Gastbeitrag von Jenny Willett

Wenn ich mal wieder mit zehn Fingern zählend am Rechner sitze und Silben wie Sutren rezitiere, weiß meine Familie, dass ich an Untertiteln arbeite. Allerdings höre ich dabei meistens Musik und schaue auf eine Excel-Tabelle – ein Video, das es zu untertiteln gilt, sucht man dabei vergeblich. Wenn es um das Thema Untertitel geht, denken die meisten vermutlich zunächst nur an Film und Fernsehen. Doch Untertitel begegnen uns auch in anderen, eher versteckten Bereich, wie zum Beispiel der Spielebranche.

Als ich darüber nachdachte, Übersetzerin zu werden, war es tatsächlich immer mein Traum, eines Tages an der Übersetzung von Spielen zu arbeiten. Umso glücklicher bin ich, dass ich seit gut einem Jahr behaupten darf, dass mein Traum sich erfüllt hat. Die Übersetzung von Videospielen gehört neben der Medizin und der Untertitelung und Rohübersetzung von Anime mittlerweile zu meinen Hauptaufgaben und mein Vergangenheits-Ich, das andächtig die Credits nach Abschluss eines Spiels verfolgte, dürfte wohl mit mir zufrieden sein.

Versteckte Aufgabengebiete von Untertiteln

Bei der Untertitelung von Spielen ergeben sich wie in jedem Bereich natürlich ganz eigene Tücken und Stolperfallen und so muss man sich hier zusätzlich zu den bereits in vorherigen Posts angesprochenen branchenüblichen Zeilen- und Zeichenbeschränkungen, die uns natürlich auch im Spielebereich begegnen, Gedanken um eine Audiolokalisierung von zum Beispiel Cut Scenes machen. Je nach Verwendung der Übersetzung werden hier, wie bei Rohübersetzungen für Anime, spezialisierte Drehbuchschreiber engagiert, die für die spätere Lip-Synch sorgen. Bei weniger „strengen“ Richtlinien des Time Constraints (TC), das noch in Hard – also exakt gleiche Audiolänge von Original und Lokalisation – und Soft (in der Regel +/- 10 % der Originalaudio) unterteilt wird, passen in der Regel Übersetzer:innen und Projektmanager:innen die Lokalisierung bereits an und zählen (oder rezitieren) Silben.

Das besonders Herausfordernde bei der Untertitelung von Spielen ist allerdings die Tatsache, dass in den meisten Fällen Bild und Ton fehlen und nur der Text uns einen Anhaltspunkt über das spätere Geschehen geben kann. Zum Zeitpunkt der Übersetzung gibt es zumeist nämlich noch gar kein Bildmaterial – die Entwicklung von Spielen ist wesentlich zeit- und arbeitsintensiver, als es sich die meisten Spieler vorstellen und wünschen würden. Die Aufgabe von Übersetzung, Proofreading, Projektmanagement und Lokalisierungs-QA, etc. ist es dann, über die reine Untertitelung hinaus, den Kontext über Backgroundstories, eventuelle Vorgänger des Titels, Kommunikation mit den Entwicklern und Vertiefung in die vorhandenen Dialoge und möglicherweise sogar Skripte, ein Gefühl dafür zu bekommen, was in den zu übersetzenden Abschnitten passiert, auch wenn diese nicht immer in chronologischer Reihenfolge vorliegen. Denn nur so können wir eine harmonische und stimmige Übersetzung und schließlich auch Untertitelung abliefern, die zur Atmosphäre des Spiels beitragen und mit ihr verschmelzen kann, um so dem späteren Publikum zu einer angenehmen Unterhaltung und einem Verständnis des Gesamtwerks zu verhelfen.

Interkulturalität von Untertiteln

Ob in Spielen oder Anime, die Rolle von Untertiteln ist weitreichender, als es auf den ersten Blick erscheint. Heutzutage ist es nicht unüblich, dass insbesondere die jüngere Generation ihre Fremdsprachenkenntnisse – und auch ihr Verständnis von Interkulturalität – neben dem Internet vor allem aus Filmen und Serien bezieht und so ungezwungen ein beachtliches Niveau erreichen kann. Wie bereits bei der Untertitelung von Anime kurz angesprochen, ergibt sich gerade bei sehr unterschiedlichen kultur-historischen Entwicklungen der Länder von Ziel- und Originalsprache nicht selten ein erhebliches Problem bei der Übertragung, denn wir erinnern uns: uns bleiben üblicherweise nur zwei Zeilen à 37-40 Zeichen, nicht viel für die mitunter notwendige Erklärung eines religiösen oder kulturellen Konzeptes, das es in der Zielsprache überhaupt nicht gibt.

Die Schwierigkeiten reichen dabei von kleineren Unannehmlichkeiten, wie im Fall von yûrei 幽霊 – japanischen Geistern – die notgedrungen einfach zu „Geistern“ werden müssen (die Drei Großen Japanischen Yûrei 三大幽霊 mögen mir diesen Frevel verzeihen) oder den etwas altertümlicheren yôkai 妖怪, also japanischen Spukgestalten, die zu gewöhnlichen Monstern degradiert werden. Doch wie unterscheiden wir sprachlich einen yûrei von den Rachegeistern goryô 御霊, den „anderen“ Rachegeistern onryô 怨霊 oder den wieder etwas anderen Rachegeistern ikiryô 生き霊? Wie vermitteln wir eigentlich die Nuancen zwischen bakemono 化け物 und yôkai, ohne ein volkskundliches Theorem daraus zu machen? Was tun wir, wenn die buddhistischen Geister und Dämonen sich auch noch zur Party gesellen und uns die deutschen Begriffe ausgehen? Wie vermeiden wir dabei eine zu starke Anlehnung an das christliche Konzept von Dämonen und Geistern? Wenn wir Glück haben, finden sich irgendwo langgezogene Sätze in der Originalsprache, die in der Zielsprache kurz genug sind, um noch eine Erklärung des Begriffs mit einfließen zu lassen, doch diesen Luxus haben wir nicht immer. Häufig bleibt den Übersetzenden nur, das Konzept so nah wie möglich in einen deutschen Begriff zu pferchen, da es für die Geschichte und das Setting meist keine allzu große Rolle spielt, so dass auf die Genauigkeit zu Gunsten der Atmosphäre und einer flüssigen und natürlichen Lokalisierung leider verzichtet werden muss. Am Ende des Tages ist dies jedoch ein weiterer Aspekt, der das Übersetzen vom Japanischen ins Deutsche so spannend und erfüllend macht.

Als Japanologin ist es letztlich meine ehrenvolle Aufgabe, eben diese Konzepte genauer zu hinterfragen, zu vergleichen und zu beleuchten. Als Übersetzerin habe ich die nicht minder ehrenvolle Aufgabe, das Original möglichst getreu und ästhetisch anspruchsvoll ins Deutsche zu übertragen. Sprache ist lebendig und in ihr liegt das Herz einer Kultur verborgen, in der Verbindung dieser beiden Aufgabengebiete ist es daher mein Anspruch, nicht nur ein unterhaltsames Werk in eine Zielsprache zu übertragen, sondern vielleicht auch etwas von der Kulturlandschaft und Folklore mit in die Herzen der Menschen zu bringen.

Porträtbild der Autorin

DVÜD-Gastautorin Jenny Willett übersetzt Untertitel aus dem Japanischen ins Deutsche und Medizintexte aus dem Japanischen ins Englische und Deutsche.

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