von Natascha Dalügge-Momme

Das geplante Gerichtsdolmetschergesetz, oder das Gesetz für die allgemeine Beeidigung von gerichtlichen Dolmetschern, ist ein Artikelgesetz. Dies bedeutet, dass es Bestandteil eines oder mehrerer Gesetze ist und im Zuge des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung verabschiedet werden  und zum 01.07.2021 in Kraft treten soll (GDolmG Gerichtsdolmetschergesetz buzer.de).

Grundsätzlich ist der Wunsch nach Harmonisierung der Ver- oder Beeidigung der für die Justiz tätigen Dolmetscher:innen verständlich und zu begrüßen, denn die Dolmetschergesetze (DolmG) der Bundesländer haben zum Teil sehr unterschiedliche Inhalte und Erwartungen an die in diesem Beruf Tätigen (s. aktuelle Länderübersicht der Vereidigungen, Ermächtigungen, Beeidigungen auf der Website des VVDÜ e.V. www.dievereidigten.de).

Jedoch wurde in diesem Gesetzentwurf unterlassen, Übersetzer:innen miteinzubeziehen, die durchaus für die Justiz tätig sein können. War den Autoren schlicht nicht klar, dass es sich um zwei unterschiedliche Tätigkeiten handelt?
Verwundert ist der professionelle Betrachter weiterhin über andere Aspekte: Warum wurden Berufsverbände nicht schon in der Planungsphase hinzugezogen? Warum scheint man zu glauben, dass überhaupt Bedarf besteht für eine solche Regelung, wo es doch das einheitliche Verzeichnis www.justiz-dolmetscher.de gibt? Was wird aus den Übersetzern, die ver- oder beeidigt sind und für die Justiz arbeiten (ungeachtet des § 191 GVG)? Werden diese als Sachverständige angesehen werden (s. BGH, Beschluss v. 13.02.2019, 2 StR 485/18)?

Vom ersten Entwurf zur aktuellen Vorlage

Aber zurück zum ersten Gesetzentwurf, der im Jahr 2019 bereits die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats weckte. Letzterer äußerte sich dahingehend, dass der Bund nicht über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz verfügt und im Übrigen sei die Einführung des GDolmG auf Bundesebene weder notwendig noch sinnvoll (vgl. Bundesratsdrucksache 532/19 S. 9).

Die berufsrechtliche Regelung bedeutet, insbesondere in Ausbildungs- und Qualitätserfordernissen, einen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder.

Ungeachtet dessen ist das Gesetz weiterbearbeitet worden und soll aller Voraussicht nach noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Dies ist kaum nachvollziehbar, aber es in diesem Zustand zu belassen, ist auch keine Lösung.

Offene Punkte

Schon beim ersten Entwurf wurden die oben aufgeführten sowie die folgenden Punkte von einschlägigen Berufsverbänden, wie ATICOM, VVDÜ u. a. kritisiert:

  • Es gibt keine Legaldefinition für Dolmetscher:in im Allgemeinen.
    Im Gesetz werden unterschiedliche Termini benutzt: Gerichtsdolmetscher (Bezeichnung des Gesetzes), Dolmetscher, gerichtlicher Dolmetscher und allgemein beeidigter Dolmetscher. Die Beschränkung auf gerichtliche Belange ist jedoch falsch, da Dolmetscher:innen auch für Staatsanwaltschaften, Polizei, Notare etc. tätig sind. Es müsste aus der Sicht der Berufsträger:innen Rechtsdolmetscher:innen und Rechtsübersetzer:innen heißen (Vorschlag des VVDÜ e.V.).
  • Eine Festlegung der Pflichten des oder der Dolmetscher:in ist im Gesetzestext nicht vorgesehen.
  • Ein Bestandsschutz ist ebenso wenig geplant.
    Wenige Verbände haben sich klar für einen Bestandsschutz ausgesprochen. Der größte Verband der Branche BDÜ e.V. plädiert gar für die Neuüberprüfung aller bereits tätigen Kolleginnen und Kollegen, ungeachtet dessen, über welche Vorbildung, ob (Hochschul-)Ausbildung, Prüfungen oder Aufbaustudiengänge, sie verfügen. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren, denn die im Gesetz formulierten Qualitätsanforderungen rangieren unter denen des Hamburger Eignungsfeststellungsverfahrens, unter denen des ISO Standards (DIN ISO-Norm 20228:2020-12) und unter denen der Europäischen Richtlinie (2010/64/EU) über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren. Diese Anforderungen sind unabdinglich und die Garanten für die Durchführung eines fairen Verfahrens.
  • Weitere Fragen in diesem Zusammenhang stellen sich: Wird die Urkunde, die Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen einschließt, zurückgereicht und wird nun eine für ausschließlich für Dolmetscher:innen ausgestellt? Dies stellt einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand dar.
    Soll die Beeidigung von Übersetzern weiterhin durch die einzelnen Bundesländer geregelt werden? Ist eine Vereinheitlichung geplant, beispielsweise als bundeseinheitliches Eignungsfeststellungverfahren nach den Muster Hamburgs mit inhaltlicher Festlegung der Curricula analog zum § 5a DRiG?
  • Wer erstellt für die zu erwartenden Prüfungen oder Eignungsfeststellungsverfahren die Curricula? Anzumerken wäre hier auch, dass bei staatlichen beziehungsweise universitären Prüfungsverfahren zuerst die Übersetzungsprüfung bestanden sein muss, bevor man zur Dolmetschprüfung schreitet.
  • Eine Neubeeidigung (-vereidigung) der bei Gericht tätigen Dolmetscher:innen wäre der ohnehin chronisch überlasteten Justiz wohl kaum zuzumuten (s. oben Rückgabe der Urkunden und Neuausfertigung, Neuvereidigung von über 12.000 Dolmetscher:innen, zuzgl. 15.000 Übersetzer:innen).
  • Die Kosten, die daraus resultieren, müsste der Staat tragen.
  • Ferner sollte aus Sicht der Berufsträger:innen eine Aufhebung des § 4 (Alternativer Befähigungsnachweis; gleichwertige Qualifikationen nach der Berufsanerkennungsrichtlinie) des Entwurfs bei Einführung eines einheitlichen Eignungsfeststellungsverfahrens [Wortlaut s. Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 46 (bmjv.de)] erfolgen. Für wenig verbreitete Sprachen, selbst für Sprachen der EU, sind keinerlei Prüfungen oder ein Studium möglich. Der Bedarf in afrikanischen Sprachen und Sprachen der ehemaligen Sowjetunion ist vorhanden, aber auch dafür werden keine Prüfungen angeboten. (Die Lehrkräfteakademie des Landes Hessen bietet hier in geringem Masse Abhilfe, jedoch nicht für die Anforderungen der Justiz.) Dies müsste entsprechend durch die Bildungsministerien der Länder geregelt werden.
  • Ferner war den Verbänden daran gelegen, die Qualitätsanforderungen für Sprachen höher anzusetzen und die Fachkenntnisse hinzuzufügen. Dem wurde in einem zweiten Entwurf Rechnung getragen. Hier sind nun die Sprachkenntnisse auf C2-Niveau des Europäischen Referenzrahmens festgelegt worden. Die Fachkenntnisse wurde hinzugefügt und sind mit Kenntnissen des Rechtssystems und der juristischen Terminologie zu umschreiben, da es für rechtliche Figuren und Institute ggf. in der Zielsprache keine Entsprechung gibt.
  • Sprachenschulen, wie im Gesetz aufgeführt, sind in der Regel ungeeignet für die notwendigen Kenntnisse, da sie diese Anforderungen nicht erfüllen. Seminare zum Erlernen der deutschen Rechtssprache sind ebenfalls nicht ausreichend, da Kenntnisse der Rechtssprachen beider Arbeitssprachen unumgänglich sind.

Welche Änderungen fehlen?

Weitere Änderungen im Gesetz wären aus der Sicht der Berufsträger und spezialisierten Berufsverbänden erforderlich:

  • § 255 a StPO Videoaufnahmen während der Verhandlung: auch Dolmetscher:innen sollten unkenntlich gemacht werden. Zudem sollte vorab ihr Einverständnis eingeholt werden, ob sie aufgenommen werden möchten. Darüber hinaus sollte bei Mehrfachverwendung der Aufnahme die Vergütung erhöht werden (Recht am eigenen Bild, Datenschutz etc.).
  • Dolmetscher:innen (aber auch Übersetzer:innen) sollten der Veröffentlichung ihrer privaten Adressdaten widersprechen können (s. § 10 Abs. 1 GDolmG-E).
  • § 11 GDolmG-E sollte gestrichen oder entsprechend angepasst werden (s. auch § 132 a StGB). Der Missbrauch des Titels „allgemein beeidigter Dolmetscher“ sollte nicht nur mit einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden, sondern mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe. Dies müsste analog zu anderen Berufen geregelt sein.
  • Die Kosten für die Be- oder Vereidigung müssen in allen Bundesländern gleich hoch sein. Bei Wiederbeeidigung dürften sie geringer ausfallen.
  • Ein Zeugnisverweigerungsrecht sollte für Dolmetscher:innen ebenso wie für Sachverständige gelten, s. § 53 StPO (Zeugnisverweigerungsrecht für Berufsträger).
  • Eine Akteneinsicht zur Vorbereitung erscheint für alle Beteiligten sinnvoll (s.www.akteneinsichtsportal.de). Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen sind ohnehin an ihren Eid gebunden und dürfen keinerlei Interna preisgeben, insbesondere wenn sie Mitglied eines einschlägigen Berufsverbands sind und dies von der Berufs- und Ehrenordnung gefordert wird.
  • Der Einlass bei Gericht sollte für Dolmetscher:innen, die für die Justiz tätig sind und ver- oder beeidigt sind, durch einen Ausweis vereinfacht werden.

Was bedeutet Qualitätssicherung beim Dolmetschen?

Was Qualitätssicherung in diesem Zusammenhang bedeutet und worauf wir bestehen sollten:

  • Nicht ausreichend qualifizierte Dolmetscher:innen, die für die Justiz tätig sind, bedeuten einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (s. Art. 103 Abs. 1 GG, EMRK, Charta der Grundrechte der EU).
  • Die geforderten staatlichen oder staatlich anerkannten Prüfungen (Prüfungsämter) sind niedriger einzuordnen als ein (Universitäts-)Diplom, über das viele der Berufsträger:innen verfügen.
  • Die persönliche Eignung bei einer Ver-, Beeidigung oder Ermächtigung (wie auch immer dies in der Zukunft heißen wird) wird durch ein erweitertes Führungszeugnis belegt. Dies ist nicht der Fall bei Laien, Personen, die ad hoc vereidigt werden und die zudem meist nicht Mitglied eines Berufsverbands sind.
  • Es sollte immer eine persönliche Ladung erfolgen, nicht über Agenturen. Die Gründe hier wäre der Datenschutz, Laiendolmetscher, Führungszeugnis, Verschwiegenheitspflicht, Neutralität, denn nur natürliche Personen sind persönlich qualifiziert, geeignet und haftbar. Der Qualitätsstandard von Agenturen wird oft nicht überprüft und der Datenschutz meist nicht gewährleistet.
  • Die Auswahl der Dolmetscher:innen sollte über das Gericht oder die StA erfolgen, nicht über eine Agentur. Als Konsequenz daraus müsste das Verzeichnis www.justiz-dolmetscher.de entsprechend bereinigt werden und nur natürliche Personen enthalten.
  • Sollten die oben aufgeführten Standards als Folge der Beschäftigung von Laien nicht eingehalten werden, kann es zur Wiederholung von Verfahren, Zulassung von Revisionen im Strafprozess z. B. aufgrund von fehlerhafter Verdolmetschung der Rechtsmittelbelehrung, Verkürzung der Beteiligtenrechte, inhaltliche und juristische Missverständnisse usw. kommen.
  • Haftungsfälle mit entsprechenden Kosten.
  • Im GVG (bzw. § 73 StPO und § 404 ZPO) sollte ergänzt werden, dass Unvereidigte nur dann gewählt werden sollen, wenn es keine Beeidigten oder Vereidigten für die entsprechende Sprache gibt, analog zu Sachverständigen.
  • Die Vergütung sollte auch bei der Polizei gelten, andernfalls ist zu befürchten, dass die Polizei weiterhin Laien verpflichtet.
  • In § 4 Abs. 3 wird formuliert, dass ein Zeugnis einer Industrie- und Handelskammer für Übersetzer für eine Anerkennung ausreichend ist. Kurios ist die bisherige Auslassung von Übersetzer:innen im Bereich dieses Gesetzes. An dieser Stelle nun erfahren sie eine späte Anerkennung – jedoch nicht für die bei Gericht benötigten Fähigkeiten.
  • Eine weitere Notwendigkeit wäre die komplette Streichung des § 190 GVG, in dem festgelegt wird, dass Urkundsbeamte zur Verdolmetschung bei Gericht hinzugezogen werden können. Weder verfügen diese über eine Ausbildung als Dolmetscher:innen noch als Übersetzer:in.

Noch einmal nachbessern bitte!

Nachdem nun mehrfach der Gesetzestext geändert wurde, einiges in unserem Sinne, soll er noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Dies geschieht trotz der zahlreichen Schreiben von Kolleginnen und Kollegen an die Abgeordneten des Bundestags, der Stellungnahmen u.a. des Bundesforum Justizdolmetscher und -übersetzer und persönlichen Gesprächen des VVDÜ e. V. mit Politkern und Mitgliedern des Rechtsausschusses. Das Gesetz würde andernfalls dem Diskontinuitätsprinzip zum Opfer fallen, was aus unserer Sicht kein großer Verlust wäre, da es offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt wurde.

Dennoch scheinen die Politiker verstanden zu haben, dass ein Bestandserhalt unabdinglich ist, da nicht nur die Folgen für die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch die Folgen für die Justiz unabsehbar wären. Ferner wird es wohl auf eine Verschiebung des Gesetzes hinauslaufen, da auch Einsicht darüber besteht, dass bestimmte Bereiche (Curricula, Übersetzer:innen u. a.) der Regelung bedürfen.

Ein Änderungsantrag wäre wünschenswert.

Bibliographie:

BMJV | Aktuelle Gesetzgebungsverfahren | Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften

GDolmG Gerichtsdolmetschergesetz (buzer.de)

RefE_StPO_Fortentwicklung.pdf (bmjv.de)

Änderungen StPO Strafprozeßordnung (buzer.de)

BMJV | Aktuelle Gesetzgebungsverfahren | Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften

Drucksache 19/27654 (bundestag.de)

Artikel 4 StraVMoG Weitere Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (buzer.de)

Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (europa.eu)

BDÜ Stellungnahme Referentenentwurf BMJV 2019 (bdue.de)

Unsere Gastautorin Natascha Dalügge-Momme ist Vorstandsvorsitzende des VVDÜ e. V. (www.dievereidigten.de) E-Mail: ndm@translanguges.de oder vorstand@dievereidigten.de

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