Ein Gastbeitrag von Heike Kurtz

Warum können Menschen, die „quer einsteigen“ gegebenenfalls ebenso gut übersetzen oder dolmetschen wie Personen mit entsprechendem Studium? Welche Vorteile hat die Selbstständigkeit gegenüber dem Angestelltendasein? Wie komme ich überhaupt dazu? Auf all diese Fragen möchte ich im nachstehenden Text eingehen.

Warum überhaupt selbstständig?

Das ist eine lange Geschichte. Als Schwäbin liegt mir das Selbstständigsein wohl im Blut – wir sind freiheitsliebend und dickköpfig. 1998 ergab sich durch einen Umzug aus dem Ruhrgebiet ins Allgäu die Gelegenheit gepaart mit einer gewissen Notwendigkeit – und schon war ich selbstständige Übersetzerin, denn das ist ein freier Beruf, man muss kein Gewerbe anmelden sondern dem Finanzamt nur kurz Bescheid geben und dann brav all das tun, was Unternehmen halt so tun (Buchhaltung, Steuererklärung, Versicherungen usw.).

1999 kam mein erstes Kind zur Welt und ich konnte durch meine Selbstständigkeit einerseits meine Arbeit um die Familie herum organisieren und war andererseits nie ganz ohne Arbeit. Als Angestellte hätte ich wohl bei jedem Kind drei Jahre „aussetzen“ müssen, denn die Betreuungs- und Teilzeitsituation war Anfang der 2000er Jahre noch wesentlich schlechter als heute.

Außerdem, da bin ich ganz ehrlich, schreckt mich noch heute die Vorstellung, meine Arbeit zu starren Zeiten irgendwo auszuüben, wo ich erstmal mühsam hin pendeln muss, und mir von anderen vorschreiben zu lassen, was ich wann und wie tue. Auch komme ich mit einer ruhigen Arbeitsumgebung, in der keine anderen Menschen sind, besser klar. Meine eigenen Befindlichkeiten und meine eigene Tätigkeit zu organisieren, ist Arbeit genug.

Natürlich hat das auch Nachteile. Keine Arbeit – kein Geld. Für Absicherung (Krankheit, Urlaub, Auftragsflaute, Rente …) muss ich selber sorgen. Ohne einen angestellten Ehemann im Hintergrund hätte ich einen Plan B gebraucht. Aber wem dieser Aspekt keine schlaflosen Nächte bereitet, der kann durchaus auch ganz alleine etwas tun: Erst einmal ein paar Jahre abhängige Beschäftigung, um einerseits die Wirtschaft kennenzulernen, sich andererseits Fachkenntnisse anzueignen und zudem ein finanzielles Polster anzusparen (ein Jahr ohne Einkommen sollte drin sein). Oder eine Teilzeitstelle, die die Grundbedürfnisse bezahlt, sodass man sich nebenbei einen Kundenstamm aufbauen kann. Eine gewisse Bereitschaft, im Notfall auch unangenehme Dinge zu tun (auch ich war neben meiner Ausbildung schon Kellnerin und Putzfrau), hilft.

Anlaufstelle Berufsverband

Unerlässlich ist in jedem Fall ein gewisses wirtschaftliches Grundwissen: wieviel Geld brauche ich jeden Monat, wie kalkuliere ich Preise, was ist Buchhaltung, was ist eigentlich diese Altersvorsorge und wie zur Hölle vermarkte ich mich selbst? Hierfür kann die Mitgliedschaft in einem Berufsverband sehr hilfreich sein, denn dort trifft man auf Menschen, die das alles schon mitgemacht haben und kann hilfreiche Fortbildungen oder auch Mentoring-Programme in Anspruch nehmen.

Ich selbst bin Mitglied im DVÜD (seit 2012), im VGSD (seit 2018) und im BDÜ (seit 2021).

Der DVÜD ist ein relativ junger und kleiner Übersetzer*innenverband, der schon immer für alle Übersetzenden und Dolmetschenden, unabhängig vom Werdegang und der Ausbildung, offen war. Vor allem die Außendarstellung und Kommunikation im Internet und über Onlineformen gefiel mir gut – so können Mitglieder aus ganz Deutschland sich ohne lange Reisen austauschen – und ich mag es, dass man sich in diesem kleinen Verband gegenseitig kennt und unterstützt. Daher bin ich schon im Gründungsjahr 2012 Mitglied geworden, weil ich nach 14 Jahren Eigenbrötlertum dann doch das Bedürfnis hatte, mich mit anderen, die diesen Beruf ausüben, auszutauschen.

Der VGSD (Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V.) ist eine Interessenvertretung der (Solo-) Selbstständigen aus allen Branchen in Deutschland und vertritt deren Interessen sehr aktiv auch durch Lobbyarbeit gegenüber der Politik. Er bietet außerdem viele interessante Informationen zum Thema Selbstständigkeit und (Klein-) Unternehmertum. Ich kam 2018 über Informationsveranstaltungen zum Thema DSGVO dazu.

Der BDÜ ist der zahlenmäßig größte Verband für Übersetzende und Dolmetschende in Deutschland und schon seit langem etabliert. In den letzten zehn Jahren ist er sehr viel moderner und aktiver geworden und aus meiner Sicht eine wichtige Stimme zur Vertretung der Interessen von Dolmetschenden und Übersetzenden gegenüber Politik und Gesellschaft. Nachdem ich mir 2020 die Prüfung zum „Diploma in Translation“ des britischen Chartered Institute of Linguists zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte und mich als „Best Candidate 2020“ nun „Chartered Linguist“ nennen darf, erfüllte ich die Aufnahmekriterien und bin seit 2021 Mitglied.

Allerdings steht man im BDÜ denjenigen, die ihre berufliche Laufbahn nicht an einer Universität und nicht mit einem Übersetzerstudium begonnen haben (Stichwort Aufnahmekriterien), eher skeptisch gegenüber. Ich dagegen finde, dass das Quereinsteigen durchaus Vorteile hat, die ich hier erläutern möchte:

Der wirtschaftliche Aspekt

Über die Jahre sind mir immer wieder Menschen begegnet, die wie ich kein Übersetzerstudium vorweisen konnten. Einige sind mir aufgefallen, bei denen ich diesen Umstand als Vorteil betrachte, denn:

  • Sie sind absolute Fachleute in ihrem jeweiligen Gebiet und können sich daher mit ihrer Kundschaft auf Augenhöhe über die zu übersetzenden Inhalte unterhalten.
  • Sie waren meistens ein paar Jahre in diesem Fachgebiet tätig und kennen die Anforderungen von Wirtschaftsunternehmen, wenn es um einzukaufende Dienstleistungen geht.
  • Sie haben den Anspruch, von ihrer Arbeit gut leben zu können, und wissen aus ihrer bisherigen Berufserfahrung, wie man das macht (Stichworte Preisfindung, Vermarktung, Altersvorsorge, Krankenversicherung, generell „Unternehmer*in sein“)

Sprache allein reicht nicht

Natürlich lernt man in einem Übersetzerstudium so einiges, das mir fehlt – je länger ich in dem Beruf arbeite, desto stärker wird mir das bewusst, und ich bemühe mich, die linguistischen Wissenslücken zu schließen, zum Beispiel durch Workshops zum Thema Terminologiearbeit, kreatives Schreiben oder auch Fortbildungen zu Revision und Korrekturlesen. Diese intensive Beschäftigung mit der Sprache kommt bei anderen Ausbildungsgängen oft nicht vor. Auch der Austausch mit anderen Übersetzenden bei diesen Veranstaltungen ist sehr hilfreich, wenn man sich zum Beispiel beim Kaffee über die geschäftlichen und persönlichen Aspekte des Berufs austauscht.

Dennoch würde ich heute jedem jungen Menschen, der beruflich übersetzen oder dolmetschen möchte, zur Selbstreflexion raten, denn ausschließlich auf der Sprache lässt sich aus meiner Sicht kein dauerhaftes Berufsleben aufbauen. Man sollte sich schon vorher – oder zumindest während des Studiums – genau überlegen, zu welchen Themen man tendiert, und diese dann vertiefen, sich selbst Expertise aneignen – unter Umständen sogar mit einem Zweitstudium oder einer Ausbildung. Die eigene Nische finden und sich dann darin festsetzen, das halte ich für ein absolutes Erfolgsrezept.

Mehrgleisig fahren

Man stelle sich vor: ein Zimmermeister, der schon selbst Dachstühle gebaut und ausgelegt hat, und der dann das alles auch noch in mehreren Sprachen kann – eine Erfahrung, die gerade Zimmerleute in den traditionellen Wanderjahren machen und vertiefen können. Eine Pharmazeutin, die ihr gesamtes Wissen mehrsprachig abrufen und kommunizieren kann, weil sie ihren Beruf schon ein paar Jahre lang in einem anderen Land ausgeübt hat. Eine Person, die mal auf einem Richterstuhl oder in einer Anwaltskanzlei tätig war und dann ins Übersetzen wechselt …

Damit ist man zudem nicht auf den Beruf „Übersetzen“ oder „Dolmetschen“ festgelegt, denn es gibt unzählige international tätige Unternehmen, die Mitarbeitende mit exzellenten Sprachkenntnissen suchen. Nicht jede sprachbegeisterte Person ist schließlich für die Selbstständigkeit gemacht, manche wollen lieber als Angestellte arbeiten.

Ich finde, dass beide Herangehensweisen – das Übersetzer- oder Dolmetscherstudium mit anschließender Weiterbildung in einem Fachgebiet und auch die Ausbildung in einem Fachgebiet mit anschließender Weiterbildung im Übersetzen oder Dolmetschen – ihre Berechtigung haben und als gleichwertig zu betrachten sind. Auch ein Studium muss keine Voraussetzung sein – ein Meistertitel in einem Handwerk ist schließlich auch nicht ohne, und wer jahrelang in einem Beruf erfolgreich tätig war, kann normalerweise was.

Daher plädiere ich für eine gewisse Offenheit, statt auf ganz bestimmte Ausbildungswege oder Abschlüsse zu pochen. Wie überall im Leben sollte man auch bei der Einschätzung, ob jemand gut übersetzen oder dolmetschen kann, auf den individuellen Werdegang und die Kompetenzen schauen, statt von vornherein allen, die quer einsteigen, mit Misstrauen zu begegnen.

Heike Kurtz (www.kurtz-translations.de) ist seit 1998 selbstständig und freiberufliche Übersetzerin für Rechts- und Wirtschaftstexte aus dem Englischen und Französischen. Als Quereinsteigerin ohne Universitätsstudium bricht sie eine Lanze für Menschen, die aus anderen Fachgebieten und Werdegängen zum Übersetzen oder Dolmetschen kommen.

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