Die neue Blog-Rubrik „Input Sprachwandel“ nimmt Veränderungen im alltäglichen Sprachgebrauch unter die Lupe. Da es hier bereits zu Rückfragen gekommen ist, geht es in der ersten Folge um das Gendern im Rahmen des DVÜD-Blogs. Das neue Verb Gendern leitet sich vom englischen Begriff „Gender“ ab, der im Gegensatz zum englischen Begriff „Sex“ nicht das biologische Geschlecht bezeichnet, sondern die sozialen Auswirkungen der mit dem wahrgenommenen Geschlecht verbundenen Rollenzuschreibung berücksichtigt.

Gendern? Muss das wirklich sein?

Wer beruflich textet, übersetzt oder dolmetscht, sagt natürlich sofort: Das kommt darauf an. Sprache ist vielfältig und ständig im Wandel. In manchen Bereichen, zum Beispiel bei Behörden, ist korrektes Gendern unerlässlich, um bestimmte Realitäten abzubilden — zum Beispiel, wenn für ein Kind zwei Mütter oder zwei Väter eingetragen werden müssen.

In der Wirtschaft wird bei Stellenausschreibungen, aber auch in der Unternehmenskommunikation auf neutrale Formulierungen Wert gelegt, um jeden Anschein einer Benachteiligung abzuwehren und zu demonstrieren: In unserem Unternehmen kommt es allein auf die persönlichen Fähigkeiten und Erfahrungen an, nicht auf biologische Eigenschaften oder Zuschreibungen.

Im deutschen Sprachraum toben um die Frage „Gendern — ja, nein, jein, und was bringt das überhaupt?“ heftige Auseinandersetzungen, weil das Deutsche (im Gegensatz zu diversen anderen Sprachen!) aus grammatikalischen Gründen die Festlegung des Geschlechts einer Person verlangt. Schon bei nur einer männlichen Person unter 100 oder 1000 Personen eines anderen Geschlechts wird traditionell die männliche Bezeichnung gewählt (1 Arzt unter 100 Ärztinnen = die anwesenden Ärzte). Das erzeugt falsche Vorstellungen in den Köpfen.

Gendern auf dem DVÜD-Blog

In der Redaktion wurden wir bereits angesprochen, wieso wir im DVÜD-Blog keine klare Linie fahren. Der Grund dafür ist, dass wir als Übersetzerinnen die Sprache einerseits mitprägen, aber auch aktuelle Entwicklungen registrieren, beobachten und aufgreifen.

Daher lassen wir unsere Autor:innen experimentieren, gestatten Mischformen und gehen dabei im Einzelfall über die Empfehlungen der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hinaus (siehe unten).

Aktuelle Varianten (2020)

Wir lassen auf unserem Blog derzeit zu:

(1) Das generische Maskulinum „Übersetzer und Dolmetscher“ als Verallgemeinerung im Sinne von „Frauen sind mitgemeint“ – obwohl dies nicht mehr den Stand der Sprachentwicklung widerspiegelt. Aber manchmal ist es aus Platzgründen einfach praktisch. Wenn gar keine weiblichen Formen vorkommen, kann es vorkommen, dass wir unsere Autoren und Autorinnen vor der Veröffentlichung um Nachbesserung bitten.

(2) Offiziell anerkannte Schrägstrichvarianten und Klammerlösungen wie „Texter/-in“ oder „Professor(-in)“: eher für Formulare geeignet als für Fließtext.

(3) Das groß geschriebene Binnen-I wie in „RedakteurInnen“ hat sich seit den 1980ern in den Sprachgebrauch geschlichen und ist inzwischen akzeptiert. Auch der Gender-Schrägstrich wie in „Musiker/innen“ ist verbreitet, allerdings nicht sehr lesefreundlich, wenn diese Form mehrfach im Text oder gar im Satz erscheint.

(4) Mit etwas Nachdenken fallen neutrale Formulierungen durch Verbalisieren („beim Dolmetschen kommt es darauf an“), Gerundivformen („Studierende“) oder die Nutzung neutraler Substantive „die Dolmetschperson“ oder „das Team“ immer leichter.

(5) Das Gendersternchen in „Übersetzer*innen“ schließt bewusst auch nichtbinäre Identitäten ein, gilt aber für Vorleselösungen ebensowenig als barrierefrei wie der Unterstrich in „Dolmetscher_innen“. Neuerdings wird daher häufiger der Doppelpunkt gewählt, an den die „Leser:innen“ sich optisch offenbar schnell gewöhnen. Gesprochen werden solche Formen mit einer kurzen Lücke wie ein winziger Schluckauf: „Leser innen“. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig, aber inzwischen hört man diese Sprechweise zunehmend in Barcamps, in den Nachrichten, in Talkshows oder auch im eigenen Umfeld.

Eine gesellschaftliche Diskussion

Die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache läuft schon lange und wird im Deutschen aufgrund seiner grammatikalischen Eigenheiten sehr erbittert geführt. Die übersetzende Zunft muss sich also zugunsten guter Texte mit diesem Thema auseinandersetzen.

2018 fragte die Plattform für übersetzte Literatur, TraLaLit, sieben Literaturübersetzerinnen und -übersetzer, wie sie damit umgehen. Die Antworten sind im Beitrag „Sprache und Geschlecht“ nachzulesen. 2020 stellte der Übersetzer Andreas Rodemann einen ausführlichen linguistischen Ansatz zur Diskussion, in dem er als Gedankenspiel unter anderem Prinzipien der chinesischen Sprache auf das Deutsche überträgt.

Das sind nur zwei Beispiele aus dem DVÜD-Umfeld. Nennt gerne weitere Beiträge von anderen Übersetzer:innen, insbesondere aus anderen Sprach- und Kulturkreisen in den Kommentaren.

Weiterführende Informationen

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) berät zum Beispiel Behörden und den deutschen Bundestag zu sprachlichen Zweifelsfällen, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltungs- und Rechtssprache. Auf der Infoseite Schwerpunkt Gendering und im Themenheft „Geschlechtergerechte Sprache“(2020) werden auch aktuelle Entwicklungen für Französisch, Spanisch, Russisch, Schwedisch und Italienisch vorgestellt.

Im DUDEN-Verlag ist 2017 das Werk „Richtig gendern“ von Prof. Dr. Gabriele Diewald und Dr. Anja Steinhauer erschienen, das viele Aspekte ausführlich analysiert und adäquate Lösungen empfiehlt.

Eine gute Quelle ist das Genderwörterbuch der Pädagogin, Trainerin und Autorin Johanna Usinger auf der Website geschicktgendern.de, das für konkrete Begriffe gendergerechte Alternativen anbietet. Dir fehlt ein Begriff? Dann reiche ihn dort ein.

Zu Fragen der Barrierefreiheit beim Gendern äußerte sich der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband im April 2019 auf seiner Website. Zu diesem Zeitpunkt wurden aufgrund des technischen Stands der Screenreader keine Sonderzeichen wie Schrägstrich, Binnen-I, Sternchen oder Doppelpunkt empfohlen. Gute Erklärungen, wie ein Screenreader liest, liefert der Blogbeitrag „Gender-gerechte Sprache und Barrierefreiheit“ auf der Seite netz-barrierefrei.de (siehe oben, Punkt 5).

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