Gastbeitrag von Jenny Willett

Schon früh bewegten mich vor allem zwei große Leidenschaften: Das geschriebene Wort und die Medizin. Wie so viele wollte ich zunächst Tierarzt werden, verfolgte diesen Traum eisern und überbrückte meine Wartezeit auf einen Studienplatz mit einer Ausbildung zur Arzthelferin. Hier hatte ich das große Glück, in das für mich interessanteste Fachgebiet der Medizin einzutauchen und eine Ausbildung in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis zu absolvieren. Aus verschiedenen Gründen entschied ich mich schließlich gegen die Tiermedizin, als ich endlich die Zulassung in Händen hielt. Stattdessen studierte ich Japanologie und arbeitete insgesamt 13 Jahre in meiner Ausbildungspraxis, bis ich mich schließlich mit meinem Masterabschluss als Übersetzerin selbstständig machte. Natürlich war für mich von Anfang an klar, dass ich der Medizin und insbesondere der Psychiatrie und Psychologie treu bleiben und neben dem populärkulturellen Bereich hauptsächlich medizinische Übersetzungen anfertigen würde.

Psychiatrie und Psychotherapie

 Als Fachgebiet innerhalb der Medizin beschäftigt sich die Psychiatrie „mit allen Gesundheitsstörungen und Auffälligkeiten, welche die Psyche eines Menschen betreffen, seien sie nun seelischen oder körperlichen Ursprungs.“ Sie versteht sich somit getrennt von der Neurologie, mit der sie häufig noch unter dem Begriff der Nervenheilkunde zusammengefasst wird und die sich explizit mit dem Nervensystem und dessen Erkrankungen auseinandersetzt. Wie die meisten Fachgebiete gibt es selbstverständlich auch innerhalb der Psychiatrie noch engere Spezialisierungen wie zum Beispiel die Psychosomatik, die das Wechselspiel von Körper und Psyche abdeckt, oder die forensische Psychiatrie, welche sich explizit mit psychisch kranken Straftäter:innen befasst.

Quellen, Recherche und Fachinformationen

Wie in allen Übersetzungen ist es natürlich auch im psychiatrisch-psychotherapeutischen Sektor von eminenter Bedeutung, die korrekte Terminologie zu verwenden und entsprechende Quellen zu Rate zu ziehen. Übersetzenden im medizinischen Bereich mit entsprechenden Vorkenntnissen berichte ich hier nichts Neues, wenn ich auf die entsprechenden Fachbücher des Springer– oder Thieme-Verlags oder PubMed als Ansatz zur Terminologierecherche verweise, jedoch mag es für die ein oder anderen Neueinsteiger:innen oder Interessierte:n vielleicht von Nutzen sein.

Bei Übersetzungen vom Japanischen ins Deutsche haben wir zudem das Glück, dass viele Fachbegriffe sich historisch bedingt am Deutschen orientieren. Zumeist ist dies natürlich ein starker Hinweis für die entsprechende Übertragung, doch muss man sich auf vor den „falschen Freunden“ in Acht nehmen und nicht vorschnell eine Übersetzung annehmen, ohne diese vorher überprüft zu haben, selbst dann, wenn es ein deutsches Lehnwort ist. Immerhin hat sich über die Jahre auch die Fachsprache geändert und die Verwendung des Wortes könnte sich leicht gewandelt haben. Darüber hinaus können uns die Leitlinien des DSM oder ICD (sofern eine Klassifizierung angegeben wurde) eine große Hilfe sein, zumal die Klassifizierung häufig auch eine Kurzbeschreibung der Diagnose enthält. Forschungsartikel, Symposien sowie die Berufs- und Medizinerverbände des jeweiligen Ziel- und Ausgangssprachenlandes (z.B. die DGPPN oder die Japanese Society of Psychiatry and Neurology mit einer umfangreichen Linksammlung) dienen darüber hinaus nicht nur der Weiterbildung und der Vermittlung eines Gefühls für die fachinterne Sprache und den Terminologiegebrauch. Nicht selten sind sie auch der einzige Anhaltspunkt, um z.B. eine Diagnose oder seltenere Fachbegriffe, die in keinem Wörterbuch verzeichnet sind, ausfindig zu machen und der Zielsprache zuzuordnen. Gerade in diesen Fällen ist mitunter eine intensive Recherchearbeit unabdingbar, um Fehldiagnosen in der Übersetzung zu vermeiden.

Insbesondere in der Psychologie und Psychiatrie darf darüber hinaus natürlich auch das kulturelle und soziale Klima des Ursprungslandes nicht außer Acht gelassen werden, unter dem mitunter Probleme und Phänomene gedeihen mögen, die in der Zielsprache möglicherweise nicht oder nur wenig bekannt sind, um mit entsprechend sensiblen Themen adäquat umgehen und Begriffe und Konzepte in die Zielsprache übertragen zu können. Beispiele, die gemeinhin als japanische Phänomene gelten, wären das karôshi 過労死 (= Tod durch Überarbeitung – meist Schlaganfall und Herzinfarkt, umstritten noch der Suizid durch die psychische Belastung/Erkrankungen durch die Überbelastung)  oder hikikomori 引きこもり (= vollständiger Rückzug aus der Gesellschaft, zumeist bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, die sich mitunter komplett in ihrem Zimmer einschließen und es gar nicht mehr verlassen, abdunkeln etc. und den Kontakt zur Außenwelt vollständig abbrechen).

Psychische Gesundheit in den Sozialen Medien

Psychische Erkrankungen zählen mittlerweile zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt, wobei Depressionen und Angststörungen zumeist im Vordergrund stehen (laut RKI und DGPPN sind mehr als 25 % der Bevölkerung in Deutschland von psychischen Erkrankungen betroffen). Dennoch sind sie leider auch heute noch mit einem starken Tabu behaftet. Die Unsichtbarkeit psychischer Erkrankungen macht es für viele besonders schwer, ein Verständnis dafür zu entwickeln und auch der tragische Tod einiger prominenter Persönlichkeiten und die darauffolgende mediale Thematisierung der Erkrankung und des damit verbundenen Stigmas und Tabus konnte daran nur bedingt etwas ändern. Insbesondere in den sozialen Medien wird unter Hashtags wie „Mental Health“, „Notjustsad“ und unzähligen anderen in den vergangenen Jahren nunmehr zunehmend auf die Thematik und das oftmals stille Leiden durch Betroffene und ihr Umfeld aufmerksam gemacht (inwiefern soziale Medien der psychischen Gesundheit zuträglich sind oder nicht, soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden).

Der Austausch kann für viele eine wichtige Stütze darstellen und die „Öffentlichkeitsarbeit“ gibt psychischen Krankheiten ein Gesicht. Dennoch werden psychische Probleme hier mitunter auch romantisiert und als ästhetisches Konzept missbraucht, was über die Schwere und Ernsthaftigkeit solcher Erkrankungen hinwegtäuscht, wenngleich ein humoristischer Umgang mit der Thematik natürlich auch als Ventil oder Bewältigungsmechanismus dienen kann. Allerdings suggerieren manche Quellen unter Umständen eine gewisse Expertise, wo keine oder nur eine bedingte vorhanden ist oder zeichnen (unbeabsichtigt) ein Bild von bestimmten Erkrankungen, das so nicht den Tatsachen entspricht oder von einschlägiger Fachliteratur und Richtlinien oder Definitionen abweicht. Umso wichtiger ist es daher, Posts und Informationen nicht nur auf dem Gebiet der Psychiatrie, sondern natürlich dem gesamten medizinischen Sektor besonders kritisch zu hinterfragen und die Glaubwürdigkeit von Quellen und die Richtigkeit der getätigten Aussagen zu überprüfen, um sich eine eigene Expertise anzueignen und in Terminologiefragen und Fachjargon Trittsicherheit zu erlangen.

Porträtbild der Autorin

DVÜD-Gastautorin Jenny Willett übersetzt Untertitel aus dem Japanischen ins Deutsche und Medizintexte aus dem Japanischen ins Englische und Deutsche

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