Ukrainisch-Kenntnisse sind derzeit sehr gefragt. Rund 145.000 Menschen aus der Ukraine waren laut Angaben von Statista Ende 2020 in Deutschland gemeldet. Sie helfen derzeit an vielen Stellen, so gut sie können. Dasselbe gilt für professionelle Dolmetscher und Übersetzer. Menschen mit Sprachkenntnissen geben den Geflüchteten eine erste Orientierung, ob vor Ort oder per Internet.

Auch Russisch-Kenntnisse sind für die Verständigung von großer Bedeutung. Viele Ukrainer sprechen Russisch. Deshalb können auch die rund 260.000 Russen und Russinnen in Deutschland und natürlich alle Deutschen, die Russisch sprechen, wertvolle Hilfe leisten. Weitere Möglichkeiten haben wir in unseren Artikeln „Ukraine: Wie kann ich helfen?“ (Informationen und Links) und „Helping Ukrainian refugees with interpretation & translation“ (Initiativen internationaler Partnerverbände und aus Nachbarländern) zusammengestellt.

Sobald eine Unterkunft gefunden ist (notfalls auf der Couch der Helfenden), kommen unweigerlich Anfragen zum Übersetzen von Dokumenten oder zum Dolmetschen auf Ämtern: „Du kannst doch Ukrainisch …“

Ukrainisch übersetzen und dolmetschen

Vor einigen Jahren stieg durch den syrischen Bürgerkrieg und das islamistische Terrorregime im Irak die Nachfrage nach Arabisch und Kurdisch abrupt an. In der Corona-Krise wurden bei Ausbrüchen in den Fleischfabriken oder in der Landwirtschaft plötzlich rumänische oder bulgarische Sprachunterstützung benötigt. Im Spätwinter 2022 besteht seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Erwartung, dass Sprachkenntnisse in Ukrainisch und Russisch in der Notlage kostenlos zur Verfügung stehen sollten. Was dabei aus dem Blick gerät: Wer freiberuflich vom Dolmetschen und Übersetzen lebt, hat in der Regel eine entsprechende Ausbildung durchlaufen und sich auf eigene Kosten zusätzliche Fachkenntnisse angeeignet.

Eure Urkundenübersetzerin hat Prüfungen abgelegt und sich gerichtlich vereidigen lassen, damit sie Urkunden übersetzen und stempeln darf, die bei Behörden und Arbeitgebern anerkannt werden. Auch hierfür hat sie bezahlt, ebenso zahlt sie ihre Bürokosten, ihre IT-Sicherheit, ihre Krankenversicherung und Altersvorsorge, und sie haftet für jeden Fehler, den sie macht.

Euer vereidigter Dolmetscher hat dieselben Kosten und zahlt bei Bedarf auch das eigene Fahrzeug, Fahrtkosten, Parkgebühren usw., wenn er euch zu einem wichtigen Termin begleitet. Und natürlich die eigene Arbeitszeit. Falls er dabei einen Unfall erleidet, hat er hoffentlich eine entsprechende Unfallversicherung, die ihn vor den finanziellen Folgen schützt.

Beruf oder Ehrenamt?

Normalerweise unterscheiden wir in Deutschland zwischen Beruf und Ehrenamt. Selbst wenn man bei großen Hilfsorganisationen arbeitet, gibt es ein Nebeneinander aus Festangestellten und Ehrenamtlichen, oft mit fließenden Übergängen, aber mit klaren Strukturen und Rechtsgrundlagen.

Wer helfen möchte, kann sich bei den örtlichen Initiativen (Sprachhelferpools, DRK usw.) melden und sagen, wann wie viel Zeit zur Verfügung steht. Diesen Weg empfiehlt der DVÜD auch seinen Mitgliedern, um eine klare Abgrenzung zwischen Brotberuf und ehrenamtlichem Engagement zu ziehen. Wenn das Ehrenamt vorbei ist, wechselst du die Rolle (so gut es derzeit eben geht) und arbeitest wieder gegen Bezahlung. So weit die Theorie.

Dass eine Sprache (wie aktuell Ukrainisch) plötzlich humanitär extrem gefragt ist, während gleichzeitig „normale“ Aufträge aus der Wirtschaft für eben diese Sprache einbrechen, darf nicht dazu führen, dass der humanitäre Anteil über einen längeren Zeitraum unbezahlt erbracht wird. Gerade Übersetzer und Übersetzerinnen für Ukrainisch können die abrupt gestiegene Nachfrage kaum bewältigen und arbeiten Tag und Nacht. Jedoch würde unzureichend bezahlte oder unbezahlte Arbeit ausgerechnet sie treffen und im schlimmsten Fall in die Privatinsolvenz treiben. Damit ist am Ende auch niemandem geholfen.

Was kostet Ukrainisch?

Dolmetschen und Übersetzen gilt in Deutschland als freier Beruf. Im Gegensatz zu Rechtsanwälten, Steuerberaterinnen oder Ärzten, die verkammert sind und sich Gebührenordnungen gegeben haben, existiert für Dolmetscher und Übersetzer keine Honorarordnung. Das bedeutet, dass die Honorare für diese Leistungen frei vereinbart werden.

Urkundenübersetzer und Justizdolmetscher halten sich als Freiberufler zumeist an das JVEG. Dort ist geregelt, was beim Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht als angemessene Vergütung gilt – also wenn es darum geht, Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erzeugen.

Ansonsten dürfen sie mit ihren Auftraggebern höhere, aber auch niedrigere Sätze vereinbaren, von denen sie ihre beruflichen und privaten Kosten samt Versicherungen, Steuern und Rücklagen zahlen.

Wer zahlt meine Übersetzung?

Normalerweise heißt es: „Wer bestellt, bezahlt.“ Momentan haben wir das Problem, dass die Bitten um die Übersetzung von Geburts- oder Heiratsurkunden, Schul- und Universitätsabschlüssen oder Arbeitszeugnissen nicht freiwillig erfolgen und die Eintreffenden praktisch mittellos sind.

Angebot (Arbeitszeit qualifizierter Übersetzer) und Nachfrage passen nicht zusammen, und der klassische Ausweg der freien Marktwirtschaft (höhere Preise) verbietet sich aufgrund der Notlage der Betroffenen nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich. Der zweite Ausweg des Marktes, mehr Anbieter, funktioniert ebenfalls nicht. Hierfür müssten nämlich sämtliche Kontrollverfahren für einen funktionierenden Rechtsstaat – nachgewiesenes, hohes Sprachniveau, Kenntnisse der Rechtssprache, persönliche Eignung, gerichtliche Eintragung – extrem beschleunigt werden. Wir brauchen also kurzfristig praktikable Lösungsansätze.

Vorschlag 1: Pauschalen oder Rahmenverträge

Ämter und Hilfsorganisationen könnten bei den freiberuflichen Übersetzern und Dolmetschern Zeitkontingente buchen. Anstatt dass jede Person einzeln immer wieder die nur 302 verfügbaren Übersetzer und Dolmetscher für Ukrainisch (Stand 14.3.2022) aus der Datenbank der Länder (Link zum Erklärvideo für die Datenbank justiz-dolmetscher.de) abtelefoniert oder anschreibt, könnte man über einen Rahmenvertrag bei lokalen Anbietern 20 Stunden pro Woche zu einem Honorarsatz XYZ buchen. Oder pauschal 20 Geburtsurkunden zu Honorarsatz ABC. Auf diese Weise bliebe wenigstens der reguläre Teil der Arbeitszeit bezahlt. Das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit müsste in diesem Fall vorübergehend ausgesetzt werden. Hier wäre die Politik gefragt, entsprechende Ausnahmeregeln zu formulieren.

Vorschlag 2: Festanstellung

Dieser Text erreichte die DVÜD-Redaktion während der Arbeit an diesem Text von unserem Mitglied Vita Hoffmann:

“Wir haben eine komplett neue Situation, es gibt hilfesuchende Menschen, die in allen Bereichen und Lebenslagen eine dringende Hilfe brauchen. In der Kette aller Hilfeleistungen für die ukrainischen Staatsbürger, die aus dem Kriegsgebiet in andere Länder kommen, sind die Übersetzer*innen das erste und das wichtigste Bindeglied für die Kommunikation, um wieder den Boden unter den Füßen zu finden. Die Menschen, die hier ankommen, stehen unter Schock, sind traumatisiert, seit mehreren Tagen und Nächten unterwegs, leiden unter extremer körperlicher Erschöpfung. Das sind meistens Frauen und Kinder, die ohne jegliche Sprachkenntnisse in einem ihnen völlig unbekannten Land erschöpft und übermüdet ankommen. Ihre erste vertrauensbildende und beruhigende Maßnahme ist ein persönliches Gespräch in ihrer Muttersprache. Die Sprachmittler sind ihre ersten Ansprechpartner und Vertrauenspersonen vor Ort.

Nach der Ankunft und der Unterbringung in Notunterkünften, Zentren für Flüchtlinge, Wohnheimen und privaten Unterkünften stellen sich die Fragen nach weiteren Schritten. Es geht um die Registrierungen bei Ausländer- und Sozialämtern. Dort werden oft professionell angefertigte und beglaubigte Übersetzungen gebraucht. Viele Flüchtlinge besitzen gar keine Geldmittel, um die Kosten für professionelle Übersetzungen, selber zu tragen. So kommt es dazu, dass die Übersetzer*innen immer mehr Anfragen bekommen, ob sie die Übersetzungen ermäßigt oder kostenlos anfertigen können. Sie werden vor eine moralisch untragbare Wahl gestellt.

Daher ist es unabdingbar erforderlich, dass die Kommunen und Städte professionelle Übersetzer mit ukrainischen und russischen Sprachkenntnissen anstellen. Dieses Bindeglied ist auf höchstem Niveau mit staatlicher, kommunaler und städtischer Unterstützung anzusiedeln.”

Es gibt sicher noch andere Lösungsmodelle. Wichtig ist, dass Verantwortliche jetzt unbürokratisch handeln und auch für Übersetzer, Dolmetscher und sonstige Sprach- und Kulturmittler Rechtssicherheit und Arbeitsbedingungen schafft, bei denen diese nicht ausbrennen.

Sonstige Angebote

Dass Deutschland das Dolmetschen im Gemeinwesen auf eine solidere Basis stellen muss, ist schon lange klar. Die Berufsverbände drängen seit Jahren auf zuverlässige, verbindliche Lösungen und klarere Abgrenzungen zwischen Ehrenamt und professioneller Tätigkeit. Was Stadtteilmütter, Integrationshelfer oder Sprach- und Kulturmittler leisten können, wird der DVÜD demnächst in einem zweiten Artikel beschreiben.

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