamen ihm unbekannt vor, also hat er sich entschieden, sie einfach nicht auf Deutsch wiederzugeben. Dann wird es Ihnen plötzlich klar: Ein wichtiger Satz oder gar Absatz wurde Ihnen gar nicht verdolmetscht. Sonst hätten Sie diese Situation beim Notar rechtzeitig mit dem Verkäufer geklärt! Sonst hätten Sie – im schlimmsten Fall – den Kaufvertrag gar nicht unterschrieben! Naja, was können Sie jetzt tun? Ihre gute Bekanntschaft oder Freundschaft kann zugrunde gehen, weil Ihr Bekannter ja gewissermaßen dafür verantwortlich ist, dass Sie viel Geld verloren haben oder nicht wie geplant anbauen können. Aber er ist nun mal kein professioneller Dolmetscher … Vielleicht ziehen Sie ihn vor Gericht, gewinnen den Rechtsstreit und die Freundschaft ist kaputt, denn ihr Bekannter hat nun große Probleme. Oder Sie verklagen ihn – ohne Erfolg, weil Sie ja doch selbst den Vertrag unterschrieben haben – und verlieren sowohl den Prozess (und viel Geld für die Gerichtskosten) als auch die wertvolle Freundschaft.
Mit einem professionellen Dolmetscher könnten Sie sich die ganze Situation ersparen. Erstens bereitet sich ein professioneller Dolmetscher gründlich auf den (komplizierten) Auftrag vor und verdolmetscht Ihnen alle Inhalte ohne Auslassungen. Eben deswegen ist die Vorbereitung für ihn so wichtig und auch zeitintensiv. Zweitens kann er Sie auf Schwachstellen im Vertrag hinweisen – zwar nicht als rechtlicher Berater, aber zumindest können Sie den Verkäufer und Notar vor dem Unterschreiben fragen, wie dieser oder jener Punkt genau gemeint ist und ob man ihn klarer formulieren kann. Drittens können Sie sich sicher sein, dass der Dolmetscher die deutsche Rechtssprache versteht und nicht nur in ganz groben Zügen den Inhalt eines Vertrags überträgt, wie es bei einem Laien der Fall sein kann.
Auch im schlimmsten Fall, wenn der professionelle Dolmetscher einen (folgenschweren) Fehler gemacht hat, ist er üblicherweise kein Freund von Ihnen und Sie machen keine private Beziehung kaputt. Sie können seine Leistung wie jede andere Dienstleistung auch reklamieren. Der Dolmetscher hat seinerseits eine Absicherung in Form einer beruflichen Haftpflichtversicherung und kann daher auch nicht so viel verlieren wie ein Laie oder Ihr Bekannter, der Ihnen jetzt vielleicht eine hohe Summe schuldet.
Fazit
Dass so ein Fall im wirklichen Leben tatsächlich passieren kann, konnte ich noch vor einem Jahr, vor meiner Beeidigung, nicht ahnen. Jetzt weiß ich jedoch, dass das vereinfachte Prozedere, die Ad-Hoc-Beeidigung, eine riesengroße Lücke in der deutschen Gesetzgebung darstellt. Und diese Lücke kann vor allem den Kunden viel kosten. Daher: Kunde, sei vorsichtig!
Olga Kuzminykh ist ermächtigte Übersetzerin und allgemein beeidigte Dolmetscherin der russischen Sprache. Seit ihrer Beeidigung im Jahr 2018 sammelt sie ihre Erfahrungen in diesem Bereich und teilt sie gern mit den Lesern unseres Blogs. Für den DVÜD hat Olga den Leitfaden mit Beeidigungsvorschriften in Deutschland nach Bundesländern zusammengestellt.
Auch die Beeidigung bestätigt nicht die Fähigkeiten einer Dolmetscherin im rechtlichen Bereich. Die gesetzliche Regelung ist insoweit lückenhaft, dass die Dolmetscherin bei der Beeidigung bzw. Ermächtigung keine Nachweise aus dem Bereich vorlegen muss. Zumindest ist so hier in Hessen.
Das Geschäft ist lukrativ. Das Notardolmetschen wird sehr gut entlohnt. Es ist aber sehr schwierig. Viele Begriffe sind nicht so direkt zu übersetzen. Viele Rechtsinstitute sind nicht deckungsgleich. Es geht manchmal ins Abstruse. Ein Gesellschaftsvertrag wird 3 Stunden übersetzt. Ich rate ausdrücklich den Anfängern oder Unerfahrenen davon Abstand zu nehmen und solche Aufträge nicht anzunehmen.
Ich plädiere als Lösung für einen umfangreichen Kurs z.B. „russisches und deutsches Recht“. Das ist allerdings sehr schwer umsetzbar und teuer.
Hallo Irene,
die Anforderungen an Dolmetscher*innen sind in den letzten Jahren tatsächlich gestiegen. Das soll zu mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten führen.
Teilweise sind daher Nachschulungen erforderlich, auch für Dolmetscherinnen, die schon lange tätig sind. In unserer FAQ sind im Leitfaden für Aus- und Weiterbildung (PDF zum Download) diverse Angebote aufgeführt. Niveau C2 ist wirklich anspruchsvoll, aber es gibt auch dafür Kurse.
Die Verbände bemühen sich parallel zu den verschärften Anforderungen der Behörden intensiv um eine angemessene Honorierung, damit sich die nötige Fortbildung auch für die Dolmetscher auszahlt.
Viel Erfolg!
Hallo, ich habe eine wichtige Frage: eine bekannte arbeitet seit Jahren als Dolmetscherin in Deutschland und wurde damals in Hannover nach erfolgreicher Prüfung beeidigt. Jetzt darf sie nicht mehr übersetzen, es sei denn sie legt nochmal bestimmte Nachweise vor. Zum Beispiel ist ein c2 Zertifikat dringend notwendig. Das hat sie nun auch 2 mal bisher versucht zu erreichen aber ist leider durchgefallen. Aber als gebürtige Russin ist es einfach schwierig dieses zu bestehen. Selbst ich als geborene deutsche und mit Master Abschluss würde es nicht Hinkriegen. Und nur deswegen darf sie jetzt nicht mehr weiterarbeiten in Deutschland? Obwohl sie jahrelange Erfahrung hat und gute Arbeitszeugnisse von Gericht, Polizei etc. Das ist doch einfach unfair! Wir sind verzweifelt. Haben Sie vielleicht einen Rat für uns?