Für freiberuflich tätige Sprachmittler, die sich auf das Übersetzen und Dolmetschen im Justizwesen spezialisiert haben, ändern sich Anfang 2021 die JVEG-Sätze, also die Vergütungen für Leistungen von Sachverständigen, die in Abschnitt 3 (§§ 8 – 14) des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) festgeschrieben sind.

Am 27. November 2020 verabschiedete der Bundestag im Rahmen von TOP 26 das Kostenrechtsänderungsgesetz (KostRÄG 2021; Link zur PDF-Fassung der Drucksache 721/20, dort Seite 15-17). Die für Dolmetscher und Übersetzer wichtigen Hintergründe schilderte Andreas Rodemann bereits am 11. November in seinem Blogartikel. Markterhebungen, Gespräche und Schreiben der Berufsverbände, die sich über Jahre engagiert hatten, fielen kurzfristig Corona-Sparzwängen zum Opfer. Die abschließende Parlamentsdebatte ist im Protokoll der Plenarsitzung (PDF) mit den Debattenbeiträgen der Parteien (24758 bis 24765) nachzulesen.

Geänderte JVEG-Sätze

Die bisherigen Honorarsätze waren seit 1. August 2013 gültig. Ab 1. Januar 2021 gelten für Übersetzungen für die Justiz folgende (Netto-)Honorare:

Abrechnungseinheit: Pro 55 angefangene Anschläge  Honorar altHonorar ab 1.1.2021
Mindesthonorar15 Euro20 Euro
Grundhonorar
für Texte, die in editierbarer elektronischer Form bereitgestellt werden
1,55 Euro1,80 Euro
Grundhonorar
häufige Verwendung von Fachausdrücken, schwer lesbarer Text, besonders eilbedürftig oder seltene Fremdsprache
1,85 Euro1,95 Euro
Erhöhtes Honorar
für nicht in editierbarer elektronischer Form zur Verfügung gestellte Texte
1,75 Euro1,95 Euro
Erhöhtes Honorar
häufige Verwendung von Fachausdrücken, schwer lesbarer Text, besonders eilbedürftig oder seltene Fremdsprache
2,05 Euro2,10 Euro
Überprüfung
von Schriftstücken oder Aufzeichnungen der Telekommunikation ohne schriftliche Übersetzung
70 Euro pro Stunde (wie Dolmetschen)85 Euro (wie Dolmetschen)

Geradezu erschütternd gering sind dabei die Erhöhungen im Bereich der schwierigen Texte, unter die beispielsweise Texte in nicht-lateinischer Schrift fallen sowie Texte von seltenen Sprachen, für die es kaum Nachschlagewerke gibt. Unter Einbeziehung der Inflation liegt hier de facto eine schmerzhafte Honorarkürzung vor, und zwar bereits zum zweiten Mal: Bei der letzten JVEG-Anpassung im Jahr 2013 wurde der zuvor gültige Satz von 4 Euro pro 55 Zeichen für außergewöhnlich schwierige Texte vom Gesetzgeber ersatzlos gestrichen.

Auch die Vergütung für Dolmetschleistungen ändert sich ab Januar 2021 (ebenfalls Nettoangaben):

Honorar altHonorar ab 1.1.2021
70 Euro pro Stunde (Dolmetschen)
75 Euro pro Stunde (simultanes Dolmetschen)
85 Euro pro Stunde
Zwischen 23 und 6 Uhr bzw. an Sonn- und Feiertagen Zuschlag von 20 Prozent

Einzelheiten zu Entschädigungsregelungen für Ausfall- und Wegezeiten, für besondere Aufwendungen oder für eine besondere Vergütung (zum Beispiel auch höhere Sätze mit Zustimmung des Gerichts gemäß § 13) sind den entsprechenden Paragraphen zu entnehmen, die inzwischen auf dem Portal dejure.org einsehbar sind (JVEG Abschnitt 3, §§ 8 – 14).

Vereinbarungen nach Paragraph 14

Besonders in der Kritik steht von Seiten der Berufsverbände der Übersetzer und Dolmetscher seit längerer Zeit § 14 JVEG, der abweichende Vergütungsvereinbarungen der Behörden mit den Sprachmittlern gestattet. Derartige Vereinbarungen dürfen geschlossen werden, wenn Dolmetscher oder Übersetzer „häufiger herangezogen“ werden. Die Häufigkeit ist allerdings im Gesetzestext nicht definiert.

Wie dies im Einzelfall aussehen kann, erklärt beispielhaft eine Antwort des Hamburger Senats vom 13.10.2015 auf eine Große Anfrage (Drucksache 21/1583, PDF). Die damals genannten Honorare für Rahmenvereinbarungen mit der Polizei (Seite 9 und 10) und der Justiz (Seite 10) lagen unter den zu diesem Zeitpunkt gültigen JVEG-Sätzen. Das Land Niedersachen nutzt diese Möglichkeit beispielsweise auch im Strafvollzug, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drucksache 17/7019, PDF) an die Landesregierung vom 30.11.2016 hervorgeht. [Detail am Rande: Laut dieser Antwort war zu diesem Zeitpunkt bei Bedarf „im Aufnahmeverfahren zur Übersetzung die Hinzuziehung anderer Gefangener“ erlaubt.]

Dolmetschpersonen, die häufig im Justizwesen dolmetschen und eine solche Rahmenvereinbarung unterschrieben haben, werden im Hinblick auf die angepassten Sätze ab Januar 2021 wahrscheinlich ihre Vereinbarungen unternehmerisch überprüfen:

  • Stimmen Aufwand und Honorare noch überein?
  • Wurde man tatsächlich „häufiger“ beauftragt?
  • Ist das Justizdolmetschen nach Abzug aller Kosten, Steuern, Krankenversicherung und Altersvorsorge tatsächlich eine sinnvolle Einkommensquelle für Selbstständige?
  • Ist es eher ein willkommener Nebenverdienst für Festangestellte?
  • Oder ist es gar ein Zuschussgeschäft, das man aus Verantwortungsbewusstsein nebenher erbringt?

Je nach Laufzeit der Vereinbarung könnte nach einer solchen nüchternen Bestandsaufnahme eine Kündigung des bestehenden Rahmenvertrags und gegebenenfalls eine Neuverhandlung erforderlich sein.

Hierzu sei erinnert an die Aussage der CDU/CSU als Antwort auf die DVÜD-Wahlprüfsteine 2017, Blog B. Darin verwies die CDU/CSU auf die Begründung des Gesetzentwurfs des JVEG aus dem Jahr 2003, derzufolge „Vergütungsvereinbarungen nach § 14 JVEG ‚einen wesentlichen Beitrag zur Vereinfachung des Abrechnungswesens leisten‘ sollen. § 14 JVEG wurde demnach nicht als Mittel für Kosteneinsparungen geschaffen.“

Anspruch und Wirklichkeit

Die Ansprüche des Staates und die Vergütung der Dolmetscher und Übersetzer klaffen auseinander. Sehen wir uns einmal die Voraussetzung für die Beeidigung an, die wiederum Voraussetzung für das rechtssichere Übersetzen und Dolmetschen ist. Erwartet werden:

  1. Ausgezeichnete Kenntnisse in den gewünschten Sprachen (Niveau C2 GER) UND
  2. Nachweis dieser Sprachkenntnisse durch entsprechende Zeugnisse oder eine (kostenpflichtige) staatliche Prüfung (beispielhaft ist hier verlinkt auf ein PDF der Regierungspräsidien Baden-Württemberg zu den staatlichen Prüfungen und Gebühren 2021) UND (teilweise)
  3. Nachweis über Kenntnisse der deutschen Rechtssprache (kostenpflichtige Kurse; derzeit nicht in jedem Bundesland Pflicht) UND
  4. Beeidigung/Vereidigung/Ermächtigung bei einem Landgericht (kostenpflichtig) UND
  5. die Bereitschaft, auch kurzfristig für Aufträge von Behörden zur Verfügung zu stehen.

Ab August 2021 tritt zudem das neue Gesetz für allgemein beeidigte Gerichtsdolmetscher in Kraft. Es beinhaltet alle 5 Jahre eine (kostenpflichtige) Erneuerung der Beeidigung unter Nachweis der Zuverlässigkeit und geordneter wirtschaftlicher Verhältnisse gemäß Gerichtsdolmetschergesetz (GdolmG) vom 10.12.2019.

Fazit: Sparmaßnahmen zu Lasten der Sprachmittler

Gegenüber der Beschlussvorlage, die für Dolmetschen 90 Euro pro Stunde vorsah, empfahl der Bundesrat unter Verweis auf Steuerausfälle und Mehrausgaben wegen der Covid-19-Pandemie eine niedrigere Vergütung in Höhe von 85 Euro (Empfehlungen, 565/1/20, Seite 1, Punkt 1, und Seite 10, Punkt 7). Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, dass „Dolmetschdienstleistungen außerhalb des Anwendungsbereichs des JVEG oftmals zu wesentlich geringeren Vergütungssätzen erbracht werden“ und der freie Markt „von großer Konkurrenz mit ‚Dumpringpreisen‘“ geprägt sei.

Diese Begründung ist für freiberuflich tätige Dolmetscher und Dolmetscherinnen im Justizwesen, die den oben erwähnten hohen Ansprüchen gerecht werden müssen, um als unparteiische Sprachmittler eine korrekte Verständigung zu ermöglichen und Rechtssicherheit herzustellen, ein Schlag ins Gesicht.

Der zitierte freie Markt bezieht sich vermutlich genau auf die bestehende Praxis der Rahmenvereinbarungen, die regelmäßig eine Unterschreitung der JVEG-Sätze vorsehen. Möglicherweise bezieht sich der Verweis auf den freien Markt auch auf die vielerorts bestehenden Übersetzerpools, über die sowohl in der Medizin als auch bei Behörden und Beratungsstellen vielfach ehrenamtlich bzw. gegen eine geringe Aufwandsentschädigung praktische Verständigungshilfe ohne Anspruch auf Rechtssicherheit geleistet wird. Dieser Bereich ist allerdings von Idealismus und hoher Fluktuation geprägt, und in der Praxis ist es schwierig, zum gewünschten Zeitpunkt eine passende Kraft zu finden.

Angesichts der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bleibt abzuwarten, ob erfahrene Justizdolmetscher und Justizdolmetscherinnen ihre Beeidigung ab Sommer 2021 überhaupt erneuern werden oder doch lieber auslaufen lassen. Ob Nachwuchskräfte das aufwändige, kostenträchtige Beeidigungsverfahren für Justizdolmetscher überhaupt noch durchlaufen möchten, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Der DVÜD wird dieses Thema im Rahmen der geplanten Themenwoche Recht im Sommer 2021 erneut aufgreifen.

[Dieser Artikel wurde am 14.01.2021 mit optischen Hervorhebungen aktualisiert.]

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